Potsdamer AfD-Politiker im Porträt: Die Abgründe des Herrn Olbrich
Der 68 Jahre AfD-Politiker ist Alterspräsident der Stadtverordnetenversammlung. Er wird stark angefeindet. Auch, weil sein Weltbild aus einem Mosaik von Feindbildern und Obsessionen besteht.
Potsdam - Sebastian Olbrich sitzt an einem späten, heißen Sommermorgen im Museum-Café der russischen Siedlung Alexandrowka, und als der AfD-Lokalpolitiker im Schatten eines Pflaumenbaums loslegt und die verschlungenen Pfade nachzeichnet, auf denen er im Dezember 2017 nach Potsdam kam, ist er schwer zu bremsen. Es ist wie beim Sommerschlussverkauf: Alles muss raus.
Es gibt ja so viel zu erzählen. Ehrlich und offen lässt der studierte Russisch-Übersetzer die vielen Jahre in den alten Bundesländern und die kurze Zeit in den neuen Revue passieren. Die Tiefpunkte spart er nicht aus. Zwei Ehen, fünf Kinder, zwei Scheidungen; zweimal gute Jahre, zweimal ein hartes Ende. Jobs als IT-Experte im In- und Ausland, Jobverlust, Neuanfang. Nun Rentner mit Halbtagsjob im Büro des AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz für monatlich 1600 Euro. Dazu 1300 Euro Rente plus 195 Euro als Stadtverordneter. „Ich habe mein Auskommen“, sagt Olbrich.
Er wohnte zeitweise auf dem Campingplatz
Er schmunzelt als er von seinen Quartieren auf dem Parkplatz am Bundestag und dem Königlichen Campingplatz Sanssouci an der Pirschheide berichtet. Er hauste dort in seinem Wohnmobil, bis er eine feste Bleibe in Potsdam fand. Dann die Kandidatur bei den Kommunalwahlen in diesem Mai, der Einzug in die Stadtverordnetenversammlung und, am 19. Juni, die Eröffnung der konstituierenden Sitzung als Alterspräsident. Olbrich war mit 68 Jahren der Älteste in dem 56-köpfigen Plenum.
Was dann passierte, wird in die Geschichte der Stadt eingehen. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) attackierte die AfD und Olbrich in einer Schärfe, wie sie im Sitzungssaal zumindest in der Nachwendezeit noch nicht zu hören war.
Der Hintergrund: Zweieinhalb Wochen zuvor, am 2. Juni, war der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, ein Christdemokrat, der sich für Flüchtlinge engagierte, mutmaßlich von einem Rechtsextremisten hingerichtet worden.
Das Entsetzen über die Tat und zynische Kommentare aus dem rechtsextremistischen Dunstkreis war gerade im weltoffenen Potsdam groß. Schubert sprach die AfD direkt an: Vertreter dieser Partei hätten den Tod Lübckes mit „menschenverachtender Häme“ kommentiert.
Frontal ging der Oberbürgermeister dann Olbrich an. Dessen Verhalten sei „eines Stadtverordneten nicht würdig“, der AfD-Mann habe andere Parteien bei Twitter als „Volksfeinde“ bezeichnet, die eine kommunistisch-islamistische Gewaltherrschaft aufbauen wollten; er habe auch von „Bürgerkrieg“ gesprochen: „Sie zielen darauf ab, das gesellschaftliche Klima zu vergiften und den Boden für Hass und Gewalt zu bereiten“.
Schubert exekutierte Olbrich verbal und seine Partei gleich mit.
"Irgendwann werde ich reagieren"
Der so Gescholtene müht sich, die Fassung zu bewahren, als er nun in der Alexandrowka über das Geschehen spricht: „Es hat mich wochenlang Tag und Nacht verfolgt. Ich bin damit eingeschlafen und aufgewacht. Irgendwann werde ich in der Stadtverordnetenversammlung reagieren. Wie, das möchte ich jetzt noch nicht sagen. Die Antwort muss noch reifen.“
Fanatische Verschwörungstheoretiker identifizieren gern die Geheimdienste als Mächtige, die im Verborgenen die Fäden ziehen. Auch in seinem Fall wittert Olbrich eine Verschwörung gegen sich. Allen Ernstes spricht er von einem heimlichen Zusammenspiel zwischen dem Oberbürgermeister und der Presse. Die PNN, sagt er, „betreiben in meiner Wahrnehmung Hetze gegen die AfD. Ich habe sie daher abbestellt.“ Der Anlass: Ein Redakteur der PNN habe Schubert die Zitate von ihm aus den sozialen Medien zugesteckt. Und der habe „alles ungeprüft übernommen“.
Olbrich ist kein notorischer Lügner. Er glaubt sich, was er sagt.
Niemand wird als Rechtspopulist geboren, und auch für Olbrich war es ein weiter Weg dorthin. Während der Odyssee von seinem Geburtsort Berlin-Pankow über Stationen in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg bis nach Potsdam griff er vielfach zu, wenn er am Wegesrand etwas aus der spirituellen oder der politischen Ideenwelt blühen sah.
Er hielt sich mal hier und mal dort fest, wurde katholisch getauft, evangelisch konfirmiert, in der neuapostolischen Kirche 1972 mit dem Heiligen Geist geweiht und 1990, als er für zwölf Jahre den Baptisten folgte, „noch mal komplett getauft mit Untertauchen“. Alles vorbei. 1972 votierte er für Willy Brands SPD, 1982 für Helmut Kohls CDU. Zweimal für die Grünen, in Bayern auch mal für die Freien Wähler, und einmal, erzählt er laut lachend, kreuzte er die christlich-fundamentalistische Partei bibeltreuer Christen an.
In Tübingen führte der Lebensweg direkt nach rechts, wie bei vielen AfD-Sympathisanten, hauptsächlich wegen der Vielzahl von Flüchtlingen. Olbrich stieß 2015 zur AfD und wurde zwei Jahre später Kreisvorsitzender.
Olbrichts Menschenbild lässt schaudern
Der alte Mann mit dem freundlichen Gesicht könnte glatt als eloquenter Rentner durchgehen, wenn es nicht immer wieder zu Eruptionen käme, die den Blick auf sein Menschenbild eröffnen. Es wirkt wie ein Mosaik aus Feindbildern, Obsessionen und Phobien. Spricht er über die Bundesregierung, über Araber oder Schwarzafrikaner, über Grüne oder Linke, werden furchtbare Abgründe sichtbar. Es schaudert einen, hinabzusehen.
„Stop Islam! Stop Sharia!“, heißt es etwa in den sozialen Medien von ihm. „Begreift endlich, dass diese Islamisierung gestoppt werden muss. Die islamischen Eroberer lachen sich ja tot über dieses gehirnamputierte Land.“ Es gehört zum Allgemeinwissen, dass weder eine Islamisierung, noch eine Eroberung bevorsteht. Sein hysterischer Aufschrei ertönt nicht mehr im Netz. Olbrich hat ihn gelöscht. Wer länger mit ihm zusammensitzt, den verschont er nicht mit sinnstiftenden Scheußlichkeiten, mit dem Menschen aus dem AfD-Spektrum ihre Selbstgewissheit nähren. Empört erzählt Olbrich von angeblichen Erlebnissen einer Berliner AfD-Mitarbeiterin. Die sei „jede Woche von Arabern in der U-Bahn belästigt worden und aus dem verkifften Berlin weggezogen“. Sie sei „von Merkels Gästen als Schlampe und Hure bezeichnet“ worden, „so wie es der Islam befiehlt. Die haben das Recht und sogar die Pflicht, unsere Frauen als Nutten zu beschimpfen.“
Da kommt es ans Licht: das rassistische Denken in der AfD, das sich metastasenhaft ausbreitet und die Partei von Rechtsaußen nach Rechtsdraußen treibt.
Zurück zur Lokalpolitik. Dem AfD-Mann missfällt einiges in der Stadt. Dass sich Potsdam als „sicherer Hafen“ erklärte und Bootsflüchtlinge aufnehmen will, hält er „für Steuerverschwendung und fast für einen Rechtsbruch.“ Auf die Frage, warum seine Partei nicht dagegen klage, antwortet er sibyllinisch: „Ich weiß natürlich nicht alles und kann auch nicht alles sagen, was eventuell noch kommt.“
Die Klima-Debatte hält er für „Paranoia“, und gegen „Fridays for Future“ werde sich die AfD „klar positionieren“. Bisher hätten vier, fünf Parteifreunde den Demos wie Zaungäste hilflos zugesehen.
Olbrich wird auf offener Straße angegangen
Indes: Leben muss der AfD-Mann damit, an vielen Orten der Stadt angefeindet zu werden. Eine Frau brüllte ihn im Kommunalwahlkampf in Fahrland an: „Sie sind der größte Verbrecher aller Zeiten.“ Olbrich sagt, ein Polizist habe danebengestanden und ihn gefragt, ob er die Frau anzeigen wolle. Wollte er nicht.
Am Jungfernsee habe er 14 Doppelplakate installiert, „am nächsten Tag waren alle weg“, erzählt er. In der Potsdamer Behlertstraße musste er rohen Eiern ausweichen, als er mit einem Helfer Plakate aufhängte. „Fuck Nazis!“ und „Scheiß Nazis!“, schrien die Eierwerfer.
Auf dem Land hingegen wird Ablehnung bisweilen vornehmer ausgedrückt. Im Dörfchen Uetz, das zu seinem Wahlkreis gehört, wollte Olbrich der Freiwilligen Feuerwehr beitreten. Doch der Vorstand lehnte seinen Aufnahmeantrag ab. Einstimmig, wie ihm mitgeteilt wurde. Wegen seiner AfD-Zugehörigkeit.
Der AfD-Mann ist sehr enttäuscht. „Das ist Ausgrenzung“, sagt er, „wenn die Leute nicht Angst hätten, sich zu uns zu bekennen, hätten wir nicht etwa 35 000 Mitglieder wie jetzt, sondern vielleicht 100 000.“
Carsten Holm
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität