Podiumsdebatte im Gymnasium: Direktkandidaten liefern sich Schlagabtausch über Flüchtlingspolitik
In einer voll besetzten Aula in Babelsberg haben sich Potsdamer Direktkandidaten einen Schlagabtausch zur Flüchtlingspolitik geliefert. Ein Schüler wollte von AfD-Kandidat Springer wissen: „Was haben Sie denn gegen Ausländer?"
Potsdam/Babelsberg - Knapp 400 Schüler und Erwachsene als Zuschauer, viele Fragen aus dem Publikum, viel Applaus bei Kritik an der AfD: In der bis auf den letzten Platz belegten Aula der katholischen Marienschule Babelsberg haben sich die sechs aussichtsreichsten Direktkandidaten für die anstehende Bundestagswahl im Potsdamer Wahlkreis 61 am Mittwochabend einen Schlagabtausch zum Thema Integration und Flüchtlinge geliefert. Es war die letzte große Podiumsdebatte in Potsdam vor der Bundestagswahl, organisiert von der Flüchtlingshilfe Babelsberg.
Die größte Aufmerksamkeit galt dem Duell zwischen der national-konservativen CDU-Kandidatin Saskia Ludwig und ihrer SPD-Kontrahentin Manja Schüle, die sich am Sonntag vermutlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern werden – und selten einer Meinung sind. So bei der Frage, ob es eine Obergrenze für Flüchtlinge geben müsse. Ludwig ist „klar“ dafür, sagte sie – schließlich sei in Deutschland das „Staatsgefüge am Limit“, etwa bei der unterbesetzten Polizei oder in Schulen mit zu wenigen Lehrern. Daher sprach sie sich auch dagegen aus, den Familiennachzug für Flüchtlinge wieder zu erlauben. Ludwig zu Schüle: „Sehen Sie sich die Umfragen in Deutschland an!“
Schüler fragt AfD-Kandidat Springer: „Was haben Sie denn gegen Ausländer?“
Schüle sagte, sie sei gegen eine Obergrenze. Man dürfe Länder wie Italien mit den Flüchtlingen nicht allein lassen. „Und ich möchte nicht dem Sterben im Mittelmeer zusehen.“ Zugleich verwies sie auf den Fachkräftebedarf in Deutschland, den sie auch mittels eines Zuwanderungsgesetzes decken will. „Aber am Ende werden nur Menschen zu uns kommen, wenn es ein gesellschaftliches Klima gibt, in dem sie sich wohlfühlen.“ Parteien wie die AfD würden diese Stimmung zunichte machen, setzte Schüle nach.
AfD-Kandidat René Springer musste sich an diesem Abend die meiste Kritik anhören. Ein Schüler etwa fragte ihn direkt: „Was haben Sie denn gegen Ausländer?“ Es folgte viel Applaus. Springer sagte, es gehe nicht „um Politik gegen Ausländer“, sondern um die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung als Staatsziel Nummer eins.“ Darauf folgte ein Zwischenruf eines Gastes: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde sei der erste Artikel des Grundgesetzes, der müsse auch für Flüchtlinge gelten. Auch eine schwarze Schülerin sprach Springer auf den AfD-Slogan „Wir holen dir dein Land zurück!“ an: „Deutschland ist doch nicht gestohlen worden, von wem wollen sie es denn zurückholen?“ Springer entgegnete, es gebe eben Menschen, die das Gefühl hätten, dass „wir nicht mehr Herr unserer Lage sind“. Solche Menschen spreche die AfD an. Dies hätten zum Beispiel auch die Briten mit dem Brexit-Referendum zum Ausdruck gebracht. Der Schülerin reichte das nicht: „Aber von wo wollen Sie denn das Land zurückholen?“ Springer meinte dazu, man könne ja nun „Wortwissenschaft“ betreiben. Der Slogan bedeute eben, dass die politische Souveränität zurückgeholt werden müsse. An anderer Stelle sagte Springer, die Probleme bei der Integration von Flüchtlingen würden kleingeredet. Und es sei auch nicht die Aufgabe Deutschlands, die Probleme anderer Länder zu lösen, etwa beim Thema Flüchtlinge: „Wir vertreten deutsche Interessen.“ Dem entgegnete Annalena Baerbock (Grüne), Deutschland müsse sich vielmehr im Verbund der EU und der Weltgemeinschaft abstimmen.
Geld für die Integration von Flüchtlingen ausgeben, um sie anschließend wieder wegzuschicken?
Den Takt der rund 90-minütigen Debatte – die Kandidaten hatten für jede Antwort zwei Minuten Zeit – gaben vor allem die Schüler mit ihren Fragen vor. Einer fragte etwa, wie die Politik damit umgehen wolle, dass ein mittlerweile gut integrierter Mitschüler aus Afrika, der eine Ausbildung machen wolle, dennoch mit Abschiebung rechnen müsse? Schüle sagte, solche Fälle zeigten die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes, damit auch Asylbewerber als legale Einwanderer anerkannt werden könnten.
Auch der Schüler Tarek aus Afghanistan wollte eine klare Perspektive. „Kann ich hier einmal studieren?“, fragte er in die Runde. Baerbock mahnte angesichts solcher Fragen, solche Menschen dürfe man nicht abschieben, aus humanitären wie wirtschaftlichen Gründen: „Wir stellen Geld für die Integration der Menschen bereit und dann schicken wir sie wieder weg?“ Gleichwohl sagte etwa Schüle im Verlauf der Debatte, Deutschland werde bei der Integration von Flüchtlingen und den damit verbundenen Kosten auch Wohlstand verlieren: Doch komme die wirtschaftliche Stärke Deutschlands eben auch dadurch zustande, dass die Industrieländer lange Zeit auf Kosten von Kontinenten wie Afrika leben würden. Daher müssten die Menschen dort auch am wirtschaftlichen Erfolg in Europa beteiligt werden: „Ich würde von meinem Wohlstand auch abgeben.“
Grüne und Linke wollen Familiennachzug erleichtern
Für eine wie in Kanada geregelte gesetzliche Zuwanderung sprach sich Linda Teuteberg (FDP) aus – und für schnellere Asylverfahren sowie eine „konsequente Rückführung“ von Menschen, für deren Aufenthalt „keine Rechtsgründe“ mehr vorlägen. Es müsse unterschieden werden zwischen individuell politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und dauerhaften Einwanderern in den Arbeitsmarkt. Norbert Müller von den Linken plädierte dagegen dafür, das in den vergangenen Jahren abgeschwächte und aus seiner Sicht „ausgehöhlte“ Recht auf Asyl wieder voll herzustellen. Zur AfD-Forderung nach Asyl-Schutzzentren in Afrika sagte Müller, dies bedeute die „Kasernierung“ von Flüchtlingen, noch dazu in Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen. Springer sagte, diese Standards wolle die AfD „natürlich nicht“. Annalena Baerbock sagte, auch mit dem deutschen Rechtsverständnis – ein ordentliches Verfahren, Widerspruchsfristen, et cetera – seien solche Lager nicht vereinbar: „Herr Springer, Sie reden über böhmische Dörfer!“
Baerbock betonte wiederum, der Familiennachzug müsse wieder möglich sein. Sie sagte, viele Männer, gerade aus Syrien, seien 2015 zunächst geflüchtet, um ihre Frauen und Kinder später nachzuholen. Die Politik der Bundesregierung habe das inzwischen unmöglich gemacht: „Die Schwächsten werden nicht mehr nach Deutschland gelassen.“ Müller stimmte zu: Es sei eine „Gaga-Politik“, wenn zum Beispiel minderjährige Flüchtlinge ihre Familien nicht nachholen könnten und dann in Kinderheime müsste. So etwas verstoße gegen den verbriefen Schutz der Familie.
„Es wäre furchtbar, wenn Tarek irgendwann abgeschoben würde“
Der nächste Bundestag könnte das ändern. Ludwig dürfte dagegen stimmen. Sie sagte, gerade die Zuwanderung in die Sozialsysteme müsse vermieden werden. Allerdings plädiere ihre Partei für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, um etwa Abschlüsse aus anderen Ländern einfacher anerkennen zu lassen – und um prinzipiell zu definieren, „wen wir brauchen“.
Doch gehört zum Beispiel der inzwischen gut deutsch sprechende Marienschüler Tarek aus Afghanistan dazu. In seinem Schlusswort nannte Direktor Thomas Rathmann den Schüler als gelungenes Beispiel für Integration: „Es wäre furchtbar, wenn Tarek irgendwann abgeschoben würde.“ Widerspruch gab es an dieser Stelle nicht.
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