„Mein Hund Lala“: Holocaust-Überlebender auf Kinderbuch-Tour in Potsdam
Im Potsdamer Bildungsforum hat der Holocaust-Überlebende Roman Kent sein Kinderbuch „Mein Hund Lala“ vorgestellt. An diesem haben auch Potsdamer Schüler mitgearbeitet.
Nuthetal - „Meine Kinder“, sagt der Amerikaner Roman Kent, „waren wie alle Kinder: Wenn ich sie ins Bett brachte, dann wollten sie eine Gute-Nacht-Geschichte hören, eine, die ich selbst erlebt habe, als ich in ihrem Alter war.“ Doch welches Kind könnte wohl ruhig ins Land der Träume gleiten, wenn ihm der Vater vom Holocaust erzählte? So griff Roman Kent, geboren als Roman Kniker am 18. April 1929 in der Nähe der polnischen Stadt Lódz, zu einem Kniff: Er berichtete von seinem Hund Lala.
50 Zuhörer im Bildungsforum
Im Bildungsforum der Stadt- und Landesbibliothek hängen die knapp 50 Zuhörer an den Lippen des schmalen, alten Mannes mit den sehr buschigen Augenbrauen. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) ist darunter, die Bildungsbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos), Vertreter des Internationalen Auschwitz Komitees, eine Schulrätin, Lehrer. Gut die Hälfte der Zuhörer sind jedoch Kinder und Jugendliche. Es sind Schüler und Absolventen der Schule am Nuthetal. Die Geschichte des kleinen Hundes kennen sie längst – schließlich hat ihre Direktorin, Gudrun Lehmann, sie bereits vor gut anderthalb Jahren mit ihnen durchgenommen. Im Kunstunterricht haben sie Bilder dazu gemalt und einige davon sind nun in die deutsche Ausgabe des Buches gewandert. Michélle Miethke und Michelle Stellmacher sind stolz darauf, nun inmitten der anderen zu sitzen und zuzuhören, während der Autor auf Englisch rekapituliert, wieso er das Buch verfasst hat: „Meine Kinder haben mich fast wahnsinnig gemacht! So kam ich auf die Idee mit Lala. Aber ich musste immer genau dieselben Worte und dieselben Sätze verwenden, wenn ich etwas veränderte, haben sie mich sofort korrigiert.“
Haustiere, speziell Hunde, hat Kent festgestellt, schaffen es stets auf besondere Weise, in das Herz der Zuhörer einzudringen. Auf diesem Wege erzählt er ihnen ein ganz kleines bisschen von der schrecklichen Zeit, die er durchmachen musste, als er in ihrem Alter war – und sein Hund vielleicht sein einziger Lichtblick. Viel hat Kent darüber schon berichtet in seinem Leben; seitdem sein Freund Noach Flug, Klassenkamerad und Überlebender wie Kent, 2011 starb, ist er Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK). „Die Auschwitz-Überlebenden haben sich relativ schnell darum gekümmert, Stiftungen einzurichten und die Erinnerung wachzuhalten“, sagt Christoph Heubner, der für Kent und seinen mitgereisten Freund und Kampfgefährten seit Kindertagen, Marian Turski, übersetzt. Heubner ist Exekutiv-Vizepräsident des IAK, das in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendler-Block sitzt.
Es gab bereits eine französische und eine polnische Buchversion
Dort war es auch, wo sich der Bogen vom polnischen Auschwitz-Überlebenden nach Potsdam spannte. Da gelangte das schmale, von Kent auf Englisch verfasste und spärlich illustrierte Bändchen in die Hände von Karl Lehmann. Der Diplom-Designer arbeitet für die Gedenkstätte. Seine Ehefrau ist Leiterin der Schule Am Nuthetal. Kaum ist noch auszumachen, wer von beiden auf die Idee kam, den klugen, anrührenden Text aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen und ihn so den Schülern mit Lernbehinderungen zugänglich zu machen – doch die Feinheiten übernahm Thomas Lehmann, der Sohn der beiden, der in Leipzig Amerikanistik studiert hatte. „Wir wollten auf jeden Fall ein richtiges Buch machen“, sagt Karl Lehmann. Mit guter Qualität und gutem Einband. Eine polnische und französische Übersetzung gibt es bereits. Ende vergangenen Jahres war dann auch der deutsche Text fertig – zur Freude der Übersetzer und Illustratoren.
Lala, so erzählt Kent, heißt auf Polnisch „Puppe“. Eines Tages, als der knapp zehnjährige Roman mit den drei Geschwistern aus der Schule nach Hause kam, tollte ein goldfarbenes Fellbündel durch sein Elternhaus; wahrscheinlich hatte es der Vater mitgebracht. Die Kinder schlossen es sofort in ihr Herz. Nicht jedoch die Mutter, denn der Welpe war nicht stubenrein. Sie sorgte also dafür, dass er wieder verschwand – und die Kinder, dass er zurückkehrte. Alljährlich brachte die Hündin aus der Sommerfrische einen Wurf Welpen mit, der in der väterlichen Fabrik gegenüber die Tage und Nächte verbrachte. Während die Hündin jedoch am Tage dort blieb, kehrte sie nachts, jeweils mit dem schwächsten Welpen im Maul, ins Haus der Familie zurück, sodass auch der Mickerling einmal in Ruhe zum Trinken kam. Am Tage nahm sie ihn dann wieder mit zurück in die Fabrik; der Straßenverkehr stand still, wenn sie ihre Wege zu machen hatte.
Lala versteckte sich unter dem Bett vor den Nazis
Als der Krieg ausbrach und später die Familie ins Ghetto in Lódz umsiedeln musste, entschlossen sich die Eltern, die Hündin mit ihren gerade geborenen Welpen zurückzulassen bei einem polnischen Freund der Familie, einem ehemaligen Angestellten. Doch Lala behielt ihren Rhythmus bei und folgte der Familie jede Nacht in das Zimmer, in dem die Familie nun zu sechst hauste. Am Tage kehrte sie zu den Welpen zurück. Bis die deutschen Besatzer forderten, alle „jüdischen“ Hunde müssten ihnen übergeben werden. An dem Tag, an dem die Eltern sie abgeben mussten, versteckte sie sich unter dem Bett. „Lala zu verlieren war dasselbe, wie ein Familienmitglied zu verlieren“, schreibt Kent.
Innenminister Schröter bedankte sich: „Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen“, zitierte er Noach Flug. „Sie lassen vieles in der Dunkelheit zurück und setzen dennoch ein Licht der Hoffnung.“
Übrigens auch bei der zierlichen Michélle Miethke, die den wunderschönen, husky-ähnlichen Hund auf Seite 58 gemalt hat. Sie ist jetzt im Berufsvorbereitungsjahr und arbeitet an der nächsten Buchillustration – für einen Fantasy-Autor – vor. Und vom Holocaust, sagt sie, würde sie gerne mehr wissen. Darum geht es Kent – weltweit nehme der Antisemitismus merklich zu. Es sei Zeit zu handeln.
Roman R. Kent: „Mein Hund Lala. Die wahre Geschichte eines kleinen Jungen und seines Hundes während des Holocaust“, ISBN 978-3-945812-20-4, 9 Euro
Stefanie Schuster
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