"Krisenzeiten bei Nulldrei": Demo, Bier und lange Haare für „03“
Eine Demonstration, Bürgschaften, Soli-T-Shirts: Wie die Fans ihren SV Babelsberg zu retten versuchen
Es war ein Tag mit reichlich Symbolkraft. Allein der rote Gummiball, der während des fast zweistündigen Demonstrationszuges vom Babelsberger Rat- zum Potsdamer Stadthaus ständig von vorn nach hinten und wieder zurück flog, symbolisierte die Botschaft: Haltet den Ball im Spiel. Bis Mittwochnachmittag ist Zeit, die für den Verbleib in der Dritten Liga insgesamt nötigen 2,7-Millionen-Euro nachzuweisen, die Lizenz zu bekommen und den Verein vor dem möglichen Aus zu retten. Nachdem der Vereinsvorstand erst vor einer Woche die bedrohliche Lage offenbarte, ist das kaum zu schaffen. Doch: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, war am Samstag immer wieder zu hören.
Hilfe für Nulldrei: Überweisung an Schöfski/Dudzak, „Rettung SV Babelsberg“, Konto 1100155836, MBS Potsdam 16050000 oder 5 Euro per SMS: "SVB03" (ohne An- und Abführung) - an die 81190
Auch die ersten beiden Lieder, die vom Lautsprecherwagen inmitten des Protestzugs tönten, waren ein Zeichen: Tracy Chapmans „Talk’in about a revolution“ und Jimmy Cliffs „You can get it if you really want“. Man muss es nur versuchen, heißt es in dem Song weiter – und die Fußballfans des SV Babelsberg 03 versuchen alles Mögliche, um den von Insolvenz und Zwangsabstieg bedrohten Verein zu retten und den Verbleib in der Dritten Liga zu sichern. Und so mischte sich in ihren Marsch am Samstag, an dem sich etwa 1000 Teilnehmer – auch anderer Sportvereine – einreihten, von vielem etwas: Protest gegen verfilzte Vorstandsstrukturen, Leidenschaft und Hoffnung für einen Fußballverein, Hilferufe an Stadt und Land, Forderungen nach mehr Transparenz bei der Sportförderung und Aufklärung an die teils erstaunten und fragenden Gäste in der barocken Innenstadt. „Liebe Touristen“, schallte es durch die Lautsprecherboxen, „Potsdam sind nicht nur Schlösser und Gärten und Museumskirchen, sondern ist auch ein Fußballverein.“ Auch dieser habe Tradition, die unterzugehen drohe, während „für viele Millionen alte Traditionen wie das Stadtschloss wieder aufgebaut werden“.
„Da geht’s ja gar nicht um Fußball“, bemerkte eine Frau am Rand der Friedrich-Ebert-Straße, als der Protestzug zum wiederholten Male die Stadionhymne des SVB anstimmte. Richtig: In dem Lied geht es um alte Häuser in Babelsberg und Sanierung und der trotz aller Veränderungen ungebrochenen Liebe und Heimatverbundenheit zum Kiez, zu dessen Identität der „Nudeltopper“ und eben auch der SVB und das „Karli“ zählen. Und wenn die Fans die Postleitzahl „14482“ singen und dabei ihren blauweißen Fußballschal in die Höhe recken, ist das ein stückweit Ausdruck ihrer Verbundenheit mit Babelsberg – und „Nulldrei“.
Man kann sich fragen, ob das Vereinspräsident Rainer Speer auch so sieht, der die aktuellen und verzweifelten Rettungsversuche der Fans als Aktivitäten von „ein paar Vermummten“ bezeichnet haben soll. Marita Niese kann er damit nicht meinen, denn die 71-Jährige hat keinen Grund, ihre Liebe zum SVB und ihr Entsetzen über die akute Lage zu verstecken. Seit „Ewigkeiten“ seien sie und ihr Mann „Edelfans“: Sie sind beim Training, bei allen Spielen, backen zu Spieler-Geburtstagen Kuchen und schreiben Karten. „Beschissen“ sei das jetzt alles, schimpft Marita Niese, ehe sie sich in den Protestzug einreiht. Auch den selbständigen Unternehmer, der überlegt, 1500 Euro auf das Fan-Bürgerschaftskonto einzuzahlen, kann Vereinspräsident Speer nicht meinen. „Unverschämt,“ sagt der Mann nur kopfschüttelnd.
Das Bürgschaftskonto, am Samstag dank der Überstunden eines Sparkassen-Mitarbeiters eilig angelegt, funktioniert nach dem Vorbild des Engagements der Fan-Gemeinschaft von Dynamo Dresden. „Die haben uns mit dem ganzen rechtlichen Know-How geholfen“, sagt Nulldrei-Fan Ralf Schöfski. Einzelpersonen oder Gruppen können einen Mindestbetrag von 1000 Euro auf das Konto einzahlen. „Damit würden die Fans für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg des Vereins bürgen“, erklärt Schöfski und betont, dass das Geld jedoch nur für die Dritte Liga zur Verfügung stünde.
20 Fässer Bier wurden am Samstagnachmittag beim Fan-Fest im Karl-Liebknecht-Stadion zur Rettung des Vereins geleert – die Einnahmen wandern auf das Spendenkonto der Fans. Ebenso die Erlöse aus dem Verkauf von Soli-T-Shirts, die an den vergangenen anderthalb Tagen rasenden Absatz fanden. Auch die Einnahmen des gestrigen Benefiz-Turniers mit 15 Mannschaften werden gespendet. Der Inhaber des Sanssouci-Dönerimbisses neben dem Thalia-Kino will heute seinen gesamten Umsatz spenden. „Döner zum Frühstück, Mittag, Vesper und Abendbrot“, empfiehlt Fan-Sprecher Rene Kulke. Sein Kollege Roman Böttcher, Ton- und Taktgeber für die Fan-Gesänge bei SVB-Spielen, spendete gar seine lange Haarpracht. 1000 Euro forderte er am Samstag für einen Public-Viewing-Haircut: die Mähne war schnell ab.
Kopfschüttelnd beobachte von der neuen Stadion-Tribüne ein älterer Herr das Treiben auf dem Rasen. Man kennt ihn als Dauergast von Heimspielen des SVB. „Es ist zum Kotzen“, wütete er in regelmäßigen Abständen vor sich hin. Auch ein Sinnbild dieser Tage.
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