Diskussion zum "Tag von Potsdam": „Die Garnisonkirche hat ein mehr als schweres Erbe“
Eine prominent besetzte Runde diskutierte am Mittwoch in der Nagelkreuzkapelle über den Tag von Potsdam und die Rolle der Garnisonkirche. Der Abend machte erneut klar, wie umstritten der Wiederaufbau ist.
Potsdam - Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse ist erschreckend: Während am Tag von Potsdam, dem 21. März 1933, die Spitzen im Staate in der Potsdamer Garnisonkirche zusammenkommen, werden am selben Tag im nur 40 Kilometer Luftlinie entfernten Oranienburg die ersten Gefangenen in das dortige Konzentrationslager gebracht.
Schon in den Wochen zuvor waren im Reich Tausende Menschen aus politischen Gründen verhaftet worden. Auch die Verfolgung von Juden hatte bereits eingesetzt. Auf diese frühe Ausgrenzung und Entrechtung von Menschen bereits im Februar 1933 wies am vergangenen Mittwochabend Axel Drecoll in der Potsdamer Nagelkreuzkapelle hin. Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten diskutierte gemeinsam mit der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Petra Pau (Die Linke) und dem Historiker Martin Sabrow, einem der beiden Chefs des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung. Die drei Diskutanten beleuchteten dabei in der voll besetzten Kapelle die historische und aktuelle Bedeutung des Tages von Potsdam.
Am 21. März 1933 fand der Festakt in der Garnisonkirche statt
Auch dieser Abend machte zugleich erneut klar, wie umstritten Potsdams derzeit wohl meist diskutiertes Bauvorhaben ist: der Wiederaufbau der Garnisonkirche, jenem Ort, an dem am 21. März 1933 aus Anlass der Eröffnung des neu gewählten Reichstages ein Festakt stattfand. Die Hauptpersonen vor nunmehr fast 86 Jahren: Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler.
„Diese Kirche hat ein mehr als schweres Erbe“, befand Drecoll, der auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Garnisonkirche ist. Der Historiker zeigte Verständnis für eine kritische Haltung zum Wiederaufbau des Gotteshauses, von dem bekanntlich zunächst erst einmal nur der Turm auferstehen soll. Man könne „mit sehr, sehr guten Argumenten“ gegen die Replik von Gebäuden sein, sagte Drecoll, ohne sich zugleich diese Position zu eigen zu machen. Er fände es eher bedenklich, wenn eine Rekonstruktion, wie die der Garnisonkirche, überhaupt keine Kritik erführe.
Schon im Vorfeld Kritik
Doch manche Kritiker sind offenbar erst gar nicht gewillt, auch Veranstaltungen wie jene am Mittwochabend zu akzeptieren. Die brandenburgische Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BDA) hatte im Vorfeld gefordert, Drecoll möge seine Teilnahme absagen (PNN berichteten). Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau – von ihrer Vita her sicher nicht verdächtig, nationalistischen Tendenzen das Wort zu reden – sagte auf der Veranstaltung, sie habe in den vergangenen vier Wochen mehrere Aufforderungen erhalten, der Einladung in die Potsdamer Nagelkreuzkapelle nicht zu folgen. So hatte Lutz Boede von der Wählervereinigung „Die Andere“ Pau via Twitter empfohlen, „noch einmal ihren Auftritt an diesem Ort“ zu überdenken. Pau hingegen wollte ihre Teilnahme an der Veranstaltung explizit nicht als ein Statement für oder gegen den Aufbau der Garnisonkirche verstanden wissen. Björn Rugenstein von der Profilgemeinde „Die Nächsten“ ließ dies indes nicht gelten und fragte aus dem Publikum heraus die drei Diskutierenden: „Ist Ihnen bewusst, dass Sie hier als Mittel zum Zweck sitzen?“ Hier gehe es nun einmal um die Wiedererrichtung der Geburtsstätte des Dritten Reiches.
Sabrow: Garnisonkirche sei keineswegs Ausgangspunkt der Hitler-Diktatur gewesen
Historiker Sabrow widersprach dieser Zuschreibung der Garnisonkirche. Der 21. März 1933 sei keineswegs der Ausgangspunkt der Hitler-Diktatur gewesen. Schon vorher hätten sich die Machtverhältnisse im Reich verschoben. Ihm, so Sabrow, scheine es vielmehr offen zu sein, ob die Stadt Potsdam damals tatsächlich jene – die Vereinigung von alten Eliten und neuen Machthabern symbolisierende – große Rolle gespielt habe, die man ihr heute zuweilen beimesse. Sabrow verwies darauf, dass die einstige preußische Residenzstadt nicht in die Riege der sogenannten Führerstädte aufgenommen worden sei. Mit diesem Titel schmückten sich damals hingegen beispielsweise München als „Hauptstadt der Bewegung“ und Nürnberg als „Stadt der Reichsparteitage“. Den Grund für diesen Nichtaufstieg Potsdams vermutet Sabrow in Hitlers Abneigung gegen den preußischen Adel, der wiederum eng mit Potsdam verwoben war. Auch die Garnisonkirche als Ort des Festakts anlässlich der Eröffnung des Reichstages 1933 sei keineswegs Hitlers erste Wahl gewesen. Zunächst habe der Diktator eine Feier im Potsdamer Stadtschloss gewünscht, so Sabrow. Doch dort sei kein ausreichend großer Raum vorhanden gewesen. Der Historiker hatte schon in einer früheren Veröffentlichung darauf hingewiesen, dass Potsdam für den Festakt überhaupt erst dann ins Spiel gekommen sei, als das Reichstagsgebäude in Berlin wegen des Brandanschlages vom 27. Februar 1933 für eine Festveranstaltung nicht mehr zur Verfügung gestanden habe.
Auch heute noch relevante Fragen
Die Diskutanten in der Nagelkreuzkapelle zogen am Mittwoch auch gleichsam eine Klammer um die Zeit vom Aufstieg der Nationalsozialisten bis in unsere heutige Demokratie. Petra Pau richtete dabei den Blick auf die Zwischenkriegszeit: „Wir sind gut beraten, auch zu schauen, was vorher passierte“, bevor Hitler an die Macht kam. Die Nazis hätten nur deshalb Erfolg gehabt, weil die anderen Kräfte zu schwach gewesen seien.
Die Linken-Politikerin sagte, heute stelle sich konkret die Frage: „Welche Haltung hat jeder persönlich, wenn es ernst wird?“ Also wenn es wieder um die Ausgrenzung einzelner Gruppen gehe. „,Jude’ ist eines der beliebtesten Schimpfworte auf den Schulhöfen“, mahnte Pau. Auch Drecoll äußerte sich ähnlich: Der Glaube daran, dass die Lösung gesellschaftspolitischer Probleme in einer möglichst großen Homogenität der Bevölkerung liege, sei sehr gefährlich.