Kinderarmut in Potsdam: Hilfe, die ankommt
Tausende Kinder in Potsdam leben in armen Familien - manche sogar schon in der zweiten oder dritten Generation. Das hat Auswirkungen auf Gesundheit und Bildungschancen. Was gegen Kinderarmut helfen kann.
Potsdam - Kinder, die sich vor Hunger kaum auf den Unterricht konzentrieren können, überforderte Eltern und Kitas, die bei der Vorbereitung von Kitafahrten auf Schnäppchen achten müssen, weil es sonst für viele Eltern zu teuer wird – in Potsdam leben Tausende Kinder in finanziell schwierigen Verhältnissen, sind von Armut betroffen oder bedroht. Die Arbeiterwohlfahrt will ab dem 15. Juni mit einer Aktionswoche unter dem Motto „Nein zu Kinderarmut“ auf das Problem aufmerksam machen.
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung ist deutschlandweit fast jedes vierte Kind von Armut betroffen oder bedroht: 2,6 Millionen Kinder unter 15 Jahren wachsen demnach in einer Familie auf, die wegen des geringen Haushaltseinkommens als armutsgefährdet gilt oder Hartz-IV-Leistungen bezieht. In Potsdam gibt es derzeit laut Arbeitsagentur 2452 Familien, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, und ein oder mehrere Kinder haben. Insgesamt sind mehr als 3800 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre betroffen – das ist laut Statistik mehr als jedes siebte Kind in Potsdam. Vor fünf Jahren lag die Zahl noch bei 2364 Familien und rund 3500 Kindern. Trotz des Anstiegs der absoluten Zahl sei der Anteil leicht zurückgegangen, sagt Arbeitsagentursprecherin Isabell Wolling.
Arm und reich ist eine Frage des Stadtteils
„In Potsdam ist die Schere zwischen Arm und Reich genauso groß wie in jedem anderen Landesteil“, sagt indes Awo-Chefin Angela Basekow. Aus den Erfahrungen der 19 Awo-Kitas zeige sich zudem, dass arm oder reich in Potsdam auch eine Frage des Stadtteils ist: Dort, wo es bezahlbaren Wohnraum gibt – in den Plattenbaugebieten –, wohnen Familien mit knapper Haushaltskasse. Kita-Mitarbeiter merken das zum Beispiel an der fehlenden Kleidung – da gibt es etwa keine wetterfeste Matschhose. Ältere Kinder haben keine Hobbies, weil sich die Eltern keinerlei Ausstattung leisten können. Es komme vor, dass Kinder aus ärmeren Familien ihren Stadtteil nicht verlassen, bis sie 20 Jahre alt sind, sagt Awo-Projektleiterin Franziska Löffler: „Der Radius ist sehr begrenzt.“
Armut kann Kinder buchstäblich krank machen. Zu diesem Ergebnis war der 2013 von der Stadt erarbeitete erste „Potsdamer Gesundheitsatlas“ gekommen: Kinder aus sozial benachteiligten Familien leiden demnach öfter unter Sprachstörungen oder emotionalen und sozialen Problemen, sie nässen öfter ein und sind öfter fettleibig als ihre Altersgenossen aus bessergestellten Familien, wie Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen belegten.
Armutskarrieren über Generationen
Und: Armut und die damit einhergehenden Probleme werden vererbt. Aus den Erfahrungen von 25 Jahren Awo-Arbeit zeige sich, dass es in Potsdam schon regelrechte Armutskarrieren über mehrere Generationen gibt, sagt Awo-Chefin Basekow: „Wir betreuen heute Kinder, deren Eltern wir schon betreut haben.“ Die Awo-Chefin fordert mehr staatliche Hilfen: ein kostenloses Mittagessen oder Geld für Schulmaterial. „Der Staat müsste dafür sorgen, dass Bildung nicht vom Elternhaus abhängig ist“, sagt Basekow.
Aus dieser Motivation heraus entstand 2007 auch die Awo-Spirellibande auf Initiative des Potsdamer Werbeagenturchefs Sebastian Frenkel. Rund 250 Schüler an sechs Grund- und Oberschulen bekommen heute jeden Tag ein kostenloses gesundes Frühstück, wie Projektleiterin Löffler sagt. Eine siebte Schule soll im Sommer dazukommen. Die 8000 Euro, die das pro Monat kostet, werden von Spendern und Sponsoren finanziert. Bei dem Projekt gehe es nicht nur um Ernährung, die Mitarbeiter seien auch Vertrauensperson für die Kinder. Viele erlebten zum ersten Mal, welchen Wert ein gemeinsames Frühstück hat. Das könne helfen, um den Armutskreislauf zu durchbrechen – wenn die Kinder später Eltern werden.
Unterstützer gesucht
Um die langfristige Perspektive geht es auch bei der 2008 eröffneten Einrichtung des christlichen Kinder- und Jugendhilfswerks „Die Arche“ in Drewitz: Rund 160 Kinder und Jugendliche bekommen dort täglich ein kostenloses Mittagessen, 80 nehmen die Freizeitangebote wahr, sagte „Arche“-Leiter Oliver Valdorf den PNN. Unter den „Arche“-Gästen seien immer mehr Teenager. „Bei ihnen geht es darum, dass sie in der Gesellschaft ankommen“, sagt Valdorf. Oft seien die Eltern aus verschiedenen Gründen allein nicht in der Lage, ihre Kinder dabei zu unterstützen. Um den Teenager-Bereich zu stärken, sucht die „Arche“, die komplett spendenfinanziert ist, gerade neue Mitarbeiter.
Auch Valdorf befürwortet eine kostenlose warme Mahlzeit für alle Kinder. Er wünscht sich auch mehr einfache Hilfen: Zwar gebe es die Möglichkeit, ein kostenloses Schulmittagessen zu beantragen – aber für viele Eltern sei das zu kompliziert. „Wir brauchen einfache Hilfe, die ankommt bei den Menschen.“ Ein Ansatz sei mehr sozialpädagogische Arbeit, sagt Valdorf: „Wir brauchen Menschen, die vor Ort Beziehungen aufbauen, den Bedarf konkret sehen und praktische Hilfsangebote machen.“ Zuletzt war die Linke-Fraktion im Stadtparlament erneut mit einem Vorstoß gescheitert, sozial benachteiligten Schülern generell ein kostenloses Schulessen anzubieten. Bisher zahlen Eltern sozial benachteiligter Kinder – auf Antrag – einen ermäßigten Preis von einem Euro pro Essen.
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