Potsdam: Freude, Wut und Schmerzbewältigung
Die Fachhochschule am Alten Markt ist weg. Am letzten Abrisstag brachen sich bei Zaungästen Gefühle Bahn
Innenstadt - Sie stehen im Schatten, eine Wohltat an diesem heißen Donnerstagnachmittag. Einige fotografieren, viele gucken einfach zu, mit unbewegten Mienen. Die 30, vielleicht 40 Menschen sind Zeuge des Endes eines höchst umstrittenen Ereignisses. Seit dem gestrigen frühen Abend ist vom Gebäude der früheren Fachhochschule am Alten Markt zumindest oberirdisch nichts mehr übrig, sieht man einmal von den noch vorhandenen Haufen von Betonschutt und verbogenen Bewehrungsstählen ab. Der an einen gigantischen Raubsaurier erinnernden Abrissbagger hat sein Werk getan und die Stahlbeton-Konstruktion binnen gut dreier Monate in Stücke zerbissen. Die alte FH ist – 41 Jahre nach ihrer Eröffnung als Institut für Lehrerbildung der DDR – Geschichte.
„Ich bin froh, dass das jetzt endlich weggkommt“, sagt ein alter Mann, der lieber anonym bleiben möchte. Er meint aber den „ganzen Staub und Dreck“, nicht das Gebäude selbst. „Ich bin empört, dass es abgerissen wurde“, sagt der Mann. „Man hätte es sanieren und für einen vernünftigen Zweck verwenden können.“ Viele der Anwesenden sehen das so, auch wenn ihre Gesichter das nicht immer verraten. Kathleen Müller zum Beispiel klebt laminierte Fotos aus besseren Tagen der FH an den roten Bauzaun. Studenten sind darauf zu sehen, lachende Gesichter, auch Proteste gegen den Abriss. „Das ist Schmerzbewältigung“, sagt die 59-jährige Potsdamerin. Sie kenne viele, die den Platz in den letzten Monaten gemieden hätten, während der Abrissbagger täglich mehr von der Substanz des Gebäudes wegfraß.
Die, deren Job das ist, steht zur gleichen Zeit auf der anderen Seite des Bauzauns. Als Chefin des städtischen Sanierungsträgers ist Sigrun Rabbe für die ordnungsgemäße Beseitigung der Fachhochschule verantwortlich. Der Sanierungsträger hat zum Fototermin geladen, Motto: „Letzter Stein der Fachhochschule fällt“. Zu diesem Anlass hat Rabbe Zahlen parat: 303 000 Tonnen Beton wurden entsorgt, 205 Tonnen asbesthaltige Dachpappe und 130 Tonnen schadstoffbelastetes Holz. Mit dem Fortgang der Arbeiten ist man beim Sanierungsträger zufrieden, Rabbe skizziert den Fahrplan fürs Kommende. Bis nächste Woche sollen die Schuttberge beseitigt sein, danach wird die Kellerdecke geöffnet und für den Bagger ein Fundament aufgeschüttet. Dann frisst sich das stählerne Ungetüm durchs Untergeschoss. Stützen, Wände und Decken werden beseitigt. Bis zum Jahresende soll die entstandene Grube mit Erde aufgefüllt und verdichtet werden. Dann, so Rabbe, seien die Grundstücke reif für die Neubebauung.
Bekanntlich sollen auf der entstandenen Brache zwei neue Karrees in der historischen Stadtstruktur entstehen. Für das erste, dem Alten Markt zugewandte Quartier, stehen die Bauherren bereits fest. Unter anderem bauen auch die Genossenschaften „Karl Marx“ und PWG 1956 zu einem guten Teil an dieser neuen Mitte mit, letztere ist sogar erst vor wenigen Wochen für einen Hamburger Investor nachgerückt und hat so noch den Zuschlag für das Knobelsdorff-Haus mit historischer Fassade an der Ecke zur künftigen Kaiserstraße bekommen. Insgesamt sollen fast drei Viertel der im Karree entstehenden Wohnungen Sozialwohnungen oder mit Kaltmieten von unter zehn Euro pro Quadratmeter zumindest vergleichsweise preisgünstig sein.
Bis Juli 2019 hätten alle Bauherren Zeit, ihre Bauanträge vorzulegen, sagt Rabbe. Parallel will der Sanierungsträger bis Ende 2019 bereits die Schwertfeger- und die Schloßstraße verlängern und die Kaiserstraße anlegen, die das neue Karree künftig abgrenzen. Deren Fahrbahnen werden asphaltiert, die Gehwege nach historischem Vorbild gepflastert.
Dank des Baustellenlogistikkonzepts sei es möglich und erwünscht, dass alle Bauherren mehr oder weniger zeitgleich loslegen, sagt Rabbe. Dabei könnten auf die Investoren durchaus noch unangehme Überraschungen zukommen: Munitionsfunde auf den Flächen, die nicht mit der FH bebaut waren, seien nicht ausgeschlossen, so Rabbe. Die Beseitigung müssten die Bauherren selbst bezahlen. Wenn alles planmäßig läuft, soll das neue Quartier 2022 fertig sein.
Derweil hat sich der große Bagger, assistiert von einem kleineren Kollegen, zu den letzten Wänden der FH vorgearbeitet. Caroline Püschel schirmt die Augen gegen die Sonne ab. Die junge Frau wohnt seit sieben Jahren in Potsdam. Sie weint der FH keine Träne nach. Wirklich schön sei die doch nicht gewesen, zudem würden dafür doch viele neue bezahlbare Wohnungen gebaut. „Ich freue mich auf das, was jetzt kommt“, sagt sie. „Das ist gut fürs Stadtbild.“
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