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Streit um den Wiederaufbau: Die Kirche Ganzes als sehen

Die Sicht auf die Potsdamer Garnisonkirche dürfe vor dem Hintergrund der umstrittenen Wiederaufbaupläne nicht auf die militärische Tradition verengt werden, sagt die Zeithistorikerin Anke Silomon im Interview. Sie hat die Geschichte der Kirche im 20. Jahrhundert aufgearbeitet. Ihre Untersuchung ermögliche es nun, ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten

Frau Silomon, Sie haben Ihre Untersuchung zur Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert „Pflugscharen zu Schwertern – Schwerter zu Pflugscharen“ genannt. Um eine Entwicklung aufzuzeigen?

Ganz genau: von einer Militärkirche zur Friedensgemeinde. In dem Zeitraum, den ich bearbeitet habe, ist die Garnison in den Ersten und dann die Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg gezogen. Die Umkehr kam nach der Kapitulation, und in der DDR bemühte sich die Evangelische Kirche, so auch die Heilig-Kreuz-Gemeinde, darum, im übertragenen Sinne Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden und die Bedingungen für Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen. Das Prophetenwort „Schwerter zu Pflugscharen“ war auch das Motto der eigenständigen kirchlichen Friedensbewegung in der DDR, die Anfang der 1980er-Jahre entstand und von der DDR-Führung verfolgt wurde.

Die Garnisonkirche ist für viele Seiten zur symbolträchtigen Projektionsfläche geworden, bereits in der Weimarer Republik für konservative Milieus, in der DDR-Zeit für die „antifaschistische“ SED und heute als negatives Mahnmal des Militarismus bzw. als geplantes Versöhnungszentrum. Wie wird man dieser Kirche gerecht?

Man wird der Kirche nur gerecht werden, wenn man immer den historischen Kontext mit bedenkt. Man kann nicht die nationalkonservativen Milieus der Weimarer Republik mit den SED-Machthabern gleichsetzen. Man muss die Kirche und die Geschichte ihrer Gemeinden als Ganzes betrachten, um zu einer halbwegs differenzierten Bewertung zu kommen. Die Verengung der Sicht einiger Gegner des Wiederaufbaus auf den 21. März 1933 und die Kritik an der angeblich reinen Militärkirche sind falsch. Genauso wenig können die Befürworter des Wiederaufbaus diesen Teil der Geschichte ausblenden. Deswegen wurde ich mit der Aufarbeitung der Geschichte zwischen 1914 und 1989 beauftragt, damit ein so weit als möglich vollständiges Bild die Möglichkeit eröffnet, sich mit der Geschichte der Garnisonkirche auseinanderzusetzen.

Sie sind Zeithistorikerin am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung, ihre Arbeit wurde durch den Kirchenkreis Potsdam, der den Wiederaufbau vorantreibt, gefördert. Inwieweit ist die Studie also unabhängig?

Ich hätte diese Arbeit niemals angenommen, wenn nicht von vornherein klar gewesen wäre, dass ich bei meinen Recherchen vollkommen freie Hand habe. Es ist interessant, dass viele, natürlich in erster Linie die Gegner, fast selbstverständlich davon ausgehen, ich würde Hofgeschichtsschreibung für die Stiftung Garnisonkirche machen. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam ist ein Institut der Leibniz-Gesellschaft und zeichnet sich durch unabhängige Forschung aus. Ich habe den Status einer assoziierten Wissenschaftlerin dort bekommen, was bedeutet, dass ich auf die Infrastruktur des Zentrums zurückgreifen kann. Zum Kirchenkreis gehören allein 22 evangelische Kirchengemeinden der Städte Potsdam, Werder und Umgebung. Der Kirchenkreis hat in dem Moment die Förderung der Drucklegung meiner Studie angeboten, als das fertige Manuskript bereits beim Nicolai-Verlag war. Was genau darin stand, wussten die gar nicht.

Die Garnisonkirche hatte die rechtliche Stellung einer Immediatkirche. Bedeutete das einen pauschalen Maulkorb für die Gottesdienste?

Das war abhängig von den jeweiligen Landesherren bzw. der Regierung, also im Kaiserreich vom preußischen König, der zugleich deutscher Kaiser war, nach 1918 von der preußischen Regierung bzw. Reichsregierung und nach dem Zweiten Weltkrieg vom Evangelischen Oberkirchenrat. Eine Verpflichtung, sich Kritik gegenüber der Regierung zu enthalten, gab es nur in autoritären oder kirchenfeindlichen Gesellschaften. Wichtiger war der Streit um die Instandhaltung und Finanzierung des Gebäudes, das von der Kirche bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ja nur benutzt wurde.

Hatte dieser Sonderstatus auch Vorteile?

Der Vorteil dieses Konstruktes war der direkte und kurze Weg zwischen der Garnisonkirche und den Landesherren, was die Handlungsfähigkeit und Flexibilität der Gemeinden vergrößerte. In Gesellschaften mit entspannten und positiven Staat-Kirche-Beziehungen hatte diese Kirche viele Freiheiten. Sie konnte Kirche nach den Bedürfnissen ihrer Gemeinden gestalten.

Die Garnisonkirche beherbergte eine zivile und eine militärische Gemeinde in einem Haus. Wie entwickelte sich diese ungewöhnliche Koexistenz?

Die Militärgemeinde, die sich aus Angehörigen der Garnison, also des Heeres, zusammensetzte, wurde von einem lutherischen Prediger, die Hof- und Zivilgemeinde von einem reformierten Prediger betreut. Beide Gemeinden hatten ihre eigenen Verwaltungsorgane. Es gab aber durchaus auch viel Zusammenarbeit – wenn Not am Mann war – und gegenseitigen Austausch. Die Kirchenbücher wurden lange Zeit gemeinsam geführt, bis in der NS-Zeit die Erstellung der Ariernachweise die Kapazitäten sprengte. Für die jeweiligen Pfarrer gab es unterschiedliche Dienstwohnungen. Das Leben der Militärgemeinde war in Kriegszeiten im Grunde so vom Kriegsgeschehen dominiert, dass für Anderes kaum Raum blieb.

Was zeigt das Zusammenwirken der beiden Gemeinden?

Genau genommen waren es sogar drei Gemeinden: eine Hof-, eine Zivil- und eine Militärgemeinde. Es zeigt sich, dass die ehemalige Garnisonkirche eben keine reine Militärkirche war, sondern ausgesprochen facettenreich.  

 

Und nach dem Ersten Weltkrieg?

Da griff der Versailler Vertrag. Das Heer musste verkleinert werden und damit auch die Zahl der Pfarrer und Seelsorger. Im Zweiten Weltkrieg war dann der Bedarf vor allem an Seelsorgern so drastisch gestiegen, dass guter Rat teuer war. Und prinzipiell waren ja Pfarrer in der Zeit des Nationalsozialismus gar nicht erwünscht, höchstens als nützliche Idioten, die die Soldaten zum Endsieg anstacheln sollten. Was aber auch beileibe nicht alle getan haben.

Der Ausgang des Ersten Weltkriegs hatte die Existenz der Kirche in Frage gestellt.

Ja, in der Revolution verlor die Evangelische Kirche ihre bisherige Position als Staatskirche. Sie musste mit der Trennung von Staat und Kirche umgehen und sich neu organisieren, um in der parlamentarischen Demokratie einen Platz zu finden. Schließlich wollte sie ja der Weimarer Republik eine christliche Prägung geben.

Bereits in der Weimarer Republik wurde die Potsdamer Garnisonkirche dann von rechtskonservativen Kreisen benutzt.

Aus dem historischen Kontext heraus gesehen ist das, angesichts dieses plötzlichen Umbruchs, nicht unverständlich. Nicht nur die Monarchisten und Nationalisten fühlten sich gedemütigt durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Bestimmungen des Versailler Vertrags. Viele Christen trauerten der komfortablen Stellung der Kirche im Kaiserreich nach.

Wurde die Kirche durch diese Inanspruchnahme zum preußischen Erinnerungsort?

Nein, das liegt tiefer in der Geschichte begründet. Und hängt davon ab, wer sich erinnert, ob Demokraten oder Nationalkonservative. Die Garnisonkirche war von Anfang an eine Stätte des Preußentums. Ich denke aber, dass es nicht nur ein negatives Preußentum gibt.

Wie bewerten Sie den „Tag von Potsdam“?

Der Reichstag war abgebrannt, man musste einen Ort finden für die konstituierende Sitzung des neuen Reichstags, die Evangelische Kirche gab die Garnisonkirche nur für eine zeremonielle Auftaktveranstaltung her. Durch das legendäre Foto, auf dem Hitler und Hindenburg sich die Hand zum Abschied reichen und das um die Welt ging, wurde den Nazis erst klar, dass man dieses Ereignis, den „Tag von Potsdam“, propagandistisch hervorragend ausnutzen konnte.

In der Folge wehrte die Gemeinde immer wieder Versuche ab, die Kirche für politische Nutzungen durch die Nationalsozialisten zu vereinnahmen. Warum ist das in der Debatte um die historische Einstufung des Gotteshauses heute kein Thema?

Weil es nicht ins einseitige und festgezurrte Bild passt. Die Gegner des Wiederaufbaus ignorieren, nein, sie wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es das auch gab. Und die Befürworter trauen sich zu Recht nicht, diese Gegenwehr zu sehr hervorzuheben, weil ihnen dann vorgeworfen wird, die andere Seite der Medaille nicht zu sehen. Die Fronten sind sehr verhärtet – leider.

1934 verhinderte der Küster die Aufstellung der Blutfahne der Hitlerjugend, keiner der Pfarrer zwischen 1933 und 1945 gehörte den NS-nahen Deutschen Christen an, einige standen gar der Bekennenden Kirche nahe. Ist das exemplarisch für die Garnisonkirche in dieser Zeit?

Ja, das sind Beispiele dafür, dass es solche und solche gab. Man kann weder sagen, die Garnisonkirche und ihre Pfarrer seien ein Hort der Bekennenden Kirche gewesen, noch, sie sei eine Militärkirche gewesen, deren Pfarrer mit dem Nationalsozialismus sympathisierten.

Wie entwickelte sich diese Haltung im Folgenden?

Im Zweiten Weltkrieg hat die Bereitschaft der Geistlichen der Garnisonkirche, die Kirche vom NS-Regime in Anspruch nehmen zu lassen, sogar noch abgenommen. Das geht aus den Akten deutlich hervor. Und muss wiederum vor dem historischen Hintergrund gesehen werden: Spätestens seit Stalingrad nahm die Zustimmung in der gesamten Bevölkerung, auch die Bereitschaft vieler Soldaten, ab, sich an diesem sinn- und aussichtslosen Gemetzel zu beteiligen. Und demnach auch, ihre Kirche einem verbrecherischen, kirchenfeindlichen und größenwahnsinnigen Regime zur Verfügung zu stellen.

Auch war es die Kirche, in die die Widerständler vom 20. Juli zum Beten gingen

In der Tat gab es einige, die regelmäßig die Gottesdienste in der Garnisonkirche besuchten, Hans von Dohnanyi, Henning von Tresckow, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, die maßgeblich am Widerstand gegen Hitler beteiligt waren. Zu den Mitstreitern des von Claus Schenk Graf von Stauffenberg geplanten und missglückten Attentats auf Hitler gehörten unter anderem auch 20 Mitglieder des nahe der Garnisonkirche in der Priesterstraße stationierten Infanterieregiments (IR) 9 der Wehrmacht beziehungsweise der Reichswehr.

Die starken Zerstörungen durch den Bombenangriff in der Nacht von Potsdam war nicht das Ende der Garnisonkirche.

Nein, keineswegs. Natürlich hörte die Militärgemeinde auf zu existieren. Das Kirchengebäude ging in den Besitz der übrig gebliebenen Zivilgemeinde über. Als „Heilig-Kreuz-Gemeinde“ stellte man sich unter dem Zeichen eines Neuanfangs, dem Zeichen der Versöhnung, als Gegengewicht und Symbol gegen den „Tag von Potsdam“ und die NS-Verbrechen neu auf.

Der endgültige Abriss der Kirche in der DDR war zwar von der Staatsführung besiegelt, doch es gab auch andere Stimmen.

Es gab sogar heftigen Widerstand, sogar im Ausland, von Christen und Nichtchristen, Denkmalpflegern und Architekten, jungen und alten Menschen. Vor allem muss man sich vor Augen halten, dass nicht nur ein beschädigter Kirchturm gesprengt wurde, sondern mit ihm die Kapelle einer funktionierenden und lebendigen Gemeinde. Und das an einem Sonntag zur Gottesdienstzeit.

Wurde der Bau im Sozialismus nicht nur als braun befleckte Militärkirche gesehen?

Die Kirche wurde als älteste Barockkirche Norddeutschlands bewundert, die Teil des legendären Dreikirchenblicks in Potsdam war.

Es gab bereits in DDR-Zeiten die Idee, die Kirche auch zum Mahnmal gegen Militarismus und Faschismus zu nutzen.

Aber die Befürworter dieser Lösung hatten keine Chance. Die SED war der Ansicht, die DDR verfüge über ausreichend Mahnmale.

Die sehr wechselvolle Geschichte hat für zahlreiche Mythen gesorgt. Wie kann es heute gelingen, die Kirche ohne diese Altlasten in den Blick zu nehmen?

Man muss die Kirche mit ihren Altlasten in den Blick nehmen und mit ihrer Geschichte konstruktiv umgehen in dem Sinne, dass man zeigt, wie man aus dieser Geschichte lernen kann und ein Zeichen setzt in Richtung Aufklärung, Wissensvermittlung, Versöhnung. Dennoch: In ihrer Entstehungsgeschichte muss die Verbundenheit der Garnisonkirche und vieler Protestanten mit der Hohenzollernmonarchie und Preußen in Betracht gezogen werden.

Kann man die Kirche überhaupt noch ohne diese Aufladung durch historische und politische Mythen und Utopien sehen?

Nein, aber das muss man doch auch nicht, solange man nicht den Fokus auf ein, zwei Ereignisse setzt. Man kann sich aus der Geschichte dieser Kirche nicht die Rosinen herauspicken und sie als Steinbruch für seine Argumente missbrauchen.

Kann man ein Bauwerk mit seiner Historie verhaften?

Man kann ein Bauwerk nicht verantwortlich machen für seinen Missbrauch, aber man muss die Geschichte kennen und darf sie nicht ignorieren.

Inwiefern wäre die Kirche als einzigartiger barocker Kirchenbau in Norddeutschland – ganz abgesehen von den historischen Konnotationen – erhaltenswert gewesen?

Ohne Wenn und Aber.

Ihr Standpunkt zu einem möglichen Wiederaufbau?

Den Turm als architektonisches Glanzstück – und damit auch den charakteristischen Potsdamer Dreikirchenblick mit den Türmen der Nikolai- und Heilig-Geist-Kirche – wiederherzustellen, finde ich sinnvoll. In dem Turm sollte ein Informations- und Versöhnungszentrum mit internationaler Reichweite entstehen. Was das Kirchenschiff anbelangt, muss man auch die innerkirchlichen Konsequenzen sehen, die sich für die anderen Potsdamer Kirchen ergeben könnten.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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