Potsdam: Bangen im Oberlinhaus: Der Vorstand behüte Dich
Der Verein Oberlinhaus ist einer der größten Arbeitgeber in Potsdam. Wie viele im Wohlfahrtssektor schweigt er eisern zu seinen Finanzen. Bei der aktuellen Umstrukturierung geht der Vorstand wenig zimperlich vor – und lässt seine Mitarbeiter im Dunkeln.
Potsdam/Babelsberg - Der 8. November ist eigentlich ein Festtag für das Oberlinhaus. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält an diesem Tag die traditionelle Oberlin-Rede in dem diakonischen Unternehmen in Potsdam. Einmal im Jahr sprechen bekannte Politiker vor den Mitarbeitern über die Bedeutung von gemeinnütziger, von sozialer Arbeit für die Gesellschaft.
Doch nach Feiern ist den 1800 Mitarbeitern momentan nicht zumute: Viele sind stark verunsichert. Während der aktuellen Umstrukturierung des Unternehmens erhalten sie kaum Einblicke. Ein fristlos gekündigter Geschäftsführer wird vom Gelände geführt. Das Unternehmen legt keine Informationen über seine Finanzen vor. Mittlerweile hat sich der Aufsichtsrat eingeschaltet. Bis vor Kurzem zählte auch Matthias Platzeck zum Aufsichtsrat. Doch der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs hat nach Informationen der Potsdamer Neuesten Nachrichten und Correctiv das Amt niedergelegt.
Mitarbeiter bei Potsdams drittgrößtem Arbeitgeber in Aufruhr
Das Oberlinhaus, das jährlich mehr als 100 Millionen Euro Umsatz erzielt, ist ein weiteres Beispiel für fehlende Transparenz im gemeinnützigen Sektor.
Gegründet wurde das Sozialunternehmen 1871 in Berlin, benannt nach dem Sozialreformer und Pfarrer Johann Friedrich Oberlin. Er gilt als ein Vordenker von Kindergärten. Das Oberlinhaus war zunächst ein Verein, der eine Bildungseinrichtung für Kleinkinder gründete und Lehrer ausbildete.
Mittlerweile finden sich auf dem Grundstück, zentral in Babelsberg gelegen, neben Kindertagesstätten auch eine Klinik, eine Schule, ein Reha-Zentrum und Wohneinrichtungen für Behinderte. Das Oberlinhaus gilt als der drittgrößte Arbeitgeber in Potsdam und betreibt zehn weitere Einrichtungen außerhalb von Potsdam.
Eine Frage, die sich viele Oberlin-Mitarbeiter stellen: Wie geht es dem Konzern?
Im Unternehmen herrscht Streit, der sich vor allem am Vorgehen der Unternehmensspitze während der aktuellen Umstrukturierungen entzündet. Der interne Streit eskalierte endgültig, als der Vorstand am 25. August außerordentlich beschloss, den Geschäftsführer der Oberklinik mit sofortiger Wirkung und bei Verzicht auf sämtliche Fristen abzuberufen. An den Umständen der plötzlichen Trennung entzündete sich viel Kritik. Es ist ein Vorgehen, wie man es von Investmentbanken, aber nicht von gemeinnützigen Unternehmen kennt.
Das steht im krassen Gegensatz zum angeblichen Selbstverständnis des Unternehmens: „Diakonie ist Dienst am Menschen in gelebter christlicher Nächstenliebe“, heißt es auf der Webseite.
In den vergangenen Wochen haben die beiden Vorstände Andreas Koch und Pfarrer Matthias Fichtmüller mehrere Mitarbeiterversammlungen im Oberlinhaus einberufen, um die aufgewühlte Mitarbeiterschaft zu beruhigen. Aber das gelingt nicht.
Auf einer Versammlung reagierten die Vorstände auf die vielen Fragen oft nur mit Floskeln oder Schweigen, wie Teilnehmer berichteten. Immer wieder applaudierten die Mitarbeiter ihren fragenden Kollegen. Die Mitarbeiter beschwerten sich vor allem, dass sie keine Informationen über die Pläne des Vorstands für das Unternehmen erhielten. Eine Frage, die sich viele Mitarbeiter stellen: Wie geht es dem Konzern?
Auffällig hohe Umlagen und rote Zahlen
Antworten könnte der Jahresabschluss des Vereins Oberlinhaus liefern, der an der Spitze des Unternehmens steht. Dem Verein untergeordnet sind die Krankenhäuser und Einrichtungen des Unternehmens, die sich in gut einem Dutzend Tochter-GmbHs befinden. Die Tochterunternehmen leisten interne Zahlungen an den Verein, von dem sie im Gegenzug Dienstleistungen erhalten. Das kann zum Beispiel Marketing sein oder die Personalverwaltung. Derartige interne Zahlungen sind in großen Unternehmen üblich.
Nach der Schilderung mehrerer Mitarbeiter bekommen sie den Jahresabschluss des Vereins Oberlinhaus erst zu sehen, wenn alle Zahlungen der Einrichtungen verrechnet sind. Welche Kosten im Detail beim Verein selbst anfallen, können sie deswegen nicht nachvollziehen.
Und trotz der internen Zahlungen schreibt der Verein offenbar rote Zahlen. Das geht aus einer internen Finanzübersicht hervor. Die finanzielle Lage des Mutter-Vereins ist nicht zu verwechseln mit der Bilanz für den Gesamtkonzern: Der Konzern Oberlinhaus hat im Jahr 2016 ein positives Jahresergebnis im niedrigen siebenstelligen Bereich erwirtschaftet.
Die Einrichtungen leisten auch eine Management-Umlage an den Verein. Diese kann jährlich bei mehreren Hunderttausend Euro liegen. Im Jahresabschluss der Oberlinklinik, eine orthopädische Fachklinik in Potsdam, ist diese Umlage in den „sonstigen betrieblichen Aufwendungen“ enthalten, aber nicht gesondert ausgewiesen.
Die interne Management-Umlage wird damit begründet, dass der Verein den Tochtergesellschaften Arbeit abnimmt, indem er sich zum Beispiel um Immobilienmanagement und Personalentwicklung kümmere, aber auch ideelle Aufgaben des Vereins finanziere. In den Einrichtungen fragen sich die Mitarbeiter aber, warum die Umlage so hoch ist.
Die Oberlinhaus-Spitze mauert - vor allem bei Vorstandsgehältern
Über die Gehälter des Vorstands ist nichts bekannt. Es gibt Hinweise, dass zumindest im Umfeld des Vorstands gut gezahlt wird. Nach Informationen von Correctiv soll ein kommissarischer Vorstandsreferent innerhalb von knapp einem Jahr Honorare in Höhe von etwa 150 000 Euro verdient haben. Den PNN liegt eine Belegübersicht über die Zahlungen vor. Damit konfrontiert, erklärte ein Konzernsprecher: Das Oberlinhaus bleibe bei seiner Darstellung, dass die Summe nicht zutreffe.
Das Unternehmen weigert sich auf Anfrage, das Gehalt der beiden Vorstände Koch und Pfarrer Fichtmüller zu veröffentlichen. Das Gehalt orientiere sich an „branchenüblichen Werten für diakonische Komplexträger“, schreibt Konzernsprecher Christian Kolata auf Anfrage. Das Gehalt des Referatsleiters könne das Unternehmen „nicht nachvollziehen und der Höhe nach nicht bestätigen“. Durch den Konzernumbau „werden bei den Tochtergesellschaften keine Mehrkosten verursacht“, schreibt Kolata.
Ein sechsstelliges Gehalt kann für einen Referenten angemessen sein. Doch weil der Konzern seinen Jahresabschluss nicht veröffentlicht, kann vieles nicht überprüft werden: die Kosten für das Führungspersonal und die Verwaltung zum Beispiel. Oder die Ausgaben für externe Berater, oder die Immobiliengeschäfte des Konzerns.
„Wenn mich ein Mitarbeiter fragt, sage ich immer: Wir sind gut aufgestellt"
„Wir veröffentlichen alles, was wir müssen“, sagt Vorstand Koch in einem Pressegespräch. „Wenn mich ein Mitarbeiter fragt, sage ich immer: Wir sind gut aufgestellt. Entscheidend ist, wo wir stehen und wie wir den Weg gemeinsam gehen werden.“
Das Oberlinhaus ist damit ein weiteres Beispiel fehlender Transparenz im Wohlfahrtssektor. In der freien Wirtschaft sorgen Eigentümer und Aktionäre aus Eigeninteresse dafür, dass zum Beispiel Vorstände angemessen bezahlt sind. Denn exzessive Kosten für Vorstand und Verwaltung reduzieren ihren Gewinn.
Das fehlt im gemeinnützigen Sektor, der in Berlin in den vergangenen Jahren deswegen von zwei Skandalen erschüttert wurde. Im Jahr 2010 wurde bekannt, dass der Geschäftsführer der Treberhilfe, ein mittlerweile insolventes Berliner Sozialunternehmen, ein überhöhtes Gehalt bekam und auf Kosten des Unternehmens Maserati fuhr. Im Juli deckte Correctiv auf, wie sich ein angestellter Vorstand das Diakoniewerk Bethel unter den Nagel riss und sich dem Vernehmen nach ein Jahresgehalt von etwa 700 000 Euro gönnte. In den nächsten Wochen wird die Diakonie über den Ausschluss von Bethel entscheiden.
Mitarbeiter schreiben Briefe voller Fragen an den Aufsichtsrat
Es gibt keine Hinweise, dass die mangelnde Transparenz beim Verein Oberlinhaus zu derartigen Auswüchsen wie bei Bethel geführt hat. Doch die Mitarbeiter fürchten, dass sich ihr Unternehmen in die falsche Richtung entwickelt. „Wir betheln jeden Tag, damit man uns nicht trebert“, sagen sich einige Mitarbeiter in Anspielung auf die beiden großen Skandale des Wohlfahrtssektors in Berlin in den vergangenen Jahren.
Einige Mitarbeitervertretungen schrieben zuletzt Briefe an den Aufsichtsrat des Unternehmens. Sie erhielten eine Antwort, die sie aber nicht überzeugte. Es seien aus ihrer Sicht „leider keine unserer konkreten Fragen ausreichend beantwortet worden“, heißt es in einem weiteren Schreiben.
„Das Unternehmen im besten Einvernehmen verlassen“? Am Samstag wird ausgewertet
Erst als Correctiv den Konzern um Stellungnahme bittet, unterrichtet das Unternehmen die Mitarbeiter ausführlicher. Am Tag nach der Anfrage, über zehn Monate nach Beginn der Umstrukturierungen, erhalten die Mitarbeiter eine E-Mail mit ausführlichen Erklärungen. Konkrete Fragen zu den Finanzen werden auch darin nicht beantwortet. Es geht auch um den geschassten Klinikleiter. „Er hat das Unternehmen im besten Einvernehmen verlassen“, heißt es darin. Eine Aussage, die im Widerspruch zu den Berichten der Augenzeugen steht. Erst später kam das Unternehmen nach Informationen von Correctiv zu einer Einigung mit dem Klinikleiter.
Zuletzt schaltete sich der Aufsichtsrat in den Streit ein und sprach unter anderem mit den Mitarbeitervertretungen. Am heutigen Samstag treffen sich die Räte, um die Gespräche auszuwerten. Dabei dürfte es auch um das Vorgehen der Vorstände Fichtmüller und Koch gehen. Matthias Platzeck wird nach seinem Rücktritt nicht mehr am Tisch sitzen. Das bestätigte sein Sprecher. Das prominenteste Gesicht im Kontrollgremium hat sein Amt aus persönlichen Gründen aufgegeben.
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Hinweis: Wir haben die frühere Fassung des Beitrags am 27. Oktober geändert. Das betrifft die Passagen zu den Finanzen des Vereins, zum Mandatsverzicht von Matthias Platzeck, zum Honorar des Vorstandsreferenten und zur Abberufung des Klinikleiters.
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Dieser Artikel ist eine Kooperation zwischen den Potsdamer Neuesten Nachrichten und Correctiv. Das gemeinnützige Recherchezentrum finanziert sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Weitere Informationen auf www.correctiv.org
Jan Willeken, Frederik Richter, Jonathan Sachse
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