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Programm für geflüchtete Lehrer an der Uni Potsdam: Dreiviertel Lehrer

Das ist deutschlandweit einmalig: An der Universität Potsdam startet das Projekt „Refugee Teachers“ für aus Syrien geflüchtete Lehrer.

Griebnitzsee - Der Medienrummel war gigantisch: Die Sender ARD, ZDF und RTL, die Nachrichtenagenturen dpa und Reuters, dazu zahlreiche Zeitungsredaktionen – sie alle hatten am gestrigen Donnerstag Korrespondenten, Fotografen und Kamerateams an den Campus Griebnitzsee der Universität Potsdam geschickt. Der Grund: Das neue Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrer, „Refugee Teachers“, wurde der Öffentlichkeit vorgestellt – ein bundesweit absolut einzigartiges Projekt.

Diesen Montag haben die ersten 25 Quereinsteiger-Studenten ihren Kurs begonnen. Sie alle haben in ihrem Heimatland – bei den meisten ist das Syrien – schon als Pädagoge gearbeitet und wollen sich nun für einen Job als Lehrer in Deutschland qualifizieren. Sie sind zwischen Anfang 20 und Mitte 50, etwa gleich viele Männer und Frauen. Die ersten Monate lernen sie in einem Intensiv-Kurs Deutsch. Gestern, an Tag vier, war die Uhrzeit dran. Vor laufenden Kameras bemühte sich Dozentin Claudia Hubatsch, ihren neuen Studenten die innere Logik der Ausdrucksweise „drei viertel sechs“ zu erklären. „Three quarters of the sixth hour“, versuchte sie es.

700 Flüchtlinge auf 75 Plätze

Eigentlich soll der Kurs von Anfang an auf Deutsch laufen, auch wenn viele noch kaum Vorkenntnisse haben. Doch manchmal geht es eben schneller auf Englisch. Englischkenntnisse waren deshalb neben einem Studium und Berufserfahrung auch eines der Aufnahmekriterien für das Programm. Trotz dieser Voraussetzungen wurde die Uni geradezu überrannt von Bewerbern: Rund 700 Flüchtlinge hatten sich für die insgesamt 75 Plätze beworben. „Wir hatten zunächst mit etwa 15 Teilnehmern kalkuliert“, sagte Miriam Vock, Professorin für Empirische Unterrichts- und Interventionsforschung und Initiatorin des Projekts. Als sich abzeichnete, wie groß das Interesse sein würde, konnten mit Unterstützung des Ministeriums noch zwei weitere Kurse mit jeweils 25 Teilnehmen gefüllt werden, sie starten im Sommer. „Aber unter den Bewerbern waren noch viel mehr geeignete“, sagte Vock. „Die Auswahl ist uns sehr schwer gefallen, viele haben große Hoffnungen in dieses Programm gesetzt.“

Eine, die es geschafft hat, ist Alaa Kassab aus Aleppo. Die 23-Jährige hat schon drei Jahre in einem Kindergarten Englisch unterrichtet und möchte jetzt in Deutschland arbeiten. „Ich war so glücklich, als ich von diesem Programm im Internet gelesen habe“, sagte sie den PNN am Donnerstag in fließendem Englisch. Seit vier Monaten ist sie in Deutschland, lebt in der Potsdamer Zeppelinstraße. Die ersten Tage haben ihr schon mal gut gefallen. „Ich habe vorher einen normalen Deutschkurs für Flüchtlinge besucht. Hier ist alles größer und moderner und wir haben drei verschiedene Lehrer, von denen wir viel lernen können.“ Sie hofft, eines Tages an einer Schule arbeiten zu können, am liebsten mit kleinen Kindern.

Lehrer für Brandenburgs Grundschulen gesucht

Da könnte sie gute Chancen haben, denn gerade an Brandenburger Grundschulen werden wie auch in der Sekundarstufe I dringend Lehrer gesucht, wie Mitinitiator Frederik Ahlgrimm, Koordinator für die Internationalisierung der Lehrerbildung am Zentrum für Lehrerbildung, sagte. Durchaus würden dort auch Quereinsteiger eingestellt, die kein klassisches Lehramtsstudium an einer deutschen Hochschule absolviert haben. Eine von Beginn an unbefristete Stelle oder gar Verbeamtung ist vielleicht nicht gerade in Sicht – allein schon weil Deutschland als eines der wenigen Länder weltweit den Lehrern eine Ausbildung in zwei Fächern abverlangt. Doch eine zunächst befristete Stelle oder eine Anstellung als Sprach- oder Kulturmittler ist durchaus denkbar.

Vock glaubt, dass die „Refugee Teachers“ ein großer Zugewinn für die Schulen in der Region sein könnten. Sie könnten als Brückenbauer fungieren – etwa für die Flüchtlingskinder. Damit sie für den Lehrerberuf in Deutschland gewappnet sind, sollen sie im Herbst mehrere Kurse im Department Erziehungswissenschaft der Uni Potsdam besuchen. Auch ein Schulpraktikum ist geplant, mehrere Potsdamer Schulen hätten sich dafür schon angeboten, so Vock.

Uni Potsdam als Vorbild

Angesichts der vielen Bewerber denken Vock und ihre Kollegen schon über zwei weitere Kurse im Wintersemester nach. Doch alle Interessenten werden auch dann nicht zum Zuge kommen. „Wir hoffen, dass sich weitere Hochschulen in Deutschland ein Beispiel nehmen“, sagt Vock. Zwar gibt es zum Beispiel an der Universität Göttingen Pläne für ein ähnliches Fortbildungsprogramm, bislang ist die Potsdamer Universität aber der einziger Anbieter. Der Aufwand sei jetzt schon enorm, die Uni könne nicht die Nachfrage aus ganz Deutschland befriedigen, so Vock. Deshalb richte sich das Programm bislang vor allem an Berliner und Brandenburger Flüchtlinge. Schon für Kursteilnehmer aus der Brandenburger Peripherie sei es schwer, jeden Tag zur Uni zu pendeln oder eine Wohnung in Potsdam zu finden, fügte Ahlgrimm hinzu. Derzeit werde versucht, für einige einen Wohnheimplatz zu finden. Außerdem soll eine Spendenaktion für die Pendler gestartet werden.

Zumindest darüber muss sich Alaa Kassab keine Sorgen machen. Sie lebt bei ihrem deutschen Verlobten, den sie über Facebook kennengelernt hat. Sie kann sich ganz auf das Deutschlernen konzentrieren. Und auf den Unterscheid zwischen viertel vor sieben und drei viertel sechs.

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