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Im Dialog. Der oft als unkommunikativ abgestempelte Jörg Hoffmann kann sich – wie hier mit seinem Schützling Christian Diener – ausdauernd unterhalten. „Aber dafür brauche ich eben das Gefühl, mein Gegenüber meint es ehrlich“, sagt er.
© imago/Eibner

Potsdamer Schwimmsport: Ein Praktiker mit klarer Kante

Die Zukunft des Potsdamer Schwimmstützpunkts ist eng mit Jörg Hoffmann verbunden. Beim nationalen Verband genießt der Coach hohe Anerkennung, am Luftschiffhafen gibt es Widerstand für ihn. Über Kritik, Trainingsphilosophie und einen Neustart.

Jörg Hoffmann ist gewiss niemand, der den Trubel mag oder gerne im Mittelpunkt steht. Er bleibt lieber in der Ruhe des Abseits. Bei den Deutschen Schwimmmeisterschaften im Berliner Europasportpark zwängt sich der Trainer aus Potsdam beispielsweise nicht zu den anderen Coaches an den Beckenrand, sondern geht hoch auf eine Empore nahe des Hallendachs. Außer ihm ist dort sonst keiner.

Deutscher Spitzensport steht an neuralgischem Punkt

Insofern passten die vielen Diskussionen, die sich in den vergangenen Monaten um ihn rankten, nicht zu seinem Naturell. Weil der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ihn zum Potsdamer Bundesstützpunkttrainer machen möchte, andere Trainer vom Luftschiffhafen sowie denen nahestehende Präsidiumsmitglieder des Landesschwimmverbandes Brandenburg (LSVBB) dieses Vorhaben aber nicht gutheißen, fand sich Jörg Hoffmann inmitten eines öffentlich ausgetragenen Streits wieder. „Das hat mich schon genervt“, sagt er nachdenklich, als er kaugummikauend in einem Ruheraum der MBS-Arena sitzt. „Aber wenn da einer meckert oder kläfft, springe ich nicht sofort darauf an, weil es für mich hier nur um das Wesentliche geht.“ Das sei, Potsdam den Bundesstützpunktstatus im Schwimmen zu sichern.

Seit 1990 wird das Schwimmzentrum in Brandenburgs Landeshauptstadt von der Bundesrepublik Deutschland mit hohen Geldsummen gefördert. Jörg Hoffmann hatte als Aktiver großen Anteil daran. Er kraulte auf den langen Strecken zu WM- und EM-Titeln, holte Olympiabronze, hielt den Weltrekord über 1500 Meter – diese Zeit hat bis heute im nationalen Rekordbuch Bestand. Mit der nun geplanten deutschen Spitzensportreform stehen alle Trainingszentren auf dem Prüfstand, denn ihre Anzahl soll perspektivisch reduziert werden. „Daher ist es jetzt extrem wichtig, dass man im Bundesstützpunktsystem vertreten bleibt. Wer durch das Raster fällt, wird es schwer haben, zurückzukommen“, meint Hoffmann. Ein neuralgischer Punkt.

Hoffmann auf einer Wellenlänge mit der DSV-Führung

Im Zuge dieses Verfahrens machten sich diverse Institutionen – unter anderem das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, der Landessportbund und der Olympiastützpunkt Brandenburg – beim Spitzenfachverband stark für Potsdam. Hoffmanns Aufgabe wurde es, die Bewerbung sportfachlich zu unterstützen. „Als DSV-verantwortlicher Trainer in Potsdam stehe ich in einer direkten Verbindung zum neuaufgestellten DSV. Wir wollten so eine Basis für konstruktive Verhandlungen zum Stützpunkt mit dem neugewählten DSV-Präsidium und dem Chefbundestrainer für eben diese Institutionen aus Brandenburg herstellen“, so Hoffmann. Und weiter: „Die anschließende Umsetzung durch unsere Brandenburger Verantwortlichen hat ja glücklicherweise auch zur Anerkennung geführt.“ Bei der trainingsmethodischen Ausrichtung lag Hoffmann ohnehin stets auf einer Wellenlänge mit den unterschiedlichsten Chefbundestrainern, aktuell mit Henning Lambertz. Ihn überzeugte er letztlich, dass Potsdam die Zukunft des deutschen Schwimmsports mitgestalten kann. Zugleich ist Lambertz so sehr von Hoffmann überzeugt, dass er ihn als leitenden Cheftrainer am Standort will.

Dagegen rührte sich Widerstand von drei der vier Sportschul-Lehrertrainer (also von Marko Letz, Thomas Luckau und Katrin Seitz – Mathias Pönisch wiederum ist pro Hoffmann), die mit Hoffmann im Zwist liegen. Gestützt wurden sie vom LSVBB durch Präsidentin Sylvia Madeja und Vizechef Norbert Warnatzsch, der bis Ende 2017 auch als Juniorentrainer in Potsdam tätig war. Beide Parteien stehen sich sehr kritisch gegenüber, die Fronten zwischen ihnen sind enorm verhärtet. Zum einen bemängeln die schulbediensteten Coaches, Hoffmann sei unkommunikativ und daher nicht in der Lage ein Team zu führen.

Chefbundestrainer lobt Hoffmanns "innovativen" Stil

Außerdem stoße ihnen auf, dass er die Arbeit einiger Trainer am Standort schlechtreden würde und er den Chefposten bekommen soll, ohne über die tiefgreifende wissenschaftliche Basis eines Sportstudiums zu verfügen. Der 48-Jährige zieht die Augenbrauen hoch, blickt scharf und reibt sich den Vollbart. „Wenn ich so etwas höre.“ Forschung nehme doch oft die Ideen aus der Praxis auf und versuche, sie dann wissenschaftlich zu unterlegen. „Studien werden nur gemacht, weil irgendjemand etwas aufgrund von Erfahrungen und Beobachtungen ausprobieren möchte.“

Jörg Hoffmann ist kein Theoretiker, er zählt zu den Praktikern. Man müsse auch Mut haben, etwas im Training zu wagen, Risiko zu gehen, sagte er einmal. Eine Einstellung, für die er von Henning Lambertz sehr geachtet wird. Mehrfach betonte der Chefbundestrainer, dass Hoffmann für einen sehr innovativen, modernen Stil stehe. Inzwischen.

Er musste "das Verstaubte" aus dem Kopf bekommen

Denn der gebürtige Schwedter räumt ein, dass seine 2005 begonnene Trainerkarriere zunächst von „altem Zeug“ geprägt war. Nach 20 Jahren erfolgreichem Leistungssport in der Nationalmannschaft setzte er wie einst bei sich auf Ausdauer, Ausdauer und nochmal Ausdauer. 3x3000 Meter, 20x400 Meter, 40x200 Meter – all das war der übliche Standard in seinen Programmen. „Aber der Weltschwimmsport hat sich komplett gewandelt“, musste er feststellen. „Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich das Verstaubte aus meinem Kopf bekommen habe.“ Hoffmann – auch das lobt Lambertz – tauscht sich mit vielen ausländischen Kollegen aus, baute sich ein internationales Netzwerk auf, um zu ergründen, was nunmehr der Schlüssel zum Erfolg ist: Intensitäten, hohe Geschwindigkeiten und Tempohärte statt Kilometerschrubben.

Dass Teile des Lehrertrainerkollegiums andere Ideen hätten, sei allein nicht verwerflich, erklärt er. „Ich bin der Letzte der sagt: Es geht nur so oder so. Ich bin kein Messias, der glaubt, dass nur er hier mit den Sportlern etwas erreichen kann. Aber alte und pauschalisierte Ansätze, die uns nachweislich nicht vorangebracht haben, lasse ich mir nicht weiter aufdrücken. Das sind wir in erster Linie auch unseren Sportlern schuldig.“ Jörg Hoffmann sitzt auf dem Sofa des Ruheraums und redet. Viel. Über Trainingsphilosophie, die Herausforderung, auf jeden Athleten individuell einzugehen, über Zusammenarbeit und konstruktiven Dialog. Er könne sich mit Leuten stundenlang unterhalten, bekräftigt er. „Aber dafür brauche ich eben das Gefühl, mein Gegenüber meint es ehrlich und es ist am nächsten Tag nicht alles Besprochene nur Schall und Rauch. Ansonsten ist mir die Zeit und Luft zu schade.“

Personelle Umstrukturierung zur Problemlösung

Und wie nun weiter? Es brauche für die weitere Zukunft des Standorts „ein stabiles Gefüge, Vertrauen und Loyalität“, sagt Jörg Hoffmann. Er zeigt klare Kante, indem er verdeutlicht, dass dies nur über einen Weg funktioniert: Umstrukturierung. „Es wird Personalentscheidungen geben müssen. Im Sommer muss hier ein Neustart her.“ Beim Landesschwimmverband soll dieser bereits am morgigen Samstag mit der Wahl eines neuen Präsidiums erfolgen. Und während eine weitere Schwimmtrainerstelle für Potsdam zum 1. April ausgeschrieben wurde, erwägen die Schulcoaches, die einen Chef Hoffmann nicht akzeptieren wollen, selbst einen Weggang vom Stützpunkt.

Weg aus Potsdam sind schon die bisher von Lehrertrainern oder Projekttrainer Norbert Warnatzsch betreuten Top-Talente Johannes Hintze, Josha Salchow und Wassili Kuhn. Sie hatten sich – wohl nicht ganz ohne Einfluss ihrer Potsdamer Coaches – dagegen entschieden, in die Gruppe von Jörg Hoffmann zu wechseln. Stattdessen siedelte das Trio nach Heidelberg um. Das sei „sicherlich schade, aber jeder trifft im Leben seine Entscheidungen und muss dafür einstehen“, findet Hoffmann. Von den angedrohten Abgängen, die rein sportlich einen großen Verlust darstellen, ließen sich die zahlreichen Verantwortlichen in der Debatte nicht beeinflussen. Am Ende geht es laut Hoffmann eben nur darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: „Mittelfristig solche Einzelfälle zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass nachkommende Talente ebenso eine Chance bekommen, sich in Potsdam zu entfalten wie Hintze, Salchow und Kuhn.“ Dafür ist der Status eines Bundesstützpunktes ganz entscheidend. Aber nicht nur irgendwie. Voraussetzung ist eine geordnete Struktur unter dem Motto: Alle schwimmen in dieselbe Richtung.

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