Ganz besondere Fußabdrücke: Ein Denkmal im Denkmal auf dem Luisenplatz
Unter den Schuhabdrücken von Demonstranten wird auf dem Potsdamer Luisenplatz ein ganz besonderer sein. Zudem soll eine DDR-Kult-Band zur Eröffnung auftreten.
Potsdam - Es ist der 4. November 1989, der Tag der größten Demonstration gegen das DDR-Regime in Potsdam. Mehr als 20 000 Frauen und Männer drängen sich mit Transparenten durch die Klement-Gottwald-Straße, die heutige Brandenburger Straße und treffen sich auf dem Platz der Nationen, dem heutigen Luisenplatz. „Gegen Korruption und Privilegien”, „Stasi raus, politische Häftlinge frei” und „Wir fordern Mehr-Parteien-System, freie Wahlen” lauten ihre Parolen, auch: „Wir gehen nicht nach Haus, rückt ihr nicht freie Wahlen raus”. Fotografen hielten fest, was an jenem Tag geschah, als der Staat der Arbeiter und Bauern schon schwer atmete und kurz darauf zusammenbrach. Einige Aufnahmen werden noch von Mittwoch bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr im Kunsthaus Sans Titre an der Französischen Straße gezeigt. Gleichzeitig können Besucher ein Modell des geplanten Denkmals für die örtliche Demokratiebewegung betrachten, sich mit einem Fußabdruck verewigen – und Teil des Projekts werden, das zwei Potsdamer, der Künstler Mikos Meininger und der Architekt Frederic Urban, entworfen haben.
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Eines der Fotos des Fotografen Joachim Liebe zeigt einen Mann mit dunklem Haar. Er trägt eine Brille und schiebt einen Kinderwagen vor sich her, neben ihm hält eine Frau ein Banner mit dem Text „Potsdamer Basisgruppe”. Der Mann am Kinderwagen ist der Lehrer Andreas Streitz, damals 25 Jahre alt, er schiebt seinen dreieinhalb Wochen alten Sohn Benjamin. Er unterrichtete 25 Jahre in Werder (Havel) und eineinhalb Jahre an der Potsdamer Heinrich-von-Kleist Schule, 2015 ist der beliebte Pädagoge im Alter von 50 Jahren einem Hirntumor erlegen.
Seine Frau Petra Walter-Streitz will sein Andenken auf besondere Weise bewahren: Als sie erfuhr, dass in das Denkmal, das am 4. November auf dem Luisenplatz eingeweiht wird, Schuhabdrücke der Demo-Teilnehmer von 1989 eingearbeitet werden, kramte sie ein Paar Wanderstiefel ihres Mannes hervor: Grau, Größe 44 ½, gut erhalten. In dieser Woche will Meininger im Sans Titre einen Abdruck nehmen.
Die Streitzens haben Meiningers Kunst verehrt. Er wird einen Schuh in Pappmaché pressen, das Profil ist für die Nachwelt erhalten, sobald es getrocknet ist. Der humorvolle Hüne will es dann in den Stahlguss einbringen, der auf der Nordseite des Luisenplatzes installiert wird. In mächtigen Ziffern wird an das Datum der Demonstration erinnert, die Schuhabdrücke sollen das Gefühl einer Menschenansammlung vermitteln. „Manche haben Angst, mit ihren mit Westlack lackierten Fußnägeln in Pampe oder flüssiges Eisen treten zu müssen”, glaubt Meininger. Tatsächlich, fügt er grinsend hinzu, „ist es ja Pappmaché, und als Trennmittel zwischen Pappe und Schuhen verwende ich Ost-Mehl.” Ost-Mehl? „West-Mehl geht auch”, sagt der Künstler und grinst noch breiter. Eine kühne Idee war es, Losungen der Demo einzuarbeiten und sie mit phosphoreszierendem Kunstharz zu füllen: „Wenn es dunkel wird, scheinen die Ziffern mit dem Datum des 4.11.1989 zu verschwinden, und die Schriften leuchten.”
Und: Zur Einweihung am 4. November wird wohl die legendäre DDR-Band „City” auftreten. Meininger ist mit Georgi Gogow, dem „Gesicht” der Band, befreundet. Der virtuose Geiger und exzellente Bassist hat ihm zugesichert zu kommen. „Nun muss nur noch die Stadt zustimmen”, sagte Meininger den PNN, „dann werden wir große Hits wie „Gläserner Traum” und „Am Fenster” hören”.
Besuch von Horch und Guck
Von der Idee für das Denkmal ist Petra Walter-Streitz begeistert. Sie hat in der Gutenbergstraße 91 am 1. Juli 1990, dem ersten Tag der Währungsunion, ein Reisebüro eröffnet, zwei Häuser weiter betreibt sie seit 1993 den Trekking-Laden „Jojo”. Lange hat sie gebraucht, um den Tod ihres Mannes zu verkraften. Oft sind sie in die Berge gereist, und sie hatten eine gemeinsame politische Vergangenheit, damals, als sie in den achtziger Jahren als Lehrer in Fürstenwalde arbeiteten. Sie unterrichtete Russisch und Englisch, ihr Mann Physik. Die Stasi lud die Lehrerin vor, weil sie freitags einen Teekreis für Schüler veranstaltete, mehrmals suchten Horcher und Gucker sie auf, weil sie Schülern Adressen von US-Amerikanern für Briefkontakte vermittelt hatte.
Immerhin trickste sie die Schlapphüte aus, als sich einer angemeldet hatte, um sie als IM zu werben. Als der Stasi-Mann das Wohnzimmer in Fürstenwalde betrat, saßen da, mit Erlaubnis der Eltern, zehn Schüler. „Das hatten wir anders verabredet”, knurrte der Geheime, verschwand und spionierte irgendwo anders weiter. „Mein Mann und ich haben uns immer die Frage gestellt: Wie weit kann man gehen in der DDR?“, erzählt Petra Walter-Streitz. An die Großdemo am 4. November 1989 hat sie gute Erinnerungen, vor allem daran, „dass wir alle keine richtige Angst hatten. Sonst wären die Ehepaare ja nicht mit ihren Kindern gekommen.”
Eine einzigartige Erinnerung
Die Klarheit der Wendezeit ist auch ein Fundament ihres privaten Lebens. Ohne Umschweife erzählt sie, „dass Andreas und ich in eine tiefe Krise geraten waren. Wir haben uns verlaufen, verloren, dann aber durch die Krankheit wiedergefunden.” Dass ihr Mann „die Liebe meines Lebens” war, wird auch spürbar, wenn sie erzählt, dass sie auf all ihren Reisen, ob zum Wandern oder zum Paddeln auf Saale und Unstrut immer eine kleine Urne mit seiner Asche im Gepäck hat, um sie zu verstreuen. Mit dem Abdruck seiner Wanderschuhe, der auf dem Luisenplatz zu sehen sein wird, wird Petra Walter-Streitz eine wohl einzigartige Erinnerung an ihn schaffen: Ein Denkmal im Denkmal.
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