Kultur in Potsdam: „Hinter der Maske“ im Barberini: Zenit der Staatskunst
Parallel zu „Hinter der Maske“ zeigt das Museum Barberini 16 Auftragswerke, die für den Palast der Republik entstanden.
Ein kalter, scharfer Wind scheint durch den Raum zu wehen. Im Kopf dröhnen Kampfeslieder und Parolen. Wer den Weg durch die Ausstellung von unten nach oben genommen hat, bekommt hier in der dritten Etage einen Ruck. Was sich zuvor als feine Qualitätsauslese von Kunst aus der DDR präsentierte, brüstet sich nun monumental im Agitprop-Gewand.
Dieser Bruch zwischen den Etagen entsprang der Idee des Museums Barberini, begleitend zur Ausstellung „Hinter der Maske“ auch die Bilder aus der Galerie des Palastes der Republik zu zeigen. Seit 1995 waren sie nicht mehr zu sehen: diese großformatigen Werke, die 1976 zum Thema „Dürfen Kommunisten träumen?“ gemalt worden sind. Der Blick auf den Osten ist indes individuell gefärbt, oft gefühlsgetränkt. Auch bei der Autorin dieses Textes. Vieles schwappt beim Betrachten wieder hoch, was einst an Interpretationserwartung mitschwang. Hier die Sieger, dort die Verlierer. Hier die Guten, dort die Bösen: Schwarz-Weiß ohne Zwischentöne. Der Kalte Krieg durchzog den Geist.
Der sachlich-fachmännische Blick des Kunsthistorikers aus dem Westen sieht differenzierter und ganz andere Facetten. Schon allein die Themenvorgabe sei doch eine Ohrfeige für trockene Bürokraten gewesen, meint der Kurator Michael Philipp. In der künstlerischen Ausführung gibt es indes einen großen Spagat. Die Schau ist eine Dokumentation, keine Ausstellung, der eine kuratorische Qualitätssichtung zugrunde liegt. „Es gab 16 Bilder und die werden auch alle gezeigt. Dabei ging es nicht um die Frage, ob sie gelungen sind oder nicht.“
Doch noch einmal zurück in die Geschichte, hinein in die DDR. Als 1973 der Beschluss gefasst wurde, den Palast der Republik in Berlin zu bauen, gab es das ehrgeizige Ziel, ihn bis zum IX. Parteitag der SED zu eröffnen. „Ein Gebäude in dieser Dimension in nur drei Jahren zu planen und zu bauen, ist kühn“, sagt Philipp. „Aber sie haben es hinbekommen. Dieses Zeitkorsett hatte indes Nachteile für die künstlerische Ausgestaltung, die von Anfang an beabsichtigt war. Sie diente, wie es mit staatstragenden Gebäuden seit der italienischen Renaissance immer getan wird, der Zurschaustellung von Macht.“ Die gesamte künstlerische Gestaltung oblag Fritz Cremer als anerkannter Persönlichkeit. Bei aller Streitbarkeit galt dieser Bildhauer, der auch das Buchenwald-Mahnmal schuf, als Integrationsfigur. Er suchte sich 1973 einige Künstler aus und entwickelte mit ihnen ein Konzept. Ihm ist auch das Thema zu verdanken: „Dürfen Kommunisten träumen?“ „Ein durchaus heikles Thema, impliziert es ja auch die Möglichkeit der Verneinung. Es ist schon interessant, dass die staatlichen Stellen das zuließen“, sagt Philipp. Cremer berief sich auf Lenin. Der hatte geschrieben: Nur indem man träumt, kann man sich entwickeln. Das Politbüro nickte ab und Cremer schlug zehn Kandidaten für die Galerie vor. Die anderen ernannte das Kulturministerium, darunter auch Walter Womacka.
Vorgegeben war entsprechend der Räumlichkeit die Höhe von 2,80 Metern. Die Breite war freigestellt, bis 5,80 Meter durfte sie sein. Das Ergebnis: Jeder malte, was er wollte und wie er schon immer gemalt hat. Bernhard Heisig ließ in kühnen Komposition seinen Ikarus steigen: als Sinnbild für Mut und Entdeckergeist und der Gefahr des Scheiterns. Wolfgang Mattheuer thematisierte erneut die Umweltzerstörung. Hans Vent zeigte die Gefahr der Vereinzelung und Isolation. Die ideologische Anleitung führte keineswegs dazu, dass das Hohelied auf den Sozialismus künstlerisch unterstrichen wurde. Philipp verweist auf das Triptychon „Die schaffenden Kräfte“ von Kurt Robbel. „Es ist banal und nur dekorativ-plakativ mit starren Konturen und nebeneinander gesetzten Flächen.“ Klar, es zeigt eine jugendliche Gemeinschaft. Sommerkleidung, Blumensträuße und Gitarre deuten eine unbeschwerte Situation an: „Aber es ist ästhetisch unglaubwürdig. Ich finde es so erstaunlich, dass man nicht gesagt hat: So geht es heute nicht mehr!“
Viele der Bilder haben überhaupt nichts mit dem Thema „Träumen“ zu tun, einige nur bedingt. Etwa die Hälfte ist antagonistisch aufgebaut, zeigt gut und schlecht, gestern und heute, Sozialismus und Imperialismus. Auf der linken Seite herrschen Monster und finstere Mächte, rechts walten Frieden und Völkerverständigung, wie in Ronald Paris’ dichtgedrängter Szenerie „Unser die Welt – trotz alledem“. Dieses Bild ist am Muralismo angelehnt, eine Kunstform, die in den 1920er Jahren nach der Mexikanischen Revolution entstand: Wandmalereien mit sozialkritischen und historischen Inhalten. „Aber ich würde mal annehmen, dass sie schon zur Eröffnung des Palastes ästhetisch veraltet waren. Die Bildsprache war nicht mehr zeitgemäß“, urteilt Michael Philipp. So wie auch Willi Sittes „Die rote Fahne – Kampf, Leid und Sieg“, die eine unübersichtliche Verbindung von barockem Pathos und ideologischer Agitation eingeht.
Aber der Kurator gibt auch zu bedenken, dass 1975, als die Bilder gemalt wurden, die Hochphase des Kalten Krieges gewesen sei. Es bestand ein massiver Ost-West-Konflikt mit atomarer Bedrohung: mit Pershings und SS-20. Noch immer tobte der Vietnamkrieg, Angola bebte und der Putsch in Chile lag noch nicht lange zurück. „Wenn man Bilder sieht, muss man die konkrete Entstehungszeit mit einbeziehen. Keiner wurde durch sie zum Kommunismus bekehrt. Aber die Werke sagen viel über den Kalten Krieg und die Zeit aus.“ Und letztlich wohl auch über den kleinen Glücksanspruch, den jeder für sich erhofft – egal, wo er lebt.
Matthias Wegehaupt inszenierte zum Beispiel in einer Umwandlung des traditionellen Bildmotivs vom Jüngsten Gericht den Weg der Menschheit vom Aufstieg aus dunklen Tiefen zum Leben in den paradiesischen Zuständen des Kommunismus. Am Ende lagert eine nackte Familie zum Picknick auf einer Blumenwiese. Ähnlich wie bei Womacka, der als einziger das gestellte Thema „richtig“ aufgegriffen hat. Er zeigt in seinem Bild „Wenn Kommunisten träumen“, dass der Traum des jungen Kommunisten nicht zuletzt im Familienwohl besteht: in einem kleinen Jungen, der Käfer beobachtet. „Träumen Kommunisten von der Kleinfamilie? War es 1975 überhaupt möglich gewesen, eine glaubwürdige Allegorie oder Bildsprache für die Utopie des Kommunismus zu finden?“, fragt Philipp. „Oder war nicht schon per se die Aufgabenstellung nicht realisierbar? Wie hat sich der Staat sehen wollen? So wie es die Bilder zeigen? Das ist zu bezweifeln.“
Zur Eröffnung des Palastes fanden die 16 Giganten noch große Aufmerksamkeit. Viele Staatsgäste wurden vor ihnen fotografiert. Das ließ jedoch schnell nach. Vielleicht spürte die Obrigkeit die Diskrepanz zwischen ihren ideologischen Höhenflügen und der Ästhetik in der Kunst. Die Palastgalerie war der letzte Staatsauftrag dieser Dimension. In diesem Sinne ist es der Zenit der Staatskunst. Danach ging es bergab. Es war ein halbes Jahr vor der Biermann-Ausbürgerung, das Ende aller Illusionen, die es vielleicht nach dem 8. Parteitag der SED noch gegeben hatte.
Diese Präsentation im Museum Barberini führt natürlich zu Reibungen. „Ich habe vielfach gehört, dass sich Besucher freuen, diese Bilder wieder zu sehen. Vielleicht weil sie persönliche Erinnerungen damit verknüpfen.“ Andere spüren den Überdruss, der auch nach so vielen Jahren nicht verflogen ist. Seit 27 Jahren sind die Werke im Depot, nur 1995 waren sie für sechs Wochen im Deutschen Historischen Museum zu sehen. „Mittlerweile ist eine Generation herangewachsen, die die Bilder nie zu Gesicht bekommen hat. Wir finden es sinnvoll, sie nach einer so langen Zeit wieder zu zeigen und sie dem Urteilsvermögen des kritischen Betrachters anheim zu geben“, sagt Michael Philipp.
Vielleicht sollte man seinen Ausstellungsbesuch oben beginnen, in den aufgeblähten Niederungen der Staatskunst und sich treppab versöhnen lassen mit Kunst, die ebenfalls in der DDR entstanden ist: feingeistig und bewegend, abseits von gefälliger Auftragskunst.
Die Palast-Galerie ist bis zum 21. Mai im Barberini zu sehen. Die Ausstellung „Hinter der Maske“ endet am 4. Februar
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