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Oliver Günther ist Präsident der Universität Potsdam.
© Ottmar Winter

Interview | Unipräsident Oliver Günther: „Das Wintersemester beginnt verspätet“

Der Präsident der Universität Potsdam, Oliver Günther, über die Auswirkungen der Coronakrise auf das Studium, Folgen für die Ausbaupläne der Hochschule und wirtschaftliche Probleme von Studierenden.

Potsdam - Herr Günther, wie ist das digitale Corona-Semester an der Universität Potsdam angelaufen?
 

Erstaunlich gut. Nicht dass ich unseren Lehrenden und Studierenden nicht zugetraut hätte, in einer Krise klug und besonnen zu agieren. Aber der enorme persönliche Einsatz, die Kreativität und die Flexibilität überraschen dann doch, ebenso die Leistungsfähigkeit und relative Stabilität der digitalen Infrastrukturen.

Soll es trotz der aktuellen Lockerungen im Land an der Uni ohne Präsenzbetrieb und Veranstaltungen weitergehen?

Wir bleiben im Sommersemester digital – wie die Hochschulkonferenz das kürzlich festgestellt hat, gilt das praktisch bundesweit. Das heißt: Was online gelehrt und gelernt und geforscht werden kann, bleibt online. Nur was online definitiv nicht machbar ist – ich denke an bestimmte Prüfungsformen, an Praktika oder auch Exkursionen – wird unter Maßgabe der neuen Hygiene- und Abstandsgebote in Präsenzformaten angeboten. Das macht ungefähr zehn Prozent des Lehrangebots aus.

Welchen Zeithorizont haben die Maßnahmen gegenwärtig?

Derzeit planen wir bis zum Vorlesungsbeginn des Wintersemesters, das wird diesmal – verspätet – der 2. November sein. Welchen Prozentsatz der Lehre wir anschließend digital abwickeln und welchen analog beziehungsweise persönlich, ist derzeit noch nicht absehbar.

Ihre persönliche Einschätzung zur aktuellen Gratwanderung zwischen Lockerungen und weiterem Epidemiegeschehen?

Ich finde, wir haben das in Deutschland bisher ziemlich gut hingekriegt. Wie es weitergeht, hängt von unserer Fähigkeit ab, neue Infektionsherde – die es sicherlich geben wird – früh zu erkennen und abzuschotten. Da hoffe ich als Informatiker auch auf die Corona-App – in einer datenschutzkonformen Variante selbstverständlich.

Ist es überhaupt vermittelbar, wenn Museen und Biergärten öffnen, die Uni aber zu bleibt?

Der Vergleich hinkt. Bei Museen und Biergärten können Sie einfach die verfügbare Quadratmeterzahl durch den Raumbedarf pro Person teilen und nur so viele Leute reinlassen wie eben geht. Das ist bei uns anders. Wir können ja nicht sagen, die Analysis-1-Klausur dürfen diesmal nur 40 Studierende mitschreiben. Wir müssen allen 21 000 Studierenden die gleichen Möglichkeiten einräumen. Das ist schon schwierig genug vor dem Hintergrund, dass nicht wenige Studierende aus wirtschaftlichen oder auch aus technischen Gründen ein Teilhabeproblem haben. In Brandenburg soll es ja noch Gegenden ohne vernünftige Internetanbindung geben.

Wie reagieren die Studierenden und Dozierenden auf die ungewöhnliche Lage?

Alle bemühen sich um ein konstruktives und produktives Miteinander im digitalen Hörsaal. Gravierend sind jedoch die wirtschaftlichen Probleme vieler Studierender, die durch die dürftigen Hilfsangebote des zuständigen Bundesministeriums, des Bundesforschungsministeriums, nicht gelöst werden. Und gravierend ist auch der fehlende soziale Kontakt, der zu Vereinsamung und Depressionen führen kann. Aber das gilt nicht nur an den Hochschulen.

Wird das Sommersemester nun auf die Regelstudienzeit angerechnet?

Nein, wird es nicht. Offen ist nur die Frage, ob dies durch ein bundesweites Aussetzen der Zählung erfolgt – was schon informationstechnisch eine Herausforderung darstellen würde – oder durch lokale Anpassungen von Studien- und Prüfungsordnungen, um etwa sicherzustellen, dass Prüfungsfristen um das fragliche Semester verlängert werden.

Inwiefern tangiert die aktuelle Lage die Ausbaupläne der Potsdamer Uni? Wie viele Studierende strebt die Hochschule nun zum kommenden Wintersemester an?

Wir bleiben bei unserer Planung. Jedes Jahr 800 bis 1000 Studierende mehr mit dem Ziel, spätestens 2023 etwa 23 000 Studierende gut auszubilden. Derzeit liegen wir bei gut 21 000 Studierenden.

Das Gute an der Krise ist?

An der Krise gibt es aus meiner Sicht nichts Gutes. Bei dem Weg aus der Krise werden wir aber in vielen Lebensbereichen frühere Entscheidungen überdenken und vielleicht abändern, um veränderten Umständen und Prioritäten Rechnung zu tragen. So kann man sich früherer Pfadabhängigkeiten, wie die Sozialwissenschaftler sagen, entledigen und auf neue Erkenntnisse und Erlebnisse reagieren. Das sollte man in einer gut funktionierenden Demokratie aber ohnehin gelegentlich tun.

Kommen die Hochschulen nun vielleicht auf den Geschmack, dass Studium auch zu normalen Zeiten mit weniger Präsenzbetrieb und mehr Digital-Unterricht eine gute Idee ist?

Der Weg aus der Krise wird zu hybriden Lehr- und Lernmodellen führen. Also eine gut überlegte (!) Kombination von Digitalformaten einerseits und Präsenzformaten andererseits. Das ist der richtige Weg. Und zwar nicht als Sparmodell, sondern als Möglichkeit, mit den vorhandenen Ressourcen besser auf die Heterogenität der Studierendenschaft zu reagieren. Einerseits durch inhaltsspezifische Nachhilfe für Studierende, die mit einem Lernstoff Probleme haben. Und andererseits durch herausfordernde Förderformate für Studierende, die sich durch eine Lehrveranstaltung unterfordert fühlen. Massenvorlesungen für Standardinhalte wird es weniger geben, die braucht man eigentlich gar nicht mehr.

Welche Lerneffekte, Chance und Lehren ergeben sich für Sie aus der Krise?

Die Analyse der Krise wird uns noch lange beschäftigen. Insbesondere was ihre Auswirkungen auf unsere seelische und physische Gesundheit angeht. Die Welt wird eine andere sein, und nicht in allen Aspekten eine bessere und schönere. Aber manche Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte lassen sich nun einfacher korrigieren als vor der Krise, und diese Gelegenheit sollten wir beim Schopf ergreifen.

Ihr Ausblick für die Potsdamer Uni?

Unverändert positiv. Für die Hochschule und für unsere Studierenden, die sich im oben genannten Sinne in die weitere Gestaltung unserer Welt produktiv einbringen werden.

Zur Person:

Oliver Günther (58) ist seit 2012 Präsident der Universität Potsdam. In seiner Amtszeit wurde an der Universität das Digital Health Center am Hasso-Plattner-Institut eingerichtet, an dem nun auch zum Corona-Pandemie geforscht wird. Der Wirtschaftsinformatiker ist seit 2019 auch Juryvorsitzender des Innovationspreises Berlin-Brandenburg.

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