100 Jahre Novemberrevolution in Potsdam: „Die Kaiserin konnte es nicht glauben“
Vor 100 Jahren dankte der deutsche Kaiser ab. Über das Ende der Monarchie und den 9. November 1918 in Potsdam spricht Jörg Kirschstein, Kurator der Schau „Kaiserdämmerung“, im PNN-Interview.
Herr Kirschstein, am 9. November 1918, also vor 100 Jahren, wurde in Berlin die Republik ausgerufen und die Abdankung des Kaisers verkündet. Auguste Victoria, die Gemahlin von Kaiser Wilhelm II., hielt sich an diesem Tag im Neuen Palais auf. Wie hat sie von der Revolution erfahren?
Das Neue Palais war ja der Wohnsitz des Kaiserpaares. Die Nachricht von der Abdankung des Kaisers erhielt Auguste Victoria eher beiläufig. Die Kaiserin befand sich unten auf der Terrasse am Neuen Palais, als der Erzieher ihrer Enkelsöhne, Wilhelm-Dietrich von Ditfurth, ihr gegenüber in einem Nebensatz erwähnte, dass der Kaiser abgedankt habe.
Sicher ein großer Schock für sie.
Sie hat das nicht glauben wollen, ist nach oben gestürzt zu einigen ihrer Söhne und hat es ihnen erzählt. Die waren erst einmal sauer, dass ihr Lehrer schon vor ihnen von der Abdankung des Kaisers wusste. Dann ist die Kaiserin zur Kronprinzessin gegangen und hat ihr gesagt: Nun ist dein Sohn, der Prinz Wilhelm, der kleine Kaiser. Man möge es ihm aber nicht mitteilen, weil er noch so jung sei. Die eigenen Söhne der Kaiserin kamen wegen einer Vereinbarung mit Wilhelm II. nicht als Thronfolger in Frage.
Die Kaiserin hatte also noch gar nicht begriffen, dass wirklich die ganze Monarchie hinweggefegt war?
Ja, was Auguste Victoria tat, war natürlich völlig anachronistisch. Aber die Kaiserin konnte eben nicht glauben, dass die jahrhundertealte Tradition der Monarchie jetzt auf einmal zu Ende sein sollte.
Wilhelm II. hatte ja eigentlich nicht abgedankt, Reichskanzler Max von Baden hatte die Abdankung lediglich verkündet, ohne dass sie tatsächlich erfolgt war.
Das hat ihm die Kaiserin natürlich sehr übel genommen. Max von Baden war als Verwandter des Kaisers öfter im Neuen Palais. Erst fünf Wochen vor der Revolution hatte man ihn zum Reichskanzler gemacht. Er war selbstverständlich angetreten, um dem Kaiser zu dienen. Durch die miserable politische und militärische Lage des Reiches sah er sich jedoch dazu gezwungen, die Abdankung des Kaisers zu verkünden.
Und dann ging alles sehr schnell.
Allerdings muss man sehen, dass auch schon in den Tagen und Wochen zuvor die mögliche Abdankung des Kaisers im Raum stand. So gab es am 29. Oktober das letzte Essen der kaiserlichen Familie im Neuen Palais, an dem der Kaiser selbst teilnahm, bevor er wieder nach Spa ins Große Hauptquartier entschwand. Da war die Stimmung schon sehr gedrückt. Die militärische Niederlage des Reiches stand bevor. Die Frage einer etwaigen Abdankung schwebte schon zu dieser Zeit über dem Kaiser. Es gab auch die Idee, er solle den Freitod suchen. Aber der Kaiser sagte, aus religiösen Gründen würde er sich niemals entleiben. Wegen dieser Stimmung ist er weit weg ins belgische Spa gefahren, damit er nicht mehr so greifbar ist.
Wilhelm II. wollte ja dann einige Tage später tatsächlich auf den Kaiserthron verzichten, aber zugleich preußischer König bleiben. Wieso kam es dazu nicht mehr?
Es hatten auch schon andere Bundesfürsten abgedankt, so die Wittelsbacher am 8. November und am gleichen Tag die Welfen in Braunschweig. Da merkte Wilhelm, dass die ganzen Throne wackeln. Daraufhin hat er sich gesagt, okay als deutscher Kaiser danke ich ab, aber nicht als preußischer König. Am 9. November gab es dann in der Tat auch schon ein Manifest, in dem der Kaiser eben diese Entscheidung von der teilweisen Abdankung kundtun wollte. Aber das Ganze ging zu langsam. Max von Baden hatte kurz zuvor schon verkündet, dass Wilhelm II. insgesamt abgedankt habe.
Was geschah an diesem denkwürdigen Tag in Potsdam?
Hier passierte im Vergleich zu Berlin nicht viel. Am 9. November gegen 16 Uhr wollten die Massen zwar auch ins Potsdamer Stadtschloss. Sie schafften es, gegen 19 Uhr in den Innenhof und auch in die Schlossräume hineinzukommen. Aber die Leute haben hier nicht geplündert, im Gegensatz zum Berliner Schloss. Potsdam hatte immer noch eine andere Stellung. Es war die Stadt der Militärs und des Adels. Deswegen war der Aufruhr hier nicht so groß wie andernorts.
Aber die Unruhe im Reich war den Potsdamern sicherlich auch in den Tagen zuvor schon nicht verborgen geblieben.
Die Potsdamer Zeitung hat am 6. November zum ersten Mal über die Massenausschreitungen in Kiel berichtet – und dazu aufgerufen, auch hier zu demonstrieren. Es gab in diesen Tagen natürlich auch Ängste seitens der Hofverwaltung. Zum Beispiel hat der Kaisersohn Eitel Friedrich, der für die Sicherheit der Kaiserin verantwortlich war, am 7. November vom Potsdamer Polizeipräsidenten gewünscht, dass der Park von Sanssouci aus Sicherheitsgründen abgesperrt wird. Das hat der Polizeipräsident abgelehnt. Er wollte nicht, dass es wegen einer solchen Absperrung Unruhe in der Potsdamer Bevölkerung gibt.
Trotz Adel und Militär – auch in Potsdam fand die Revolution statt. Wie organisierten sich hier die Revolutionäre?
Am 9. November gründete sich in Potsdam ein Arbeiter- und Soldatenrat. Der ist am selben Tag in die Kommandantur gegangen. Die befand sich in dem Haus an der Schlossstraße, in dem im 18. Jahrhundert der heute noch bekannte Plögersche Gasthof untergebracht war. Dort in der Kommandantur saßen der Polizeipräsident und die ganzen Generäle. Und die mussten dann ein Dekret unterschreiben, dass nun dem Soldatenrat sozusagen die Macht übergeben werde.
Wie ging es weiter?
Dann ist der Soldatenrat in die Kaserne des 1. Garderegiments zu Fuß gegangen. Aus den dortigen Reihen der Soldaten wurde ein weiterer Soldatenrat gegründet. Am folgenden Tage, dem 10. November, fand im Alten Rathaus eine Sitzung statt, wo sich noch einmal aus verschiedenen Soldatenabordnungen Räte bildeten. Noch am selben Tag ist eine Abordnung auf ein Lastauto gestiegen und zum Neuen Palais gefahren. Die Revolutionäre hatten die rote Fahne der Potsdamer Radsportler dabei, wie es in den Quellen heißt. Im Neuen Palais angekommen, haben sie die Wachen nach Hause geschickt und eigene Wachen gestellt. Auch holten sie die Standarte der Kaiserin von einer Kuppel herab. Das war für Auguste Victoria das erste optische Zeichen, dass die Revolution ausgebrochen ist.
Wann hat die Kaiserin das Neue Palais verlassen?
Am Abend des 21. November ist sie in die Villa Ingenheim gezogen. Drei Tage später war dann klar, dass sie zu ihrem Mann reisen kann, der inzwischen von Spa aus ins niederländische Exil geflohen war. Am 27. November bestieg sie einen Sonderzug, der sie in die Niederlande brachte. Es heißt, auf dem Zug habe eine rote Fahne geweht.
Das Interview führte Holger Catenhusen
JÖRG KIRSCHSTEIN, 49, ist Schlossbereichsleiter im Schloss Babelsberg. Er hat die aktuelle Ausstellung „Kaiserdämmerung“ im Neuen Palais kuratiert, die jetzt zu Ende geht.