Die Universität Potsdam wächst: „Das ist ein großer Wurf“
Die Universität Potsdam steht vor der größten Expansion ihrer Geschichte: Uni-Präsident Oliver Günther über die Potenziale des Wachstums und die Herausforderung, 60 neue Professuren, rund 400 neue Mitarbeiter und 3000 neue Studierende unterzubringen.
Herr Günther, zwei neue Fakultäten in zwei Jahren, das ist auch bundesweit gesehen ein beachtlicher Kraftakt.
In der Tat geht es bei uns gerade Schlag auf Schlag. Um das überhaupt zu ermöglichen, brauchte es aber einige Jahre Vorlauf. Es war ja auch eine jahrelange Debatte um die Finanzierung der Hochschulen vorausgegangen, in der ich immer wieder eine stärkere Ausfinanzierung von Brandenburgs Hochschulen durch das Land gefordert hatte. Die Trendwende zu den finanziellen Aufwüchsen 2013 war entscheidend, ohne das wäre es nie so weit gekommen. Als Betteluni wären wir auch für einen Stifter wie Hasso Plattner nicht weiter attraktiv gewesen. Auch musste man an der Universität selbst mehr Selbstbewusstsein schaffen, für das, was wir bereits erreicht haben.
Was sich nun auszahlt.
Nun sind wie zum Erntedankfest die Früchte gleichzeitig heruntergefallen. Hilfreich dazu war auch ein neuer Paragraf im Landeshochschulgesetz, der es ermöglicht, dass mehrere Einrichtungen eine gemeinsame Fakultät unterhalten. Hinzu kommt die Entwicklung im Lehramt: vor fünf Jahren wollte noch niemand auf unseren Hinweis zum Lehrermangel hören, jetzt ist der Druck von den Schulen so groß, dass wir ein dickes Paket von 20 neuen Professuren erhalten. Zusammen mit der Jüdischen Theologie, der Inklusionspädagogik, dem Gesundheitscampus und der Plattner-Fakultät, den 12 Tenure-Track-Professoren und dem Lehramt kommen wir auf über 60 neue reguläre Professuren. Das ist ein Drittel mehr als vorher und passt damit zu rund 30 Prozent höherer Landesfinanzierung. Ein solches Wachstum schafft Wachstumsschmerzen. Aber ich habe lieber Wachstumsschmerzen, als schrumpfen zu müssen.
Welche Wachstumsschmerzen meinen Sie?
Ein Drittel Wachstum ist auch bundesweit eine echte Hausnummer – das ist ein großer Wurf. Aber das Wachstum soll natürlich auch qualitativ sein, nicht nur quantitativ. Daher wird die Zahl der Studienplätze nicht um ein Drittel, sondern nur um rund ein Sechstel wachsen. So erhalten wir eine bessere Studienqualität. Aber zu den Wachstumsschmerzen zählt nun beispielsweise der Raum, wo bekommen wir 30 Prozent mehr Platz her?
Ihre Lösung?
Wir schauen derzeit nach Mietimmobilien in der Stadt, um Übergangslösungen zu schaffen. Wir bauen zwar an allen Standorten, aber am Neuen Palais geht es vor allem um die Gebäudequalität, am Griebnitzsee liegt der Schwerpunkt auf der Digital Engineering Fakultät. Auch die Neubauten in Golm und Rehbrücke werden für ein Drittel Aufwuchs nicht reichen. Da muss noch einmal neu gedacht werden. In Golm wäre beispielsweise Richtung Norden noch einiges möglich. Aber um Anmietungen werden wir nicht herumkommen, denn die Lehrerbildung soll schon innerhalb der kommenden zwei Jahre hochgefahren werden. Neubauten werden länger brauchen. Wir wollen von heute rund 20 000 auf 23 000 Studierende im Jahr 2020 wachsen, damit ist der Bedarf klar. Aktuell laufen dazu Gespräche mit dem Land.
3000 Studierende mehr, wird das ohne Kollateralschäden möglich sein?
Wenn das Land und der Bund ihre zusätzlichen Finanzierungszusagen halten, dann ist das machbar.
Ohne dass die Betreuungsrelation leidet?
Das ist das Ziel. Gerade beim Lehramt haben wir daher sehr genau gerechnet. Wir können die zusätzlichen Lehramtsstudienplätze einrichten, aber die müssen dann auch so ausfinanziert sein, dass wir eine gute Betreuungsqualität liefern können. Das geht nicht mit 4500 Euro pro Kopf und Jahr wie vor 2012, sondern dazu braucht es jährlich 6500 bis 7000 Euro pro Studierenden. Das ist aktuell Gegenstand der Verhandlungen.
Lehrer werden gegenwärtig dringend gebraucht, bis die neuen Studierenden soweit sind, braucht es vier, fünf Jahre.
Natürlich kann man fragen, warum wir das vor sechs Jahren noch nicht ausgeweitet haben. Damals war schlichtweg das Geld nicht da. Und Politiker denken oft eben in Legislaturperioden. Der Lehrermangel wäre damals schon absehbar gewesen, wenn man nachgerechnet hätte.
Wird das Wachstumsziel von der Landesregierung mitgetragen?
Mittlerweile ist das so. Vor sechs Jahren musste ich noch Überzeugungsarbeit leisten, damals wollte niemand eine Steigerung der Studierendenzahlen. Jetzt haben wir eine andere Situation, denn wir haben nun auch inhaltlichen Bedarf. Das muss man aber auch abwägen. Andererseits muss eine exzellente Hochschule nicht unbedingt auch groß sein. Die ETH Zürich hat nur rund 19 000 Studierende, Stanford 17 000, das Caltech gerade mal gut 2000. Wir wachsen nun, weil der Bedarf besteht, nicht einfach nur, um größer zu werden.
60 neue Professuren bedeutet mehr als 60 neue Köpfe an der Uni.
Mit den neuen Professorinnen und Professoren kommen rund 200 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wir müssen natürlich auch die Verwaltung hochfahren, die ist noch völlig unterdimensioniert. Die Verwaltung muss ebenfalls um 30 bis 40 Prozent wachsen. Hier müssen wir aufforsten, wir brauchen über 100 neue Stellen in der Verwaltung.
Das geplante Wachstum, die neuen Sonderforschungsbereiche und das außergewöhnlich gute Abschneiden in mehreren Hochschulrankings – wie verliert man bei so viel Höhenflug nicht den Bodenkontakt?
Natürlich geht es nun in erster Linie darum zu konsolidieren. Ich plane in meiner Amtszeit keine zusätzlichen großen Erweiterungen. Es geht darum, mit den bestehenden Plänen gut zu wirtschaften. Dazu brauchen wir die zugesagten Mittel. Außerdem wollen wir auch, dass es an den anderen Standorten in Brandenburg gut vorangeht.
Wohin will die Uni ihr Renommee entwickeln, nachdem die Bemühungen um die Exzellenzstrategie von Bund und Ländern ins Leere gelaufen sind?
Der Exzellenz-Flop war sehr schmerzhaft für uns. Wir waren sehr optimistisch, der Antrag war gut, es hat aber aus verschiedenen Gründen nicht gereicht. Ich denke, wir können in dem thematischen Umfeld von Bio-Geo-Klima noch viel bewegen. Der Exzellenzglanz ist uns erst einmal versagt geblieben. Deswegen sind wir als Forschungsuniversität aber nicht auf dem Holzweg. Die Gesamtdynamik an der Uni ist positiv. Nun müssen wir die Strukturen weiter ausbauen.
Ihr ungebrochener Eifer hat an der Hochschule auch für Irritationen geführt.
Es gab nach meiner Wiederwahl 2017 tatsächlich Unverständnis dafür, dass ich den Strukturaufbau weiter forciere. Doch der Druck musste sein, damit die Pläne zur thematischen Erweiterung, zum Verwaltungspersonal und den Räumen nun auch umgesetzt werden. Wir dürfen nicht auf halber Strecke nachlassen. Die internen Herausforderungen sind groß. Und dem ist nicht jeder an der Hochschule gewachsen.
Die Debatte um die Existenzberechtigung einer weiteren großen Uni am Rande Berlins …
… die ist mittlerweile endgültig vom Tisch. Die Berliner Universitäten sind zwar zu Recht exzellent, aber mit rund 30 000 Studierenden im Vergleich zu anderen Top-Unis weltweit eigentlich fast schon zu groß. Deshalb ist der Raum für uns vorhanden: für eine weitere mittelgroße Forschungsuniversität, und zwar in Brandenburg. Hinzu kommt, dass sich das Verhältnis der beiden Bundesländer unter den beiden Landesregierungen leider nicht nur positiv entwickelt hat. Brandenburg macht nun vieles unabhängig von Berlin, wie aktuell etwa die Gesundheitswissenschaften. Langfristig wünsche ich mir aber, dass sich die Zusammenarbeit mit Berlin weiter intensiviert, zum Beispiel beim Thema Einstein-Stiftung, aber auch in wirtschaftlichen und kulturellen Fragen.
Die Potsdamer Uni hat sich zum Zugpferd im Land entwickelt …
… was aber auch bedeutet, dass wir ins Land hineinwirken müssen. Es darf nicht sein, dass alles nur nach Potsdam fließt. Deshalb ist die Gesundheitswissenschaftliche Fakultät so ein großer Gewinn, weil die Konstruktion zusammen mit der Medizinischen Hochschule Brandenburg und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg in die Fläche des Landes hinein wirkt.
Wird sich Brandenburg in Zukunft gegenüber akademischen Schwergewichten wie Baden-Württemberg und Bayern überhaupt behaupten können?
Diese Bundesländer hatten einen viel längeren Vorlauf. Ich denke, dass wir trotzdem auf einem sehr guten Weg sind. Es wird ein paar Jahrzehnte brauchen, bis wir die Effekte sehen. Im Startup-Bereich wird das ja gegenwärtig schon sichtbar: jedes Jahr bringt das Land neue Unternehmen hervor, von denen viele auf Dauer Erfolg haben werden und viele Arbeitsplätze schaffen werden.
Und vielleicht sogar an der Börse notiert sein werden?
Ich erwarte, dass wir aus dem Berlin-Potsdamer Umfeld auch sehr erfolgreiche Firmen sehen werden, die an die Börse gehen. Drei Jahrzehnte ist dafür eine übliche Benchmark, vielleicht geht es heute mit der Digitalisierung auch schon in 10 bis 20 Jahren.
Potsdam hat auch die Chance, weltweit weiter zum Zentrum für Erdsystemforschung zu avancieren. Inwieweit ist die Universität daran beteiligt?
Unser Exzellenzantrag ging in diese Richtung – und wir werden das Thema weiterentwickeln. In den vergangenen Jahren ist es gelungen, dass die zahlreichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Potsdam die Universität als Partner auf Augenhöhe begreifen. In dem thematischen Umfeld „Zukunft des Planeten“ und Bio-Geo-Klima werden wir zusammen mit den entsprechenden Instituten noch viel bewegen können. Hier ist in Potsdam ein einzigartiger Forschungsschwerpunkt entstanden.
Was erwarten Sie – neben den Zielen in der Gesundheitsbranche – noch von der neuen Fakultät für Digital Engineering.
Zum Beispiel ist Digitalisierung und Schule ein ganz bedeutendes Thema, das die Gesellschaft nun diskutieren muss. Allerdings fehlen dazu noch vielfach die empirischen Daten. Mit dem Ausbau des Lehramtes wollen wir gerade das Thema Digitales Klassenzimmer angehen, auch mit empirischen Studien, damit wir wissen, worüber wir eigentlich reden, was mit den Kindern passiert, die mit der Digitalisierung aufwachsen. Darüber wissen wir noch viel zu wenig. Wir sind bereits stark in der empirischen Bildungsforschung, das könnte in Verbindung mit digitalen Medien für uns noch einmal ein ganz großes Thema werden. Zusammen mit der digitalen Medizin in Querverbindung von Digitaler und Gesundheitswissenschaftlichen Fakultät sind wir, zumindest was die Professuren anbelangt, nun bundesweit in der Spitzengruppe. Zu Digitalisierung brauchen wir Grenzgänger, die aus der Informatik heraus auf die Praxis schauen oder aus ihrer Profession die Informatik erschließen. Und die kriegen wir auch, so wie wir nun aufgestellt sind.
Der Campus Golm soll zu einem wichtigen Forschungs- und Gründungsstandort des Landes werden. Sind Sie mit dem Fortschritt dort zufrieden?
Golm entwickelt sich – aber immer noch nicht schnell genug. Die Verdichtung des jetzigen Campus gestaltet sich zäh, es gibt noch viele unbebaute Grundstücke, die nicht entwickelt werden. Es gab nie eine Gesamtplanung, das fällt uns jetzt auf die Füße. Nun gibt es zwar den neuen Masterplan Golm, aber keine landschaftsplanerische Erhebung, wie der Gesamtraum dort überhaupt funktioniert. Der jetzt existierende Raum muss noch intensiver gestaltet und attraktiver gemacht werden. Solange die Studierenden in Golm nicht wohnen wollen, haben wir noch nicht gewonnen.
Auch müsste es schnellere Wege geben.
Über den Verkehr überhaupt reden zu müssen, ist lästig. Aber natürlich wollen wir die S-Bahn hinaus bis Golm und eine höhere Zugfrequenz der Regionalbahnen mit Berlin, denn Potsdam-Berlin ist im Wissenschaftsbereich ein eng verflochtener Großraum.
Darin haben Sie den scheidenden Oberbürgermeister auf Ihrer Seite?
Die Beziehung der Universität zu Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs ist exzeptionell gut, das ist sehr erfreulich. Herr Jakobs versteht, was wir für die Stadt tun und umgekehrt verstehen wir, was die Stadt für uns tut. Wir hoffen, dass die gute Beziehung unter der Nachfolgerin oder dem Nachfolger von Jakobs erhalten bleibt.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
Oliver Günther (56) ist seit 2012 Präsident der Universität Potsdam. Der Wirtschaftsinformatiker war zuvor Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Uni Berlin. Im vergangenen Jahr ist er für eine zweite Amtszeit bis 2024 vom Senat der Universität wiedergewählt worden. Günther sieht die Potsdamer Alma Mater mit derzeit rund 20 000 Studierenden als „forschungsstarke Universität“. Die Stärken der Potsdamer Forschung sieht er unter anderem an der Schnittstelle von Geo- und Biowissenschaften, in den Kognitionswissenschaften, in der angewandten Mathematik und in der „innovativen“ Lehrerbildung und Bildungsforschung.
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Bericht: Bis zum Jahr 2020 bekommt Brandenburgs größte Hochschule knapp 3500 Studierende und Mitarbeiter hinzu, darunter aich 60 neue Professuren. Das ist auch bundesweit gesehen eine ungewöhnliche Expansion.
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