Weiße Flotte Potsdam: Der Kampf gegen den Untergang
Vor 20 Jahren kauften zwei Potsdamer die Weiße Flotte. Sie lenkten das früher marode städtische Unternehmen auf Erfolgskurs. Wegen der Corona-Krise fürchten sie um seine Existenz.
Potsdam - Es gibt viele Orte der Idylle in Potsdam, zu den beliebtesten zählt sicherlich die Meierei im Neuen Garten, das Brauhaus mit Blick auf den Jungfernsee. Am schönsten, sagen manche, sei es, an einem Sommerabend auf der Terrasse zu sitzen und zu beobachten, wie ein mit Lampions beleuchtetes Schiff in einiger Entfernung gemächlich vorüberzieht. Es sind Schiffe der Weißen Flotte, von denen bei musikalischen Abendfahrten die Musik einer Liveband herüberströmt, sie spielt Titel von Eric Clapton, J.J. Cale und den Rolling Stones. Ab und an dringen Stimmen fröhlicher Menschen durch.
Die Weiße Flotte ist ein Wahrzeichen der Stadt, sie gehört seit vielen Jahrzehnten zu Potsdam wie Sanssouci, die Nikolaikirche, das Holländische Viertel und die Glienicker Brücke. Und sie ist seit jeher ein internationaler Treffpunkt: Wer die Schlösser-Rundfahrt oder die Wannsee-Rundfahrt gebucht hat, findet sich in einem Stimmengewirr wieder, in dem englische, französische, italienische, spanische, russische und japanische Wortfetzen auszumachen sind.
Die Existenz der Flotte ist bedroht
Doch jetzt ist die bisher wirtschaftlich sehr erfolgreiche Flotte in großer Not, die Schiffe sind stillgelegt. Am kommenden Samstag sollte der kulinarische Spargel-Trip ins Havelland in Potsdam ablegen, er musste wie alle anderen Fahrten abgesagt werden. Die Corona-Krise bedroht die Existenz der Firma: Alle Zuschüsse, die der Staat Unternehmen gewährt hat, alle Kredite, für die er bürgt, reichen nicht aus, um eines der Flaggschiffe des Potsdamer Tourismus sicher am Leben zu erhalten. Im Gespräch mit den PNN haben die Inhaber der Weißen Flotte die Zahlen offengelegt und erzählt, wie sie versuchen, das Kentern abzuwenden.
Es ist im warmen Licht der Nachmittagssonne eine schöne, fast frühsommerliche und doch recht traurige Stimmung, als Jan Lehmann und Jörg Winkler, die Chefs der Weißen Flotte, am Karfreitag auf dem Oberdeck der MS Charlottenhof stehen. Ihre zehn Ausflugsschiffe sind auf dem Liegeplatz an der Großen Fischerstraße am Ufer der Havel vertäut, wegen der Corona-Krise darf keines mehr ablegen. „An einem Tag wie heute wären unsere Schiffe rammeldicke voll”, sagt Lehmann mit gesenktem Blick, „wir hätten sicher 2000 Gäste an Bord.”
Die Personalkosten laufen weiter
Es wäre, wie immer seit 20 Jahren, als die beiden Chefs ihre Flotte gekauft hatten und das marode Unternehmen schon im ersten Jahr in die Gewinnzone brachten, der Start in die neue Saison. Vor allem würde er auch die leere Kasse wieder füllen. Denn in den beiden Wintermonaten, in denen der Verkehr ruht und die weißen Schiffe überholt werden, laufen die Personalkosten für die 150 Mitarbeiter weiter. „Wir beschäftigen sie nicht als Saisonkräfte, alle sind fest angestellt. Das ist gut für ihre Bindung ans Unternehmen”, sagt Lehmann.
Neben Lehmann und Winkler steht Carsten Schmitt an Deck. Er ist Betriebswirt und seit 18 Jahren Gastronomie-Chef der Flotte, außerdem ist er Geschäftsführer des El Puerto am Hafen, das zu dem kleinen Schiffsimperium gehört. Am Tresen des mediterranen Restaurants zeugt ein verwaistes Schild von besseren Zeiten: „Warme Küche ab 10.30 Uhr.” Fahrgäste der Weißen Flotte speisten hier, wenn sie nicht, wie jetzt zur Spargelzeit, einen kulinarischen Bootstrip mit Büffet an Bord gebucht hatten, Firmen feierten Jubiläen und Potsdamer ihre Hochzeit. Immerhin bleibt die Küche auch in der dunklen Zeit nicht völlig kalt. Das Puerto zählt zu den Restaurants der Landeshauptstadt, die auf Bestellung Gerichte zum Abholen anbieten. Viel Umsatz ist damit wie bei fast allen anderen nicht zu machen. „Aber”, so Schmitt, „wir halten uns so in Erinnerung”.
Erfolgsstory der Nach-Wende-Zeit
Die Gesichter der Männer sind gezeichnet von der Ohnmacht, den Lauf der Dinge in einem der bekanntesten Potsdamer Unternehmen nicht einmal im geringsten beeinflussen zu können. „Wer hätte das jemals gedacht, dass Deutschland sich totlegt? Bisher war unsere Lage sehr schwierig, aber ab jetzt wird sie unbezahlbar”, sagt Lehmann. Dabei konnten Winkler und er sich zwei Jahrzehnte sonnen in ihrem Erfolg. Ihre Geschichte ist ein Erfolgsstory der Nach-Wende-Zeit, getragen von großer Erfahrung als Schiffsführer auf den Wasserstraßen der DDR und, als die Mauer gefallen war, von großem unternehmerischem Mut.
Seit jungen Jahren sind die beiden Potsdamer Freunde, sie vertrauen sich, seit sie in den achtziger Jahren in der Frachtschiffahrt unterwegs waren. Oft machen sich die Jungspunde, gerade 20 Jahre alt geworden, in den achtziger Jahren auf den Weg von Berlin nach Magdeburg und zurück, immer wieder, Tag für Tag. Mit einen Schubschiff und vier sogenannten Prahmen, den langen, flachen und fast viereckigen Kähnen, geht es von durch den Elbe-Havel-Kanal nach Magdeburg. Ihre Schubverbände haben zwischen 1000 und 1600 Tonnen Kies, Kohle oder Baustoffe geladen. „Gute Ökobilanz”, sagt Jörg Winkler, der damals Lehmanns Vorgesetzter war, „dafür braucht man an Land 200 Lastwagen”.
Schmerzhafte Einschnitte
Dann arbeiten beide einige Zeit als Schiffsführer bei der Weißen Flotte, sie ist damals noch ein Zweigunternehmen der Potsdamer Verkehrsbetriebe. Die Erfahrung sollte, was sie damals noch nicht ahnen, ein Pluspunkt werden, als sie im Jahr 2000 beim Verkauf der Flotte um die Übernahme bewerben. Doch davor lernen sie, ein Unternehmen zu führen. 1995 gründen Winkler und Lehmann mit der MS Sachsenwald ihr erstes eigenes Fahrgastunternehmen, die Havel Dampfschifffahrt GmbH. Ihr erstes Schiff hat Platz für 50 Passagiere und liegt an der Glienicker Brücke, es wirft von Beginn immerhin so viel an Erlösen ab, dass es für beide reicht. Dann kommt der Tag näher, der ihr Leben von Grund auf verändern soll.
Schon im Dezember 1998 hat der damalige Potsdamer Oberbürgermeister und spätere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wegen der dramatischen Haushaltslage der Landeshauptstadt „schmerzhafte Einschnitte” angekündigt. Ohne sie werde spätestens in drei Jahren ein Sparkommissar die Amtsgeschäfte im Rathaus übernehmen. Die Weiße Flotte, auf Weisung des DDR-Verkehrsministeriums seit 1959 Teil des staatseigenen VEB-Verkehrsbetriebs Potsdam, war 1990 Eigentum der Stadt geworden, sie ist ein chronischer Minusmacher. Für Platzeck ist klar: Am Verkauf der Flotte, für die die Stadt jährlich allein 250 000 Mark an Zinsen und Tilgung für Kredite aufbringen muss, führt kein Weg vorbei.
"Uns fehlen jetzt schon 700 000 Euro"
Nun gibt es einen Wettbewerb zwischen großen Investoren und kleinen Potsdamer Kapitänen. Finanzkonsortien aus Hamburg und Berlin wollen zugreifen, manch einer, erinnert sich Jan Lehmann, „bot den symbolischen Euro”. Mit Jörg Winkler legt er ein offensichtlich überzeugendes Konzept vor: die beiden Männer garantieren allen Saisonkräften ab sofort feste Arbeitsverträge und geben mit einer Million Mark auch das höchste Gebot ab. Beide werden, erinnert sich Winkler, „im Finanzausschuss und im Hauptausschuss durch die Mangel genommen, aber die Politik vertraute uns wie es auch die Banken taten”. Ihre Pluspunkte: fünf gute Jahre als Chefs eines kleinen, aber florierenden Unternehmens, ihre Schiffe als Sicherheit und ihre Erfahrung als Mitarbeiter der Weißen Flotte. „Alle wussten, dass wir wussten, wie's läuft”, sagt Lehmann.
Die erprobten Fahrensleute erhalten den Zuschlag. Schon im ersten Jahr ziehen sie die Weiße Flotte, die inzwischen als Schifffahrt in Potsdam firmiert, in die schwarzen Zahlen. Und sie scheinen wirklich zu wissen, wie es laufen muss. Die Zahlen der Vor-Corona-Zeit sprechen für ihren Erfolg: 300.000 Fahrgäste im Jahr mit leicht steigender Tendenz, rund acht Millionen Euro Jahresumsatz. „Unser größtes Geschäftsrisiko war bisher die Witterung”, sagt Lehmann.
Dann kam das Virus. Lehmann bilanziert: „Uns fehlen jetzt schon 700.000 Euro, die kalkulierten Einnahmen von März und April.” Die beiden Geschäftsführer klagen nicht, sie jammern nicht, und sie erkennen an, „dass die Bundesregierung und das Land Brandenburg viel getan haben, um der Wirtschaft zu helfen”, sekundiert Winkler, „nur: es reicht eben nicht.” Zusätzliche Kredite seien „keine Lösung, die schieben wir doch Jahr für Jahr vor uns her, und niemand weiß, wie und ob der Tourismus überhaupt in Gang kommt”.
"Die Auslastung muss 50 Prozent sein, um überleben zu können”
Lehmann und Winkler haben viel unternommen, um die Flotte vor dem schnellen Sinken zu bewahren. Sie versuchten, die laufenden Kosten wegen der fehlenden Einnahmen zu senken, um die Liquidität zu erhalten. Sie handelten mit einer Bank aus, die Tilgung von Krediten für drei Monate zu stunden. Sie schickten ihre Mitarbeiter am 18. März rückwirkend zum Monatsbeginn in Kurzarbeit, und sie freuen sie sich darüber, dass von den 100.000 Euro Soforthilfe, die sie vom Land erhoffen, laut Lehmann „schon zwei Drittel überwiesen wurden”.
Das Finanzamt hat den Flottenchefs die Rückerstattung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung überwiesen, immerhin 60.000 Euro. Bei der Stadt Potsdam hat die Weiße Flotte die Stundung der Pacht von rund 70.000 Euro für die Anlegestellen beantragt. „Wir hoffen, dass uns die Stadt in dieser unverschuldeten Lage ein wenig entgegenkommt und die Pacht vielleicht sogar erlässt”, sagt Lehmann. Schlimm wäre es, so die Firmenchefs, wenn die Vorschriften gelockert und der Staat und einen stark eingeschränkten Betrieb erlauben würde. Ihre Schiffe haben zwischen 75 und 600 Plätze. „Mit 20 oder 30 Passagieren macht es keinen Sinn, abzulegen. Wir würden Woche für Woche weiter ins Minus rutschen”, warnt Winkler, „die Auslastung muss 50 Prozent sein, um überleben zu können”. Und wenn die Fahrgäste Schutzmasken tragen müssten, wäre das nicht schlimm. „Die verhindern ja nicht den Blick auf die schöne Landschaft an der Havel.”
Existenzangst und schlechter Schlaf
Geschäftsführer Winkler ist 53 Jahre alt und Vater von drei Töchtern, die 6, 8 und 22 Jahre alt sind. Der 53-jährige Lehmann hat einen zehn Jahre alten Sohn. Die finanzielle Schieflage, und der drohende Untergang belasten auch die Familien. „Ich schlafe schlecht”, erzählt Lehmann, „es ist ein furchtbares Gefühl, am Ruder zu stehen und nicht mehr steuern zu können.” Er habe „regelrechte Existenzangst”, sagt Winkler. Beide fürchten, ohne eigenes Verschulden in den Strudel der Corona-Pleiten gerissen zu werden, die auf viele Firmen zukommen könnten. Im schlimmsten Fall droht ihnen gar der persönliche Ruin. Zwar führen die beiden Geschäftsführer die Weiße Flotte mit einem Stammkapital von 50 000 Euro als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Aber sie haften, wenn sie scheitern, „mit Mann und Maus bis zum letzten Dachziegel unseres Hauses”, sagt Lehmann. Er erzählt, dass die Flotte voriges Jahr 2,9 Millionen Euro aufgenommen und die MS Schwielowsee, eines der ersten Fahrgastschiffe mit Hybridantrieb, gekauft habe: „So einen Kredit bekommen sie nicht auf das Stammkapital und einen guten Businessplan. Wir beide stehen selbstschuldnerisch dafür gerade”.
Die Flottenchefs haben einen sehnlichen Wunsch. „Wir wollen alles dafür tun, dass die Weiße Flotte überlebt und in Potsdamer Hand bleibt”, sagt Jörg Winkler, „wir wollen nicht, dass sie untergeht und dann irgendwann von chinesischen Investoren gekauft wird.”
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