Homepage: Die Deutschen von sich selbst befreit
Historiker diskutieren Gedenken an NS-Terror
Zum Gedenken an den 70. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai war nicht unbedingt klar, mit welchem Begriff man sich dem Ende der deutschen Schreckensherrschaft annähern sollte. Neben dem „Tag der Befreiung“ waren neutraler auch „70 Jahre Kriegsende“ oder auch „Stunde null“ im Gebrauch. Der Jahrestag des Kriegsendes wird in Brandenburg nach Landtagsbeschluss künftig als „Tag der Befreiung“ als Gedenktag begangen. Nicht unproblematisch findet das der Ko-Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), Frank Bösch, der am Montag mit den renommierten Weltkriegs-Experten Paul Nolte (FU Berlin) und Sönke Neitzel im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums (DHM) über die Begrifflichkeit diskutierte: denn die Frage sei, ob hier einfach das Erbe der DDR mit einem Begriff übernommen wurde, der den einen als unpassend gilt, weil nach der NS-Zeit im Osten Europas neue Unfreiheiten ihren Lauf nahmen. Oder aber auch bei der Frage, ob es denn so war, dass die Deutschen vom Joch der Nazis befreit wurden.
Wer wurde befreit – die Deutschen oder die KZ-Opfer und Verfolgten?, wollte ein in die Diskussion eingebundener Twitter-Follower wissen. Sönke Neitzel, der demnächst von London nach Potsdam auf den Lehrstuhl für Militärgeschichte an der Uni Potsdam wechseln wird, sieht es dann auch so: „Die Deutschen wurden insgesamt vom Nationalsozialismus befreit und ein Stück auch von sich selbst.“ Die meisten Deutschen hätten die Kapitulation eben als Niederlage empfunden, wenn es auch Erleichterung gab, dass der Krieg vorbei war. Schließlich lag Deutschland mittlerweile in Trümmern. Also: „Mit dem Terminus Befreiung der Deutschen vom NS, damit machen wir es uns zu einfach“, sagte Neitzel. Schließlich hätten nicht die Nazis, sondern die Mehrheitsgesellschaft der Deutschen die Sowjetunion angegriffen. Dass man im Osten eher zum Befreiungsbegriff tendiere, habe stark etwas mit Identität zu tun, sah man sich doch in der DDR-Gesellschaft schließlich als Sieger über den Nationalsozialismus, verbinde das Kriegsende also eher mit einem positiven Selbstbild. Was im Westen sich wohl anders entwickelte, wo man stärker die Schuldfrage stellte.
Der Historiker Paul Nolte betonte dann auch, dass der 8. Mai für die Deutschen kein Tag zum Jubeln sein kann. „Es ist ein Tag der Schuld und Scham, kein Tag zum Fähnchenschwenken für die Deutschen.“ Neitzel sagte dazu: „Befreiung wäre mir zu eng.“ Und ZZF-Direktor Bösch warf schließlich ein, dass hier die Frage, wer befreit wurde, im Vordergrund stehen müsse: „Wurden die Deutschen von bösen NS-Aliens befreit oder vielmehr von sich selbst?“
Seit der Rede Richard von Weizsäckers von 1985 zum 40. Jahrestag des 8. Mai gilt er auch in der Bundesrepublik als „Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus. Weizsäcker betonte dabei, dass der 8. Mai vor allem ein Tag der Erinnerung an die unmenschlichen Leiden auf allen Seiten sei. Damit sollte vor allem eine Distanz zu der bisherigen Empfindung der Niederlage in Deutschland hergestellt werden.
In der aktuellen Debatte im DHM plädierten schließlich alle drei Historiker dafür, im Gedenken auch Widersprüchlichkeit zuzulassen, seien doch die Biografien von Tätern und Opfern oft nicht gradlinig, fand sich doch mancher Widerstandskämpfer plötzlich in der Wehrmacht wieder, oder ein Nazi half Verfolgten. Es gehe um gebrochene Biografien, Geschichte habe immer viele Facetten von Grautönen, ein Schwarzweiß-Bild mit den Befreiten und den Besiegten greife zu kurz. Neitzel sprach dabei von „50 shades of grey“. Und schließlich sollten die Deutschen beim Gedenken nicht unter sich bleiben, forderte Nolte, sondern immer auch im Austausch mit den anderen Nationen.
Dem Vorschlag einer Gedenkminute für den 8. Mai gab Nolte dann aber keine Zukunft: Die Art des Gedenken lasse sich nicht vorschreiben, sagte er. Eine Gedenkminute müsste, wenn schon, aus der Zivilgesellschaft selbst kommen. Auch für Neitzel stehe fest, dass die Politik keinen eindeutigen Begriff zum Gedenken vorgeben könne. Jan Kixmüller
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