Potsdam: „Es gibt eine berechtigte Hoffnung für Pia"
Jeanine Hillmann, die Mutter der sieben Jahre alten krebskranken Potsdamerin, ist dankbar für 117152,85 Euro Spenden für die teure Therapie.
Frau Hillmann, wie hält man aus, was Sie und ihr Mann jetzt aushalten müssen?
Eltern wissen: Wenn man Kinder hat, muss man funktionieren, egal, was passiert. In solchen schwierigen Lebenssituationen hilft das manchmal durch die tiefsten Täler. Und wir erleben die Zeit mit Pia viel bewusster, viel intensiver.
Können Sie nachts schlafen?
Wochenlang kaum, aber jetzt wieder. Seit so viele Menschen uns mit Spenden geholfen haben, für Pia eine alternative Therapie bezahlen zu können, gibt es einen Hoffnungsschimmer.
Sie haben am 11. September in der Berliner Charité die Diagnose erhalten, dass Ihre sieben Jahre alte Tochter Pia an einem inoperablen Gehirntumor leidet. So einen Tag vergisst man nicht.
Niemals. Es war ein Schlag ins Gesicht. Die Ärzte haben nicht gesagt, dass die Diagnose ein Todesurteil ist, aber wir wussten, wie es um unsere Tochter steht.
Wann gab es erste Symptome?
Mitte bis Ende Juli klagte sie mehrmals täglich über Kopfschmerzen am Hinterkopf. Ende August hatte sie eine Lungenentzündung, dann sprach sie plötzlich sehr undeutlich und ihre linke Körperhälfte war wie gelähmt. Sie hatte keine Kraft mehr.
Dann hat ihr Mann mit Pia einen Potsdamer Kinderarzt aufgesucht.
Es ging alles sehr schnell. Der Kinderarzt hat uns sofort eine Überweisung zur Magnetresonanztomografie ins Ernst-von- Bergmann-Klinikum ausgestellt. Die Ärzte stellten einen Gehirntumor fest, mit einem Krankenwagen ging es gleich zur Charité. Dann weitere MRT-Bilder, und am späten Abend erhielten wir die Diagnose.
Die Dramatik der Erkrankung war Ihnen dann klar?
Ja. Der Tumor ist nicht operabel, hieß es, zu nah am Hirnstamm. Pia hat das Diffuse Intrinsische Pinsgliom, kurz DIPG. Die Ärzte sagten uns, dass ihr noch sechs bis neun Monate bleiben würden. Und dass sie an dem Tumor sterben wird.
Sie waren verzweifelt, haben aber gleich nach alternativen Behandlungsmethoden gesucht?
Ja, aber das haben unsere besten Freunde, vor allem Florina und Ronny, gemacht. Mit der Diagnose DIPG suchten sie Stunde um Stunde im Internet. Zum Glück haben wir einen großen Freundeskreis, und alle haben uns unglaublich geholfen. Sie haben auf unseren 17 Monate alten Phil aufgepasst, wenn wir zu den 30 Bestrahlungen in die Charité fuhren und dann, das war das Wichtigste, einen alternativen Therapieversuch ausfindig gemacht, der uns Hoffnung macht.
Sie sprechen vom neuen DIPG Centre for Expertise am Universitäts-Kinderspital im schweizerischen Zürich und dem Medikament ONC201.
Man hat dort gute Erfahrungen damit. Von Ärzten des Spitals wissen wir, dass Patienten gut auf ONC201 angesprochen haben. Bei einem Kind ist der Tumor vollständig zurückgegangen, bei anderen ist er stabil oder rückläufig.
Daran klammern Sie sich.
Ja, für uns gibt es eine berechtigte Hoffnung für Pia.
Wie hoch sind die Kosten für die Behandlung?
Die Durchsicht der ersten Unterlagen in Zürich kostete 350 Schweizer Franken, dann stellten wir Pia in der Schweiz vor, was 2000 Franken, umgerechnet 1815 Euro, kostete. Wir haben jetzt für zweieinhalb Monate 4200 Euro bezahlt, dieser Betrag wird aber durch das neue Medikament steigen, weil auch mit einer Erhöhung der Dosis zu rechnen ist. Mein Mann arbeitet als Elektromeister im Ernst-von-Bergmann-Klinikum, ich bin kaufmännische Angestellte in Elternzeit. Als Normalverdiener hätten wir das niemals stemmen können.
Ihre Krankenkasse zahlt nichts?
Nur Blutuntersuchungen, die MRT und die Biopsie, die in der Charité gemacht wurde. Weil das Medikament zwar in den USA und der Schweiz getestet wird, aber es noch keine offizielle Zulassung gibt, verweigern die Krankenkassen die Übernahme der Kosten. Der Sportverein Black Bears, in dem auch Pia spielt, hat dann einen Spendenaufruf gestartet. Alle Rechnungen für die Ärzte und die Medikamente werden direkt von dem Spendenkonto bezahlt.
Haben Sie sich gefragt: Warum trifft gerade uns das?
Ja, das hat uns beschäftigt. Es tauchte vor allem die Frage auf: Warum schon wieder wir? Aber wir haben keine Antwort darauf gefunden. Bei mir wurde vor fünf Jahren Kieferhöhlenkrebs diagnostiziert. Ich wurde operiert, gelte inzwischen aber als geheilt.
Manche finden in Krisen Kraft durch ihren Glauben. Sind Sie gläubig?
Nein.
Haben Sie psychologische Hilfe in Anspruch genommen?
Die Charité hat uns das sofort angeboten. Aber wir haben wegen der großen Hilfe unserer Freunde darauf verzichtet.
Bis Donnerstagabend sind auf Ihrem Spendenkonto 117152,85 Euro eingegangen. Nach nur einer Woche. Hatten Sie mit einer solchen Anteilnahme gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Tag für Tag wurden unsere kühnsten Hoffnungen unfassbar übertroffen. Wir sind überwältigt von soviel Mitgefühl. Wir haben unser Spendenziel von 100 000 Euro übertroffen und das Konto jetzt geschlossen.
Wissen Sie, wo die Spender zuhause sind?
Nur bei wenigen. Es sind Schweizer Franken auf dem Konto eingegangen und eine Spende aus den USA, die meisten aber stammen aus allen Teilen Deutschlands. Unser Spendenaufruf hat sich über die sozialen Medien unglaublich verbreitet.
Wie hoch war die größte Spende?
5000 Euro von einem Potsdamer Autohaus.
Wie lange werden die Spenden ausreichen, um die Kosten für Pias Therapie decken zu können?
Ein bis zwei Jahre.
Wie geht es Pia im Moment?
Sie hat ja am vergangenen Samstag damit begonnen, ONC201 zu nehmen. Das war am Anfang nicht so einfach für sie, weil die Tabletten zwei Zentimeter lang sind. Seitdem hat sie nur einmal, am Dienstag, Kopfschmerzen gehabt. Sie geht in die Schule, sie schläft gut. Pia hat auch keine Sprachstörungen mehr. Sie war immer ein ausgesprochen fröhliches Kind und ist es auch jetzt. Sie spielt ja leidenschaftlich gern Fußball. Die Ärzte haben ihr das zwar nicht verboten, aber dafür ist sie noch zu schwach.
Hilft die Fröhlichkeit, die Pia trotz allem ausstrahlt, Ihnen als Eltern sogar, mit der Traurigkeit umzugehen?
Ganz sicher. Wenn Pia nach dem Unterricht in der Neuen Potsdamer Grundschule nach Hause kommt und erzählt, was sie dort erlebt hat, ist es eigentlich wie immer. Sie ist immer gern zur Schule gegangen und kommt immer mit Geschichten nach Hause. Und ihr zuzuhören, das gibt mir Kraft.
Pias Mitschüler in der ersten Klasse wissen, dass sie schwerkrank ist?
Ja, alle.
Wer hat es ihnen erzählt?
Pia selbst. Es war am vergangenen Mittwoch, eine Schulpsychologin hat das ganz toll gemacht. Es gab ein Frage- und Antwortspiel. Pia saß vor den anderen, und alle konnten ihr Fragen zu ihrer Krankheit stellen.
Hat sie selbst von Krebs gesprochen?
Ja. Sie weiß, dass sie krank ist, sie weiß, dass Krebs eine schwere Krankheit ist. Sie hat darüber gesprochen und ihren Mitschülern erzählt, dass sie mit großen Tabletten dagegen kämpft. Ich hab’ gehört, dass sie das sehr gut gemacht hat. Ein Junge sagte, nun wisse er, warum Pia gern Arzt gespielt hat. Früher ist sie tatsächlich oft mit einem Arztkoffer für Kinder herumgezogen.
Weiß Pia, dass man an Krebs sterben kann?
Sie kann die Begriffe Krebs und Tod zusammenbringen. Ob sie die Bedeutung, die Tragweite begreift, kann ich nicht einschätzen. Sie weiß, dass auch ich Krebs hatte. Und ich denke manchmal: Vielleicht ist es für Pia gut, dass ihre Mutter krebskrank war, denn sie sieht ja, dass ich lebendig vor ihr stehe.
Viele Eltern öffnen, bevor sie selbst zu Bett gehen, die Tür zum Kinderzimmer, schauen ihren Kindern einen Moment lang beim Schlafen zu und sind dann sehr berührt von diesem Anblick, jedes Mal.
Das kenne ich gut, das machen wir auch so. Aber es hat sich verändert, seit Pia krank ist. Man steht da, sieht sie, deckt sie zu, wenn sie sich freigestrampelt hat. Und man hofft so sehr, dass sie das alles überlebt.
Carsten Holm
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