Streit um die Fachhochschule in Potsdam: Eine Besetzung und ihre Folgen
Nach der Räumung bleibt die Fachhochschule am Alten Markt komplett gesperrt. Alles zu den Hintergründen für das Vorgehen von Polizei und FH-Leitung.
Innenstadt - 24 Stunden nach der Besetzung der alten Fachhochschule (FH) durch Abrissgegner bewachten Polizisten am Freitag rund um die Uhr den Eingang des Gebäudes. Vor dem Haus am Alten Markt gingen unterdessen die Proteste gegen den Abriss des DDR-Baus weiter – allerdings mit weniger Teilnehmern als noch am Donnerstag, als die Polizei am späten Abend das besetzte Haus räumte. Die PNN geben einen Überblick.
Bleibt die FH geschlossen?
Das FH-Gebäude am Alten Markt bleibt nach der Räumung gesperrt, es wird dort laut einem Sprecher des Bildungsministeriums keine öffentlichen Veranstaltungen mehr geben. Auch der Mensabetrieb ist eingestellt, der Lehrbetrieb wird ausgelagert. „Wir prüfen auch, den geplanten Auszug voranzutreiben“, sagte der Sprecher am Freitag. Dafür stelle das Ministerium bei Bedarf zusätzliche Mittel zur Verfügung. Zur Sicherung des Gebäudes, das ab Herbst abgerissen werden soll, würden weitere Gespräche mit der Stadt, der FH und der Polizei geführt.
Ein Kollateralschaden: Von der Sperrung ist auch die Sperl-Galerie im Erdgeschoss des FH-Gebäudes an der Seite zur Friedrich-Ebert-Straße betroffen. „Wir dürfen nicht öffnen, unsere Mitarbeiterin wurde von der Polizei nicht in die Galerie gelassen“, sagte Ursula Sperl am Freitag den PNN. Der Grund sei vermutlich, dass es eine Sicherheitsfluchttür aus den hinteren Galerieräumen in die obere FH-Etage gibt. Die Komplett-Sperrung des Hauses trifft die Galerie hart: Für den heutigen Samstag war eine große Veranstaltung geplant, zu der viele Gäste erwartet wurden. „Uns wurde gesagt, dass wir keinesfalls öffnen dürfen, also mussten wir alles absagen“, so Ursula Sperl verärgert. In Begleitung eines Beamten durfte sie am Freitag lediglich einen dringend benötigten Rechner aus den Räumen holen.
Warum wurde das Gebäude geräumt?
Das für die FH zuständige Wissenschaftsministerium bestreitet zwar eine Order von oben, wonach die Besetzung beendet und das Gebäude geräumt werden sollte. Ministerin Martina Münch (SPD) war in Bremen, ihre Staatssekretärin Ulrike Gutheil hielt aus ihrem Büro, wenige Hundert Meter entfernt, am Telefon Kontakt zu FH-Präsident Eckehard Binas. Ein Ministeriumssprecher sagte, das Ministerium heiße nur friedliche Proteste gut; Binas sei der Hausherr, bei ihm habe die Entscheidung über Räumung oder Duldung gelegen. Das Ministerium unterstütze ihn in seiner Entscheidung, egal, wie sie ausfalle. Doch Binas war am Donnerstag die Anspannung anzumerken. Teilnehmer der Verhandlungsgespräche mit den Besetzern berichten unisono, dass der FH-Präsident gehörig unter Druck stand. Dass er die Besetzung nicht dulden könne, dass er dann einen Kopf kürzer sei, soll er gesagt haben, berichten mehrere Teilnehmer.
Politisch war die Gefechtslage klar. Ministerpräsident Dietmar Woidke und Innenminister Karl-Heinz Schröter (beide SPD) hatten nach den Ausschreitungen beim G-20-Gipfel in Hamburg deutlich Position gegen Linksextremismus bezogen. Hinzu kam in dieser Woche die Panne im Bildungsministerium und bei der Polizei mit der unnötigen Absage einer Podiumsdebatte des Landesschülerrats nach Drohungen von linken Gruppen. Woidke und Schröter haben getobt über die Absage und erklärten, selbstverständlich könne die Polizei einen demokratischen Meinungsstreit auch gegen linke Proteste absichern.
Insofern alarmierte die Besetzung der FH zusätzlich, auch wegen des gewaltbereiten Teils der linksautonomen Szene in Potsdam. Die Besetzung der FH hatte aus Sicht der Sicherheitsbehörden das Potenzial für größere Auseinandersetzungen, wenn die linke Szene sich dort versammelt, wenn Autonome aus Berlin hinzukommen. Zumal zum Protestcamp auch schon Bierkästen herangekarrt worden waren. Die Marschroute war daher klar, das muss auch Binas deutlich gemacht worden sein: Die Besetzung muss beendet, Rechtsverstöße dürfen nicht geduldet werden. Vor allem sollte vermieden werden, dass sich die „Lage verfestigt“, wie es die Sicherheitsbehörden nennen.
Flankiert wurde diese Gangart durch eine klare Deeskalationsstrategie und ein Verhandlungsteam: Potsdams Bürgermeister Burkhard Exner (SPD) und die Potsdamer Landtagsabgeordnete Klara Geywitz und Generalsekretärin der Landes-SPD. Sie hatten eine klare Marschroute: Keine Ausschreitungen, keine Bilder von Beamten, die gewaltsam gegen Besetzer und Demonstranten vorgehen. Die Lage sollte möglichst friedlich bereinigt werden. Und wenn es nicht geklappt hätte, wäre klar: Sie hätten alles versucht.
Wie ist die Bilanz der Polizei?
Aus Perspektive der Polizei: gut. Es blieb bis auf zwei größere Rangeleien friedlich. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden wirkte offenbar G 20 nach. Da standen Beamte aus Brandenburg und Berlin, die wenige Tage zuvor in Hamburg im Einsatz waren. Die vermittelten vor allem: dass sie entschlossen sind. Und bei der linken Szene dürfte, so der Eindruck der Polizei, in der politisch angespannten Lage nach Hamburg klar geworden sein, dass sie hier, in Potsdam, nichts riskieren sollten. Die Gegner beklagten dagegen mehrere „massive Fälle von Polizeigewalt“.
Am späten Donnerstagabend hatte die Polizei, die mit rund 200 Beamten vor Ort war, das FH-Gebäude nach rund zehn Stunden Besetzung geräumt. 29 Menschen hatten bis zu diesem Zeitpunkt in dem Bau aus der DDR-Zeit ausgeharrt. Zu Beginn der Besetzung Donnerstagmittag waren es noch rund 40 Besetzer, vor allem aus der politisch linksalternativen Szene in Potsdam, zum Beispiel Garnisonkirchengegner oder Antifa-Aktivisten.
Die meisten Besetzer hätten nicht mit Zwang aus dem Gebäude gebracht werden müssen, sondern seien Platzverweisen der Polizei gefolgt. Vereinzelt wurden aber auch Personen aus dem Gebäude getragen. Insgesamt habe die FH-Leitung 36 Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Als die Besetzer das Gebäude verließen, wurden sie davor von Protestierenden mit lautem Applaus empfangen. Sprechchöre lauteten etwa „Ganz Potsdam hasst die Polizei“. Auch der Fund von Pflastersteinen im Gebäude bestätigte sich. Zunächst war vermutet worden, Abrissgegner könnten sie zur Abwehr bei einer Räumung platziert haben. Am Freitag teilte die Polizei mit, diese seien von Bauarbeitern wohl schon länger dort stehen gelassen worden.
Nach der Räumung wurde die Lage ruhiger. Zehn Personen übernachteten vor der FH. Die Abrissgegner haben bis Sonntag mehrere Straßenfeste angemeldet. Den Tag über waren rund 50 Menschen am Protestcamp versammelt, abends wurden es wieder mehr.
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