Spektakulärer Fund für Potsdam Museum: Die verlorenen Gesichter des Garde-Regiments
Das Potsdam Museum hat einen spektakulären Fund gemacht –15 Ölgemälde, die einst im Garnisonmuseum hingen. Zu erkennen ist darauf aber kaum etwas.
Potsdam - Die Experten sind perplex – und auch ein bisschen ratlos. „Das erinnert an die Bilderstürmerei der Reformationszeit“, sagt Oliver Max Wenske. „Danach hat es so etwas jahrhundertelang nicht gegeben.“
Was den Konservator des Potsdam Museums so aus dem Häuschen sein lässt, wirkt auf den ersten Blick wie schlichter Vandalismus. 15 alte Ölgemälde liegen am Dienstagvormittag säuberlich aufgereiht im großen Saal des Museums, drei davon stehen auf einer Staffelei. Dass es sich einmal um Porträts gehandelt hat, kann man nur noch ahnen – sämtliche Gesichter sind zerkratzt, bei einigen wurde die Leinwand komplett übermalt.
Für das Potsdam Museum sei das Konvolut trotzdem ein in gleich mehrerer Hinsicht spektakulärer Fund, wie Fördervereinschef Markus Wicke bei der Präsentation erzählt. Das fängt bei der Entstehungsgeschichte an und hört mit den Umständen ihrer Wiederentdeckung auf – bis vor Kurzem galten die Kunstwerke nämlich als vollständig zerstört oder verschollen.
Bilder vom 1. Garde-Regiments zu Fuß
Aber der Reihe nach. Geschaffen wurden die Bilder von bislang unbekannten Malern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um Porträts von Offizieren des in Potsdam ansässigen 1. Garde-Regiments zu Fuß, die im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 oder im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gefallen waren. Das Offizierskorps des Regiments war damals in einem – inzwischen nicht mehr existierenden – Gebäude in der heutigen Werner-Seelenbinder-Straße ansässig. Dort hingen auch die Porträts, bis das Regiment nach dem Ersten Weltkrieg aufgelöst wurde. Danach gingen sie in den Besitz des Semper Talis Bundes über, der 1921 von ehemaligen Regimentsangehörigen zur Traditions- und Kameradschaftspflege gegründet wurde und der noch heute existiert.
Vergessenes Garnisonmuseum
Als die Stadt – gegen die Stimmen von KPD und SPD – 1923 im Marstall, dem heutigen Filmmuseum, ein Garnisonmuseum einrichtete, stiftete der Semper Talis Bund mehrere Dutzend dieser Gemälde, vor allem Offiziers- und Königsporträts, für die Dauerausstellung des Museums. Dass es ein solches Garnisonmuseum überhaupt gab, ist heute in Potsdam weitgehend in Vergessenheit geraten. Erst vor wenigen Monaten geriet die Einrichtung wieder ins öffentliche Bewusstsein, als der Förderverein des Potsdam Museums zufällig in den Besitz von 14 Fotografien gelangte, die der berühmte Potsdam-Fotograf Max Baur 1938 nach dem Umbau des Garnisonmuseums gemacht hatte (PNN berichteten). Auf einigen dieser Bilder sind auch die Ölporträts der Militärangehörigen zu sehen, die in dem bei Besuchern äußerst beliebten Museum bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ausgestellt waren. Was danach mit ihnen geschah, blieb ein Geheimnis, das erst jetzt, fast 75 Jahre später, gelüftet wurde.
Bilder vor der Vernichtung bewahrt
Als Markus Wicke nämlich die Baur-Fotografien sah, dämmerte es ihm: Er hatte 15 dieser Ölgemälde schon einmal gesehen – allerdings in einem beklagenswerten Zustand. Sie befanden sich, sicher eingelagert, seit den 1950er-Jahren in einem Potsdamer Privathaushalt, der laut Wicke anonym bleiben will. Wie die Kunstwerke dorthin gelangten, ist unklar. Es ist aber wahrscheinlich, dass derjenige, der sie mitnahm – im Übrigen ein Mitglied des Fördervereins – sie lediglich vor der vollständigen Vernichtung bewahren wollte.
Genau die, glaubte man bislang, hatte längst stattgefunden. Wie Wicke und Museumshistorikerin Wenke Nitz nach einer Recherche in den Archiven herausfanden, befasste sich 1950 eine Kunstkommission mit dem Schicksal der Offiziersporträts. Eines der Mitglieder war Wicke zufolge Willy Kurth, der damalige Chef der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass 42 der Gemälde, darunter die 15 jetzt wiederentdeckten, „ohne jeden Wert“ seien und laut Aktenlage vernichtet worden seien.
Porträts mit dem Messer berarbeitet
Tatsächlich machte man sich aber etwas mehr Mühe. Keilrahmen, insbesondere aber Leinwände, seien in der DDR knapp gewesen, erzählt Restaurator Wenske. Also habe man sie retten, an DDR-Künstler übergeben und so wiederverwenden wollen. Die Porträts wurden zuerst mit einem Messer bearbeitet, um die Gesichter abzulösen, danach versuchte man, mit einem feuchten Lappen nachzuwischen und zum Schluss schließlich fuhrwerkten die Bilderstürmer mit Schleifpapier oder Bimsstein über die Gemälde. Manche wurden sogar bereits mit Grundierfarbe übermalt. Warum daraus trotzdem keine neuen Gemälde entstanden, bleibt wohl für immer offen. „Vielleicht aus Respekt vor der Arbeit der Porträtmaler“, mutmaßt Wicke.
Klar ist aber, was jetzt mit den Bildern geschieht. Restauriert werden sie nicht, nur konserviert. Die Verbannung alles Preußisch-Militärischen in der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg sei schließlich Zeitgeschichte, erklärt Historikerin Nitz. In diesen Kontext sollen sie auch künftig gestellt werden.
Bilder werden aufgeteilt
Ab Februar 2019 will Nitz sie im zweiten Teil der Ausstellung „Umkämpfte Wege der Moderne“ zeigen, die sich mit dem Verhältnis zwischen Potsdam und Babelsberg zwischen 1914 und 1945 befasst. Nach der Klärung der Provenienz hat der bisherige Besitzer der Bilder diese dem Förderverein geschenkt, der sich wiederum mit dem einstigen Eigentümer, dem Semper Talis Bund, auf eine Aufteilung geeinigt hat. Sechs Gemälde behält der Bund, neun bekommt das Museum. Mit der Erforschung der Kunstwerke stehe man noch ganz am Anfang, sagt Wicke. Doch immerhin zwei der Porträts konnte man nach einem Vergleich mit den Baur-Fotografien zuordnen: Eines zeigt demnach den preußischen Offizier Otto von Derenthall (1931-1910), das andere einen Grafen von Keller.
Andächtig berührt vom Hauch der Geschichte ist man auch beim Semper Talis Bund. Der Fund der Bilder, sagt der Beauftragte für die Militärische Sammlung, Ernst Schüßling, sei „ein weiterer Mosaikstein“ in der Historie des Bundes.
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