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Populisten laufen nie einer Stimmung hinterher, so der Potsdamer Politologe Gideon Botsch. Sie erzeugen vielmehr Stimmungen und präsentieren diese dann als die des Volkes. Hier Teilnehmer einer Demonstration des Bürgervereins „Zukunft Heimat“ gegen Flüchtlinge in Cottbus.
© Carsten Koall, dpa

Vom Populismus zum Extremismus: Eine Neubewertung der AfD ist überfällig

Populisten mobilisieren Gefühle. So gelang es der AfD, die Angst vor Zuwanderung als vorherrschende Stimmungslage darzustellen Die CSU scheiterte mit dem Versuch, mitzuhalten. Ein Gastbeitrag. 

Das Populismusbarometer 2018 des Wissenschaftszentrums Berlin und der Bertelsmannstiftung hat ermittelt, dass populistische Einstellungen unter den Wahlberechtigten in Deutschland zunehmen. Dreißig Prozent der Befragten teilen derartige Einstellungen.

Aber was ist Populismus? Der Begriff ist aus politikwissenschaftlicher Sicht immer schon schwierig gewesen, in den aktuellen Debatten schießt er ins Kraut. Als verbindendes Merkmal gilt, dass im Populismus ein strikter Gegensatz zwischen dem „Wir“, dem „Volk“, und dem „Die“, der „volksfremden Elite“, konstruiert wird. Dies geschieht auf Basis einer „dünnen Ideologie“: Als „winning formula“ populistischer Rechtsparteien bezeichnet die Forschung eine möglichst flexible Ansprache möglichst vieler Wählerinnen und Wähler. Typisch ist dabei eine Mobilisierung von Gefühlen – besonders negativen, wie Angst und Hass – und im Falle des Rechtspopulismus immer auch von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wenn nun die Zustimmung zu einer Positionierung gemessen wird, die per definitionem auf möglichst breite Zustimmung in der Wählerschaft angelegt ist, darf man sich nicht wundern, dass diese auch hoch ausfällt.

Flüchtlingskrise 2015/16 war eine Gelegenheit für die AfD

Das Populismusbarometer 2018 ist unbedingt lesenswert und enthält eine Vielzahl interessanter Zahlen und Daten. Dennoch habe ich erhebliche Bedenken, Populismus als Einstellungsmerkmal zu operationalisieren. Bislang standen im Fokus des Interesses Akteure, welche populistisch agieren. Mit dem Begriff wurde eine bestimmte Handlungsweise, ein Stil, manchmal nur eine bestimmte Technik charakterisiert. Cas Mudde, der weltweit zu den führenden Populismusforschern zählt, betont die Bedeutung der „Angebotsseite“ für eine erfolgreiche Mobilisierung. Damit meint er zum einen die Gelegenheitsstrukturen, die Populisten mehr oder weniger gut zu nutzen wissen.

Im Fall der AfD ist vor allem an die so genannte Flüchtlingskrise der Jahre 2015/16 zu denken. Von ebenso großer Bedeutung sind die entsprechenden Parteien selbst, ihre innere Geschlossenheit, Mobilisierungsfähigkeit und die von ihnen verfolgten Strategien. Auf der Nachfrageseite, die mit den Messinstrumenten der empirischen Sozialforschung ermittelt werden kann, werden dagegen bisher Einstellungsmerkmale wie Autoritarismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit abgefragt. Hierfür ermittelt die politische Kulturforschung in Deutschland seit Jahrzehnten Zustimmungswerte, die mehr oder weniger den Wahlergebnissen der AfD entsprechen.

Die CSU-Führung nahm an der Stimmungsmache teil

Demokratische Politikerinnen und Politiker könnten sich durch die hohen populistischen Nachfragewerte zu opportunistischem Auftreten verleiten lassen. Auf der Linken gilt dies derzeit für Sahra Wagenknecht, auf der Rechten für die Führung der CSU. Stimmungen in der Bevölkerung, die von den Populisten angeblich artikuliert werden, wollen sie aufgreifen. Bisherige Erfahrungen zeigen: derartige Strategien scheitern zumeist. Sie beruhen auf einem Missverständnis: Der erfolgreiche Populist läuft niemals einer Stimmung hinterher; er erzeugt vielmehr Stimmungen und präsentiert sie dann als die des Volkes. So war im Sommer 2015 eine im deutschen Volk verbreitete Stimmung von Solidarität mit den Flüchtenden zu erkennen; dem entsprach eine lebendige Willkommenskultur. Dennoch gelang es der AfD und ihren Bündnispartnern auf der Straße, die Angst vor Zuwanderung als beherrschende Stimmungslage darzustellen. Die CSU-Führung nahm an dieser Stimmungsmache teil, übersah aber gegenläufige Tendenzen an der eigenen Basis. Der CSU hat das sichtlich geschadet, der AfD dagegen genützt.

Eine Bewertung der AfD mit Blick auf den Rechtsextremismus ist überfällig

Die Begriffsverwirrungen um den Populismusbegriff deuten auf Hilflosigkeit. Offenbar soll mit „Rechtspopulismus“ etwas bezeichnet werden, das irgendwie als rechts und irgendwie als unangenehm wahrgenommen wird. Es ist eine Vermeidungsstrategie: Teile der Öffentlichkeit, auch staatliche Behörden, schrecken davor zurück, von Rechtsextremismus zu sprechen. Rechtspopulismus wird zum Stellvertreterbegriff. Dabei wäre eine Bewertung der AfD mit Blick auf den Rechtsextremismus überfällig. Nach meiner Auffassung muss sie spätestens seit dem Einzug in den Deutschen Bundestag – und der seither praktizierten Absage an eine konstruktive parlamentarische Opposition – als rechtsextrem dominiert gelten. Das schließt nicht aus, dass immer noch Kräfte in der AfD vertreten sind, die nicht extremistisch sind, aber sie können offenbar derzeit auf Bundesebene keine Mehrheiten mehr mobilisieren. Die jüngsten, Woche für Woche radikaler ausfallenden Einlassungen des Parteivorsitzenden Alexander Gauland bestätigen meine Einschätzung. Den von ihm aufgebauten brandenburgischen Landesverband bewerte ich seit längerem als rechtsextrem. Was die demokratischen Länder in- und außerhalb Europas derzeit herausfordert, sind heterogene Sammlungsbewegungen von rechts. Ihre Anhänger lassen sich nicht mit einem einzelnen Begriff kennzeichnen – sei es rechtsextrem, rechtspopulistisch, völkisch oder fremdenfeindlich. Ihr verbindendes Merkmal ist ein rekonstruktiver Nationalismus, der sich oft als Patriotismus darstellt. Donald Trump brachte das Credo dieser Strömungen Ende September vor der UN-Vollversammlung zum Ausdruck: „Wir weisen die Ideologie der Globalisierung zurück und bekennen uns zur Doktrin des Patriotismus.“

In Deutschland agieren die einzelnen Strömungen der radikalnationalistischen Sammlungsbewegung derzeit arbeitsteilig auf vier Handlungsfeldern. Erstens parteipolitisch, in Wahlkämpfen und Parlamenten. Die AfD ist hier der wichtigste, aber nicht der einzige Akteur. Zweitens in Form von Straßenprotesten, etwa von Pegida oder Zukunft Heimat. Drittens im Rahmen eines dichten medialen Netzwerkes aus konventionellen, Neuen und Neuen Sozialen Medien. Viertens ist auch Gewalt zu benennen, die bis zum Rechtsterrorismus reichen kann. Allerdings grenzen sich die wichtigeren und größeren Akteure in den anderen drei Handlungsfeldern zumeist von Gewalttaten ab. Quer dazu liegen Aktivitäten im vorpolitischen, insbesondere auch populärkulturellen Raum. Es wird nötig bleiben, diese Tendenzen genau zu untersuchen.

Gideon Botsch (Jg. 1970)  leitet die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien und ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam. 

Gideon Botsch (Jg. 1970) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum (Fokus Rechtsextreme) und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Uni Potsdam. Foto: MMZ
Gideon Botsch (Jg. 1970) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum (Fokus Rechtsextreme) und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Uni Potsdam. Foto: MMZ
© Moses Mendelssohn Zentrum MMZ

Für das Wintersemester 2018/2019 lädt das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) und die Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam zu der Ringvorlesung unter dem Titel „Populismus – Popkultur – Pädagogik“ ein. Bis 22. März 2019 werden Fachleute interdisziplinäre Analysen und Gegenstrategien aus verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektiven zur Diskussion stellen.

Gideon Botsch  hat die Reihe am 10. Oktober mit dem Vortrag „Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, radikaler Nationalismus – ein aktueller Überblick“ eröffnet. Am 24. Okober geht es um „Autoritarismus und Rechtspopulismus“ (Lars Distelhorst). Am 7. November wird Matthias Heyl zum Thema „Erinnerungskultur unter Druck von rechts“ referieren. Am 21. November geht es um „Grauzonen und rechte Lebenswelten in der Rockmusik“ (Michael Weiss). Vortäge jeweils mittwochs um 18 Uhr im Haus der Natur (Lindenstraße 34). (Kix)

Gideon Botsch

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