Potsdamer Attraktion: Familie Grün ist wieder zu Hause
Die Replik des berühmten Potsdamer Figurenensembles steht seit Sonntagmorgen wieder an der Brandenburger Straße.
Potsdam - Der letzte Schutt ist beiseite geräumt, der Bauzaun demontiert: Pünktlich um 10 Uhr heißt die Kulturbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) am Sonntag drei Potsdamer Unikate aus Keramik willkommen. Nach siebenjähriger Abwesenheit ist die bei Einheimischen wie Touristen gleichermaßen beliebte, sicher zehntausendfach fotografierte Familie Grün wieder zu Hause.
Das 1980 eingeweihte Figurenensemble des Künstlerehepaars Carola und Joachim Buhlmann, das zum Erscheinungsbild der Stadt gehört wie das Hotel Mercure, hatte im Laufe der Zeit erhebliche Blessuren erlitten; 2013 war es demontiert und eingelagert worden. Ein Jahr lang hat die Künstlerin Kerstin Becker aus Zossen (Teltow-Fläming) an der Replik gearbeitet, nun steht die Familie Grün wieder an ihrem angestammten Platz an der Kreuzung der Brandenburger Straße/Lindenstraße – als eines der wenigen Überbleibsel aus der DDR-Zeit.
Skulpturen stehen für Menschen aus dem Volk
Die Straße war noch nach dem tschechoslowakischen Präsidenten Klement Gottwald benannt, einem der härtesten Stalinisten im Bund der sozialistischen Bruderstaaten, als die örtlichen Kommunalpolitiker sie bis 1979 zur Fußgängerzone umbauen ließen. Die Werkstatt der damals noch von der Staatsmacht respektierten Buhlmanns erhielt den Auftrag, zur künstlerischen Neugestaltung beizutragen. Sie entwarfen eine mannshohe, dreiköpfige Familie: Vater, Mutter und Sohn, die so wirkten, als hätten sie sich für den Sonntagsspaziergang fein gemacht. Aber sie standen nicht für die Piekfeinen der Stadt, sondern eher für Menschen aus dem Volk.
Buhlmanns glasierten ihre Keramikfiguren in Kupfergrün – und gab damit die Vorlage für den Namen, den der Volksmund schuf. Die Familie Grün war geboren, und mühelos überstand ihr Name, so wunderbar unpolitisch und zeitlos er war, den Systemwechsel während der Wende, auch als die Klemens-Gottwald-Straße wieder in Brandenburger Straße zurückgetauft wurde.
Künstler fiel in Missgunst
Buhlmann selbst konnte froh sein, sein Potsdamer Werk vollendet zu haben, bevor er, noch zu DDR-Zeiten, in Missgunst fiel. Als bekennender Linker hatte er die „Diktatur des Egos” im sozialistischen deutschen Staat angeprangert. Er blickte 2004 mit Bitterkeit auf seine DDR-Biografie zurück: „Meiner humanistischen, kritischen Gesinnung wegen als Mensch und Künstler disqualifiziert. Mit Repressalien belegt. Keine Ausstellungen, keine Aufträge, zum Feind des Sozialismus erklärt. Seit 1984 bespitzelt”, zitierten ihn die PNN. Joachim Buhlmann starb 2008, seine Frau sechs Jahre nach ihm.
Mehrfach schrammten Autos an den Skulpturen entlang, auch reagierten sich Vandalen an ihnen ab. Kurz nachdem die Grüns 1980 Platz genommen hatten, so berichtete die MAZ 2018, habe ein junger Mann aus Mahlow „der Familie Grün in seinem Suff mit einem Bierkasten die Köpfe abgehauen”. Schnell griff die Stasi ein, und mit Hilfe des Schilds und Schwerts der Partei war der Täter binnen kurzem dingfest gemacht.
Vor der Wende wie nach der Wende: Stets blieben die drei Potsdamer namens Grün Stadtgespräch. Wirkte der bärtige Herr Grün, der seine rechte Hand etwas unterhalb des Herzens ruhen ließ, als wolle er ein stilles Bekenntnis zur Aufrichtigkeit abgeben, nicht wie ein Zeitgenosse aus den siebziger Jahren? Und hatte der Künstler Buhlmann nicht Frau Grün mit einem langen Kostüm und Puffärmeln, mit dem flachen, grünen Hut und einer blauen Perlenkette um den Hals besonders akkurat auf den Familienspaziergang vorbereitet? Dass man ein starkes Selbstbewusstsein durch in die Hüfte gestemmte Arme demonstrieren kann, hat der Sohn offensichtlich von den alten Grüns kopiert.
Gerüchte um ominöses Mädchen
Dann rankten sich Gerüchte um das ominöse „Mädchen mit den Zöpfen”. Angeblich, fabulierten manche, hätten die Grüns ursprünglich zwei Kinder um sich geschart, das Mädchen aber sei plötzlich „verschwunden”. Katja Buhlmann, Tochter des Künstlerpaars und selbst Künstlerin in Fahrland, dementiert die Spekulation klipp und klar.
Ebenso klar war 2013, dass die Grüns zu neuem Leben erweckt werden und zurückkehren sollten. Es habe viele Nachfragen im Rathaus gegeben, etliche Potsdamer hätten wissen wollen: „Wo ist die Familie Grün?” sagt am Sonntag die Beigeordnete Aubel, die dem Anlass angemessen in schickem Grün zu den Grüns kam. Es war ein kleines, aber deutlich vernehmbares und über die Jahre immer wieder erneuertes Bürgerbegehren, das sich da ausdrückte – die Grüns sollten zurückkommen.
Die Stadtverordneten griffen es auf und stellten im Haushalt das Geld für diese besondere Form der kommunalen Familienhilfe bereit. 52 000 Euro kostete das jüngste Kulturprojekt der Stadt. 2430 Euro gingen als Spenden von Bürgern ein, 49 570 Euro standen im Haushalt bereit für die Nachbildung der Skulpturengruppe. Buhlmann-Tochter Katja war am Sonntag sehr angetan von der Arbeit ihrer Künstlerkollegin Kerstin Becker: „Was sie mit unserer Familie Grün gemacht hat, ist wirklich toll geworden.”
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