Potsdam: Ein Gastspiel, 18 Jahre lang
Immer wieder hieß es: Die Villa Kellermann schließt. Immer ging es weiter. Doch jetzt ist das Aus endgültig
Der Heilige See liegt wie erstarrt an diesem frostbeseelten Mittag vor dem großen Fenster. Still ist es in der Villa Kellermann. Die Tische im Restaurant sind gedeckt, Teller und Gläser auf weißem Leinen. Gäste sind keine im Haus. Erst am heutigen Samstag Abend werden sie noch einmal in die Villa kommen. Zum letzten Mal. „Save the date! 3. Januar, Abschlussfeier Villa Kellermann. 18 Jahre und ein Ende mit Ansprachen, Musik und Tanz“, hatte Maximilian Dreier Ende Dezember in einer SMS geschrieben.
Auf einem der weißgedeckten Restauranttische hat Maximilian Dreier zwei Ordner gelegt. Bilder von der Villa aus früheren Jahren, dazwischen viele Schriftstücke. Die Geschichte der Villa Kellermann in den vergangenen 18 Jahren ist vor allem auch die Geschichte von Maximilian Dreier. Er hat damit begonnen, in diesem Wust von Unterlagen Ordnung zu bringen. In der kommenden Woche wird Dreier damit beginnen, die Villa leer zu räumen. Ende Februar wird es einen letzten Rundgang durch das Haus geben, danach die Schlüsselübergabe.
Damit schließt das letzte öffentliche Haus an der Uferseite des Heiligen Sees, an der auch TV-Moderator Günther Jauch und Modeschöpfer Wolfgang Joop wohnen. Was die jetzigen Besitzer der Villa Kellermann, die Wella-Erbin Gisa Sander und ihr Mann Hans-Joachim Sander, planen, weiß Dreier nicht. Er hatte gehofft und sich bemüht, dass das Haus auch in Zukunft für alle offen stehen wird. Doch Ende November erhielt Dreier überraschend die Mitteilung, dass sein zum Jahresende auslaufender Mietvertrag nicht verlängert wird. Was aus der Villa wird, da wird sich Dreier überraschen lassen müssen.
„Eine scheißschöne Zeit waren die 18 Jahre hier“, sagte Maximilian Dreier ganz unvermittelt im Gespräch. Dann schaut er durch das große Fenster hinaus auf den Heiligen See und für einen kurzen Moment scheint es, als sei er tief eingetaucht in die Erinnerungen, als sei das Damals viel präsenter als das Jetzt.
Es war der Blick auf den Heiligen See, mit dem ihn die Villa Kellermann gepackt hat. Kurz nach der Wende 1989 lieferte Dreier, der in Kreuzberg einen Weinhandel betrieb, für eine Lesung Wein in das damals noch vom Kulturbund der DDR genutzte Haus. Zum ersten Mal betrat er die Villa. „Ich schaute durch das Fenster auf den See und war baff.“ Als er dann Anfang 1990 erfuhr, dass das Restaurant in der Villa ausgeschrieben wurde, bewarb er sich. „Ich hatte nie vor, in die Gastronomie zu gehen“, sagt Dreier. Doch dieses Haus mit seiner einmaligen Lage am Heiligen See überzeugte ihn vom Gegenteil. Die Banken sahen das jedoch anders.
„Niemand wollte mir einen Kredit für ein Restaurant in Potsdam geben.“ Hätte Dreier eine Pizzeria oder Imbissbude eröffnen wollen, er hätte mit Sicherheit das nötige Geld bekommen. Doch für ein Restaurant, so die Einschätzung der Banker, waren die von der DDR geprägten Menschen noch nicht so bereit. „Man sagte mir, ich solle in 15, besser aber erst in 20 Jahren wiederkommen.“
Erst durch die Vermittlung und Fürsprache eines Bekannten erhielt er den nötigen Kredit. Im Sommer 1990 begann er mit dem Umbau des Restaurants. „Damals habe ich sehr oft auf den See geschaut und dieses Stillleben genossen.“ In den kommenden Jahren hatte Maximilian immer weniger Zeit dafür.
Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass in der Villa Kellermann ein Restaurant zu finden war, das diesen Namen auch verdient. Originale Rezepte aus der italienischen Region, dazu ein guter Wein, so einfach war das Konzept von Maximilian Dreier. Und so wirkungsvoll. Sein Restaurant war eine Oase in einer Wüste. Was heute in Sachen anspruchsvoller Küche in Potsdam zu finden ist, hat seinen Ursprung in Dreiers Restaurant. Selbst „Die Zeit“ schrieb 1998 über die Villa Kellermann und sprach von der „kleinen Utopie des besseren Lebens: der italienische Lebensstil, der Terrassenblick auf den märkischen Dreiklang von See, Schlössern und Gärten, die italopreußische Kulturlandschaft“. Doch von Anfang an lagen auf diesem Idyll Schatten, die ab 1996 fast schon tiefschwarz waren.
Dreier hat ständige Besitzerwechsel erlebt, Androhungen höherer Mieten oder das angebliche Ende für sein Restaurant. Das alles hat Nerven gekostet. Doch als der hessische Immobilien-Unternehmer Johannes Rey die Villa gekauft hatte, erlebte Dreier abgründig menschliches Verhalten, wie er es sich nicht hätte erträumen können. Was Rey an krimineller Energie über Jahre aufbrachte, um ihn aus dem Haus am Heiligen See zu vertreiben, kann Bücher füllen. Abgestellte Heizungen, zubetonierte Abwasserrohre, aufgerissene Wege, illegale Baumfällungen und der Abriss einer denkmalgeschützten Remise. Bis zu 20 Prozesse gleichzeitig führte er gegen Rey und oft fragte er sich in dieser Zeit, was sich ein Mensch alles in diesem Staat straflos erlauben darf. Doch trotz der Niederträchtigkeiten, Rey konnte Dreier nicht vertreiben. „Hätte ich aufgegeben, hätte ich alles verloren.“ Das sei der eine Grund für sein Durchhalten. Der andere: „Ich konnte nicht zulassen, dass sich ein solches Verhalten am Ende durchsetzt.“
Als Anfang 2005 die Sanders die Villa Kellermann bei einer Zwangsversteigerung erwarben, hoffte Dreier, dass sein „Gastspiel“ in dem Haus endlich einen festen Rahmen erhalten würde. „Es ist nun doch bei einem mittlerweile 18-jährigen Gastspiel geblieben“, sagt Dreier. Wirtschaftlich sei diese Zeit kein Erfolg gewesen, fügt er mit ironischem Lächeln hinzu. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht all das, was er in der Villa Kellermann für diese Stadt getan hat. In seiner bescheidenen Art verliert Maximilian Dreier darüber nur wenige Worte. Er braucht auch nicht viel zu sagen. Denn das, was er getan hat, strahlt von allein hell genug. Dirk Becker
Dirk Becker
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