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Letzte Plätze in Potsdamer Studentenwohnheimen vergeben: Frieren für den Wohnheimsplatz

Am sogenannten Tag der freien Vergabe versuchen Studenten an die wenigen übrigen Wohnheimsplätze beim Studentenwerk zu kommen. Doch nur wer schon die Nacht zu Dienstag dort verbrachte, hatte eine Chance.

Das hätte Marian Enke vor ein paar Monaten nicht für möglich gehalten: Dass er seine erste Nacht als Student in Potsdam vor den Türen des Studentenwerks Potsdam statt in seinem eigenen Bett verbringen würde. „Ich habe mich im April für ein Zimmer im Studentenwohnheim beworben, aber das war bereits zu spät“, sagt der 20-Jährige am Dienstagvormittag. Am Montagabend schon habe er sich deshalb auf den Weg von Rathenow nach Potsdam gemacht, um Dienstagfrüh vielleicht doch noch an eine studentische Unterkunft zu kommen – denn am sogenannten Tag der freien Vergabe werden vom Studentenwerk in der Babelsberger Straße letzte freie Zimmer in der Landeshauptstadt vermietet. Nur, wer sich frühzeitig in die ausgelegte Liste einträgt und Dienstagmorgen bei Öffnung der Einrichtung geduldig wartet, bis er aufgerufen wird, hat eine Chance. 

Allerdings auch insgesamt nur die schnellsten 30 Personen, mehr Plätze können nämlich vom Studentenwerk für das neue Semester nicht mehr vergeben werden. Enke hat Glück, ist relativ vorne mit dabei – weil er mit etwa 25 weiteren Studenten im Hausflur des Studentenwerks in der Babelsberger die ganze Nacht ausgeharrt hat, bis sich die Türen öffnen. Einige davon reisten am Vorabend an, andere kamen gegen fünf Uhr in der Früh dazu. Schon um sieben Uhr am Morgen bildete sich eine Menschenmenge vor den Büros der Mitarbeiter des Studentenwerks, im Hausflur lagen noch zusammengerollte Schlafsäcke und die Reste einer ruhelosen Nacht: Kaffeebecher, Brötchentüten, Bananenschalen.

Nur 8,6 Prozent der Potsdamer Studenten bekommen einen Platz

„Wir können an Plätzen ja leider nur vergeben, was auch da ist“, erklärt die Sprecherin des Studentenwerks, Josephine Kujau. Insgesamt seien das für die Technische Hochschule in Wildau, die Technische Hochschule Brandenburg und die Potsdamer Hochschulen 2800 Wohn- und Bettplätze, davon 2234 in Potsdam – für rund 26000 Studenten alleine in der Landeshauptstadt. „Das bedeutet, dass nur 8,6 Prozent der Studierenden in Potsdam von uns versorgt werden können“, so Kujau.  Die 30 letzten Plätze – überwiegend in Wohngemeinschaften oder in Doppelzimmern – sind daher bereits um 11 Uhr am Dienstagvormittag vollständig vergeben. 101 Studierende hatten sich an diesem Tag darauf beworben, viele davon aus anderen Bundesländern, aus verschiedenen europäischen Ländern, aber auch aus Afrika oder Indien. 

50 Mails hat der Student an WGs geschickt - ohne Erfolg

„Mir ist völlig egal, wo ich unterkomme“, sagt Marian Enke. Seit April habe er bei seiner Suche etwa 50 Mails an Wohngemeinschaften geschickt und nur Absagen erhalten. Gekostet hätte ein WG-Zimmer zwischen 300 bis 800 Euro, „eigentlich sowieso zu teuer“, wie der angehende Linguistik-Student sagt. Ein studentischer Platz in einem Doppelzimmer sei zwar nicht ideal, aber angesichts der Umstände völlig in Ordnung, auch weil die Zimmer im Schnitt nur 237 Euro kosten. Täglich mehr als zwei Stunden mit der Bahn pendeln sei für ihn die schlechteste Option.

Der Student Marian Enke beim Tag der freien Vergabe des Studentenwerks Potsdam.
Der Student Marian Enke beim Tag der freien Vergabe des Studentenwerks Potsdam.
© Andrea Lütkewitz/PNN

Was für den jungen Mann kein Problem darstellt – sich auch auf dem privaten Wohnungsmarkt umzusehen –, sei für Menschen aus anderen Ländern wegen der Sprachbarriere meist nicht möglich, sagt Florian Rumprecht vom studentischen Aktionsbündnis „Unter Dach und Fach“. Symbolisch hat er mit und weiteren Studenten am Dienstag auf der Langen Brücke ein Zelt aufgeschlagen. Sie halten Transparente hoch, auf denen zum Beispiel „Brandenburg – es kann so einfach sein. Ist es aber nicht“ zu lesen ist, in Anlehnung an die aktuelle Landeskampagne der rot-roten Regierung. 

Eine junge Frau aus Nigeria wohnt derzeit noch im Hostel in Berlin

„Die Suche ist an sich schon schwer, für Studierende aus dem Ausland ist es noch schwerer“, so Rumprecht. Eine junge Frau aus Nigeria etwa, die seit vier Uhr in der Früh gewartet hat, weiß nicht, wie es weitergeht, wenn sie kein Zimmer bekommt. Im Moment wohne sie in einem Hostel in Berlin, keine gute Lösung. Und auch der Ungar Obed Guliasch, der mit seinem Vater Michael gekommen ist, ist ratlos. Dass jemand einen Studienplatz, aber keine Wohnmöglichkeit bekomme, kenne er aus Ungarn nicht. 

Entspannung ist allerdings weder aus Sicht von Kujau noch seitens des Aktionsbündnisses zu erwarten. „Bis heute haben wir um die 3450 Bewerbungen. Angenommen, es werden bis zum Jahresende noch zirka 100 mehr, hätten wir im Vergleich zu 2013 eine Zunahme an Bewerbungen um 65 Prozent“, erklärt Kujau. 

Kritik an der Landesregierung

Rumprecht und seine Mitstreiter von „Unter Dach und Fach“ machen dafür ganz konkret das Brandenburger Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur verantwortlich: „Es sind keine Bemühungen erkennbar, ausreichend studentischen Wohnraum in Potsdam zu schaffen“, sagt Kilian Binder vom Aktionsbündnis. Zwar würden in Golm und Wildau bis 2020 etwa insgesamt 400 Plätze geschaffen, aber das reiche bei Weitem nicht aus. „Potsdam wächst seit Jahren enorm, die Uni wirbt Studierende, aber in den Haushaltsplänen im Ministerium wurden einfach keine neue Studentenwohnungen mitgedacht“, so Binder. „Verantwortungslos“, sagt er.

Seitens des Studentenwerks weise man das Land Brandenburg immer wieder auf die präkere Situation hin, erklärt Kujau. Immer noch sei es so, dass die brandenburgischen Studentenwerke keine Berücksichtigung in Landesförderprogrammen fänden, keine Darlehen auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden dürften und de facto keine Richtlinie zu Neubau und Sanierung von Studentenwohnheimen existiere. Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD) hatte unlängst zumindest angekündigt, neue Richtlinien zum studentischen Wohnen im Wohnungsbauprogramm des Landes anzustreben, um die Zahl studentischer Wohnungen zu steigern. 

Alles in allem fühle man sich als Student in Potsdam nicht gerade willkommen, ist man sich im Aktionsbündnis einig – was allerdings nicht am Studentenwerk liege, das sehr transparent arbeite und sich engagiere, soweit es ginge. Ein kleiner Trost an diesem Tag sei aber, dass die Situation zu einer Solidarisierung unter den Studierenden führe statt zu Konkurrenzverhalten, wie unter den Wartenden im Studentenwerk wahrnehmbar sei. „Es gibt weder Gedrängel noch Beschwerden, man lernt sich und die Situation der anderen hier eher kennen“, sagt auch Marian Enke. Gemeinsam verbrachte kalte Nächte schweißen offenbar zusammen. (mit Kix)

Andrea Lütkewitz

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