Jüdischer Friedhof: Führung durch Potsdams Geschichte
Der Jüdische Friedhof in Potsdam wird noch genutzt, ist aber auch ein Ort der Stadtgeschichte. Die Urania bietet regelmäßig Führungen an.
Potsdam - Die Toten konnten sie nicht vertreiben. Der Jüdische Friedhof am Fuße des Pfingstbergs blieb, auch nachdem die Nazis die Synagogengemeinde aufgelöst und die jüdische Bevölkerung in den Tod geschickt hatte. Der Friedhof fiel 1942 in den Besitz der Stadt – und man hatte in den 1940er Jahren wohl Wichtigeres zu tun als den Friedhof zu beräumen, vermutet Wolfgang Weißleder. Er verfiel zwar, aber er wurde nicht eingeebnet. „Man baute allerdings das kriegswichtige Metall ab und plünderte Zäune und Einfassungen“, so Weißleder. Heute gehört der kleine Flecken zum Unesco Weltkulturerbe. Am Dienstag fand dort eine Führung der Urania mit Wolfgang Weißleder, Jurist und Experte für jüdische Geschichte, statt. Die Führung war seit langem ausverkauft. „Ich interessiere mich für Stadtgeschichte“, sagte eine Besucherin. „Ich bin schon oft vorbeigeradelt, war aber noch nie hier drin.“
Es ist eine sehr intensive und berührende Stadtgeschichte, die man auf dem Friedhof entdecken kann. „Ein steinernes Archiv“, sagt Weißleder, wobei er am Ende der Führung ergänzt: In vielen Fällen ergeben sich bis heute aus den Geschichten der Gräber überraschende Verbindungen in die Gegenwart und zu lebenden Nachfahren.
Gegründet wurde der Friedhof 1743, der älteste erhaltene Grabstein stammt von Michael Hirsch, dem ersten Rabbiner der Potsdamer Gemeinde. Der Friedhof wurde mehrmals erweitert, heute umfasst er etwa einen Hektar. Zu DDR-Zeiten kümmerte sich ein Ehepaar, das im Pförtnerhäuschen wohnte, um die Anlage. 1977 kam der Denkmalschutzstatus, seit 1992 werden dort wieder Gläubige bestattet. Das wird nur noch auf etwa hundert jüdischen Friedhöfen in Deutschland praktiziert – von insgesamt etwa 2000. 20 bis 30 Bestattungen sind es jedes Jahr in Potsdam. Und auch während der Führung findet eine Beerdigung statt, was den Nachmittag ins Jetzt holt.
Wer den Ort chronologisch entdecken will, beginnt in der Mitte. Die frühen Grabsteine sind verwittert, oft sind die Inschriften allerdings auch zerstört. Manche der Natursandsteine neigen sich müde talwärts. Die Schrift: Hebräisch. Weiter oben am Hang, im 19. Jahrhundert, kommt die Deutsche Sprache dazu, meist als Übersetzung des hebräischen Texts. Die Grabmale werden individueller, die Familien größer. Das Selbstverständnis als normaler Bürger einer Stadt und des Deutschen Reichs zeigt sich in Grabmalen wie dem der Familie Levy. Sohn Adolf Levy – „ausgerechnet Adolf“, sagt Weißleder, „aber das war damals ein ganz moderner Jungsname“ – starb im ersten Weltkrieg.
Ein Eisernes Kreuz schmückt das Grab des Gefallenen. Unweit die Grabstätte des Potsdamers Wilhelm Kann, Sohn einer angesehenen jüdischen Familie, deren letzte Nachkommen in den Vernichtungslagern der Nazis umkamen. Sie konnte mithilfe der John-Gersmann-Stiftung kürzlich restauriert werden. „Hier war kaum etwas erhalten, alles war baufällig und einsturzgefährdet“, so Weißleder. Der Stifter, ein aus Potsdam stammender Holocaust-Überlebender, war ein Glücksfall für den Friedhof. Gersmanns persönliche großzügige finanzielle Unterstützung ermöglicht bis heute wichtige Arbeiten und Restaurierungen, auch der 2001 aufgestellte Gedenkstein für die Opfer des Holocaust wurde von Gersmann gespendet, der sich 2003 ebenfalls hier beerdigen ließ.
Selbst gedichtete Verse auf den Grabmalen
Einige Ecken des Friedhofs erzählen schließlich von wenngleich kurzen Zeiten einer gewissen Normalität, zum Beispiele Grabmale von Familien des Potsdamer Bildungsbürgertums und Unternehmertums. Bernhard Zielenziger, geheimer Sanitätsrat, soll aufgrund seines ganzheitlichen Behandlungsansatzes sogar bei Hofe angesehen gewesen sein. Er verstarb 1906 und ließ von ihm selbst gedichtete Verse auf dem Grabmal anbringen.
Eine Generation später lebte Raphael Josephson, Jurist, Vorsitzender der Kammer, Stadtverordneter und Vorsitzender der Synagogengemeinde. Er verstarb 1934 in seiner Heimat. Seine Frau Martha wurde zehn Jahre später in Theresienstadt ermordet. In der sich mehrere Meter entlang der Mauer erstreckenden Anlage blieben zwei für die Namenstafeln Angehöriger gedachte Felder frei: das Ende einer Familie.
Inschriften auf hebräisch, russisch und deutsch
Die Natur überdeckt hier dennoch alles mit einer wilden Schönheit; Farne, Wiesenblumen, Brombeergestrüpp, darüber dichte Baumkronen. Unten am Hang wird es bunt und modern. Die Gräber sind nicht nur mit Steinchen, wie es der jüdischen Tradition entspricht, sondern auch mit Blumen geschmückt. Die Inschriften sind oft dreisprachig: hebräisch, russisch und deutsch. Es ist an diesem Tag ein friedlicher Ort.
Die nächste Führung für acht Euro mit Wolfgang Weißleder ist am 10. September um 15 Uhr.
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