Interview zum Potsdamer FH-Projekt am Schlaatz: „Ein Ghetto, es fehlen nur die Schranken“
Studentin Sylvia Swierkowski hat mit einer Gruppe untersucht, wie die Stadt Potsdam mit der Trinkerszene am Schlaatz umgehen könnte. Die Ergebnisse erklärt sie im Interview mit PNN.
Frau Swierkowski, Sie und Ihre Kommilitonen von der Fachhochschule eröffnen am Dienstag eine Ausstellung im früheren Restaurant Olympia Am Schlaatz. Warum?
Wir haben zehn Monate lange im Studiengang Soziale Arbeit in einer Forschungswerkstatt im Auftrag des Arbeitskreises Stadtspuren der Potsdamer Wohnungsgesellschaften die Lage Am Schlaatz untersucht. Es sollte sich darum drehen, wie mit dem öffentlichen Alkoholkonsum um den Rewe-Markt umzugehen ist. Es gibt mehrere Gruppen, die sich dort regelmäßig treffen – und viele Beschwerden.
Ein öffentliches Ärgernis also. Sie sollten dafür sorgen, dass das ein Ende hat?
Nein, unsere Bedingung war gerade nicht, dafür zu sorgen, wie die Leute dort verschwinden. Vielmehr geht es darum, wie die Wohnungsgesellschaften überhaupt eine gemeinsame Haltung dazu zu finden.
Wie haben Sie es geschafft, Zugang zu diesen Gruppen zu finden? Mit einem Bier?
Tatsächlich war es am Anfang so. Aber nur für die erste Kontaktaufnahme, um ins Gespräch zu kommen, ging das. Was wir dort gemacht haben, nennt man in der Wissenschaft teilnehmende Beobachtung. Dann waren wir seit Dezember einmal in der Woche mehrere Stunden dort.
Was haben Sie noch gemacht?
Wir haben Experten befragt, Schuldirektoren, die Leitung des Bürgerhauses, Mitarbeiter sozialer Träger, den Chef des Supermarktes. Wir sind auf Vorurteile gestoßen. Dass sich die Leute dort nur den Hintern platt sitzen, arbeitslos sind, Geld vom Amt bekommen. Die gibt es zwar, aber auch Werktätige, die teils harte, prekäre Jobs haben, im Straßenbau, bei der Müllabfuhr, als Möbelpacker.
Deshalb vertreibt man sich am Supermarkt mit dem Bier in der Hand die Zeit?
Am Schlaatz gibt es viele Probleme, der Ärger darüber entlädt sich an einer Gruppe, die man vor Augen hat. Man kann die Gruppe aber nicht nur als Übel sehen. Es geht um Armut, um Menschen, die mehrere Jobs brauchen, um Lebensgeschichten, die dazu führen, Gefängnis, kein erlernter Beruf. Viele haben die Familienhilfe zu Hause, das Jugendamt steht auf der Matte. Diese Menschen stützen, brauchen sich gegenseitig, vermitteln sich Jobs, helfen in schweren Lebenslagen. Anders gesagt: Sie treffen sich, um sich sozial integriert zu fühlen. Wenn es die Gruppe nicht gäbe, wären die Probleme nicht fort. Alkohol ist für sie oft eine schon von den Eltern vorgelebte Bewältigungsstrategie, aber nur die Spitze des Eisberges.
Was empfehlen Sie den Wohnungsgesellschaften?
Wir übergeben die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen am Dienstagabend bei der Ausstellung. Daher darf ich nichts verraten, nur so viel: Es gibt Ideen von den betroffenen Gruppen selbst. Es macht keinen Sinn, eine neue soziale Einrichtung dort hinzustellen. Die Betroffenen müssen eingebunden werden, sie wollen in ihrer Freizeit auch Aufgaben wahrnehmen. Die Kontakte, die wir aufgebaut haben, wollen wir an die Wohnungsgesellschaft und Sozialarbeiter weitergeben.
Ich habe etwas über ein pinkes Klo gehört ...
... ach ja (lacht), um mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen. Die Gruppe vom Markt hat uns beim Bauen geholfen. Ein Klohäuschen auf Rollen, drinnen und draußen konnten die Schlaatzer eineinhalb Monate lang aufschreiben, was sie vom Viertel und vom Trinken in der Öffentlichkeit halten. Irgendwann war alles vollgeschrieben, dann haben wir mit der Klobürste als Diktiergerät die Anwohner direkt befragt.
Und was kam heraus?
Beim Thema Trinken in der Öffentlichkeit sind die Anwohner gespalten. Die einen sagen, es geht gar nicht, wegen der der Kinder. Die anderen fragten, ob den Leuten auch noch das Trinken verboten werden solle. Kinder und Ältere meinen, die Polizei sei oft im Einsatz. Einmal kam sie auch zu uns, weil eine Anwohnerin uns komisch fand. Den Beamten war das peinlich, sie baten um Verständnis, der Schock nach der Entführung des Jungen Elias wirkt noch nach.
Und wie sehen sich die Schlaatzer selbst?
Sie glauben, dass die anderen Potsdamer sie noch schlimmer wahrnehmen, als es nach Umfragen der Stadt der Fall ist. Die Anwohner sehen einen großen Zusammenhalt, sehen das Viertel als multikulturell an. Hier gibt es Konfliktpotenzial. Die gefühlte Wahrnehmung ist, es gebe zu viele Ausländer. Hier muss die Stadt handeln. Asylbewerber vor allem in bestimmten Vierteln, in sozialen Brennpunkten, in Wohnungen unterzubringen, ist gefährlich. Hängen geblieben ist die Aussage einer Anwohnerin: Der Schlaatz ist ein Ghetto, es fehlen nur noch die Schranken.
Die Ausstellung ist nur am heutigen Dienstag ab 17 Uhr Am Schlaatz, Erlenhof 57, zu sehen.
Sylvia Swierkowski, 30, arbeitete lange als Erzieherin und studiert jetzt im ablaufenden zweiten Semester Soziale Arbeit an der Fachhochschule Potsdam. Mit ihr sprach Alexander Fröhlich.
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