VfL Potsdam: Der letzte Mann geht voran
Bei den Handballern des VfL Potsdam zeigt die Formkurve nach oben - und sie möchten den Trend auch im nächsten Heimspiel fortsetzen. Als großer VfL-Leistungsträger hat sich in dieser Drittligasaison Angelo Grunz herauskristallisiert. Ein mitreißender Torwart mit Heimatverbundenheit.
Zwischen den Pfosten hat sich der VfL Potsdam für die aktuelle Saison komplett neu aufgestellt. Weil U20-Vize-Europameister Paul Twarz im Sommer zu Zweitligist Eintracht Hildesheim ging und Sebastian Schulz fortan seine berufliche Zukunft mit voller Kraft vorantreibt, holte der Handball-Drittligaverein zwei andere Torhüter an den Luftschiffhafen. Beide haben Qualität. Doch bekommen Zuschauer bislang fast nur die von einem der Keeper in den Spielen zu sehen. Denn: Angelo Grunz präsentiert sich derart stark, dass Fabian Pellegrini zumeist von der Seitenlinie aus das Treiben auf der Platte verfolgt.
Er ist laut, impulsiv und antreibend
Wie vergangenen Samstag beim Heimsieg des VfL gegen die HG Hamburg-Barmbek. Nach dem Match stand Fabian Pellegrini vor dem Durchgang zum Kabinentrakt der MBS-Arena, nicht einmal angeschwitzt, dafür aber glücklich. „Ich bin immer froh, wenn der Torwartkollege gut hält und das Team gewinnt – auch, wenn man natürlich selber gerne mal spielen würde“, erzählte der Eidgenosse mit seinem feinen Schweizer Dialekt. Er bekam einen Schulterklopfer von Angelo Grunz, der sich dann auf einen der blauen Tribünensitze fallen ließ. „Ich bin platt“, sagte er schnaufend. „Eine Partie schlaucht mich.“
Kein Wunder. Der Goalie spurtet zwar nicht wie Feldspieler stets und ständig von einer Seite zur anderen hin und her, doch seine Arbeit strapaziert ebenso. Zum Beispiel durch die explosiven Reaktionen, die seine Muskeln beim Versuch, einen teilweise über 100 Stundenkilometer schnellen Wurf zu halten, in allerhöchste Anspannung versetzen. Und neben dieser physischen Komponente laugt ihn mit der Zeit auch der psychische Aufwand aus, den Angelo Grunz ganz enorm betreibt. Emotionalität ist sein prägendster Wesenszug als Handballer. „Ich pariere Bälle eher über Leidenschaft und Ehrgeiz statt über Talent“, erklärte der 1,93 Meter große Recke, der auf dem Feld laut ist, impulsiv und antreibend.
Letzter Heimauftritt des Jahres 2017
Vor allem nachdem er einen Angriff des Kontrahenten vereitelt hat – was ihm herausragend oft gelingt. Solche Aktionen bejubelt der 23-Jährige gerne mit einem kräftigen Schrei und geballten Fäusten – mitunter in Richtung des gescheiterten Schützen, um dem nochmal eindrucksvoll zu zeigen, wer der Stärkere ist. Grunz könne nicht anders, sagte er. „Das ist im Spiel meine Art. Ich brauche das für mich.“ Und es soll auch der Mannschaft dienen. Die Position des Torhüters gilt im Handball als neuralgisch, etwa kann darüber maßgeblich die Stimmungslage eines Teams reguliert werden. „Man hat eine Vorbildfunktion. Ich möchte die anderen pushen.“ Der letzte Mann geht voran.
Allerdings zogen in der Anfangsphase der Saison, die aus Potsdamer Sicht historisch schlecht verlief, nicht alle mit. „Es war schon schwer, wenn man seine eigenen Emotionen nicht widergespiegelt bekommt. Das Team war zu ruhig, zu schnell hingen die Köpfe und blieben unten“, erinnert sich der Bankkaufmann-Auszubildende, der seiner Truppe jedoch eine klare Positiventwicklung attestiert. Durch neue – unter anderem auf das Mentale abzielende – Trainingsreize von Chefcoach Daniel Deutsch habe sich mannschaftsintern einiges verändert. „Wir haben jetzt die nötige Körpersprache. Überhaupt sind wir natürlich als Team gewachsen, weil wir aus den vielen Fehlern, die wir zu Saisonbeginn gemacht haben, lernen konnten.“ Entsprechend zeigt die Formkurve nach oben. Zuletzt gab es zwei Heimsiege in Serie, der dritte soll möglichst am Samstagabend gegen den HSV Hannover folgen (Beginn: 19 Uhr/MBS-Arena). Es ist im Jahr 2017 der letzte Auftritt der Adler zu Hause.
Grunz ist nach Potsdam zurückgekehrt
Heimat – dies hat für Angelo Grunz große Bedeutung. Sein Karriereverlauf ist davon gekennzeichnet. Aus Berlin stammend kam er als Jugendlicher auf die Potsdamer Sportschule und verließ diese nach drei Jahren wieder gen Bundeshauptstadt, um sich dort den Füchsen Berlin anzuschließen. Mit ihnen wurde Grunz 2013 deutscher A-Jugend-Meister. Es ging für ihn dann hoch zu den Füchse-Profis, er trainierte im Bundesligakader, erhielt auch ein wenig Spielzeit und war ansonsten für die Füchse II aktiv. Doch zwei Kreuzbandrisse im rechten Knie bremsten Angelo Grunz aus. Ein Wechsel zu Zweitliga-Vertreter Tusem Essen im Sommer 2016 wurde dann ein kurzes Intermezzo, „denn ich wollte lieber nahe bei meiner Familie in Berlin sein“.
Darum schloss er sich bereits wenige Monate später dem Drittligisten MTV Braunschweig an. Stopp! Braunschweig nahe Berlin? „Ja, ich habe nur für den MTV gespielt, aber bei den Füchsen II, die in der Oberliga antreten, trainiert“, erläuterte Angelo Grunz, den dieser Zustand aber nicht zufriedenstellte. Zur Saison 2017/18 suchte er einen neuen Verein im Berliner Speckgürtel, in dem er vollwertig dabei sein kann. „Es kamen nur Oranienburg und der VfL infrage, weil beide dritte Liga und auf gutem Niveau spielen.“ Letztlich entschied er sich für eine Rückkehr nach Potsdam, weil ihn das dortige Projekt „Zurück in die Zukunft“ – das heißt, perspektivisch soll wieder der Zweitliga-Aufstieg gelingen – reizt. Statt Aufstieg heißt die Mission für den mit einem Zweijahresvertrag ausgestatteten Torwart nun aber zunächst Klassenerhalt. Vorgebeugt saß er am Samstagabend auf seinem blauen MBS-Arena-Sitz und meinte: „Pläne sind das eine, die Realität etwas anderes. Ich nehme jede Herausforderung an, wie sie kommt. Und ich bin mir sicher, dass wir die derzeitige hier gut meistern werden.“
Fabian Pellegrini lernt von Angelo Grunz
Auch Fabian Pellegrini stellt sich der Herausforderung, der mannschaftlichen und persönlichen. „Mein Wettkampf ist jetzt erst einmal das Training. Dort kann ich dem Team mit guten Leistungen helfen und beweisen, dass man sich auch im Spiel auf mich verlassen könnte. Wenn meine Chance kommt, muss ich da sein“, sagte der 21-Jährige. Er wisse jedoch: „Hält Angelo so, wie er das bisher gemacht hat, gibt es natürlich für unseren Trainer keinen Grund zum Wechseln.“ Grunz glänzt schlichtweg zu sehr.
Fabian Pellegrini möchte das allerdings gleichsam für sich nutzen. Der Schweizer Junioren-Nationalspieler genießt die gute Zusammenarbeit mit seinem Kompagnon, von dem er eine Menge lernen könne. Wie die Fähigkeit, das Spiel zu lesen, Situationen gedankenschnell zu erkennen. Oder ganz spezielle Abwehrbewegungen zu machen, bei denen die langen Gliedmaßen auf unkonventionelle Weise herumgewirbelt und die Gegner damit überrascht werden. Aber vor allem sei ein bestimmtes Auftreten von Angelo Grunz lehrreich – das als emotionaler Anführer.
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