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Progressiv und weiblich. Im Jahr 2010 wurde Alina Treiger durch das Abraham Geiger Kolleg zur Rabbinerin ordiniert – als erste Rabbinerin in Deutschland nach der 1944 ermordeten Regina Jonas. Seit 2011 betreut die aus der Ukraine stammende Rabbinerin die jüdische Gemeinde in Oldenburg und Delmenhorst.
© Ingo Wagner/dpa

Abraham Geiger Kolleg der Universität Potsdam: Das hohe Amt bereichern

Das Potsdamer Abraham Geiger Kolleg der Universität beschäftigt sich mit dem langen und schwierigen Kampf um die Gleichstellung von Frauen in religiösen Führungspositionen der jüdischen Gemeinden.

80 Jahre ist es her, dass Regina Jonas als weltweit erste Frau in Deutschland zur Rabbinerin ordiniert wurde. Lange Zeit sollte sie die einzige bleiben. Erst 1972 durfte wieder eine Frau das hohe Amt bekleiden. Die Existenz der ersten Rabbinerin war nach dem Zweiten Weltkrieg fast völlig in Vergessenheit geraten. Regina Jonas wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Erst nach der Wende entdeckte die Wissenschaftlerin und Theologin Katharina von Kellenbach die Geschichte der Rabbinerin in Ostberliner Archiven. Heute gibt es über 1000 Rabbinerinnen, 50 Prozent der Studenten in den Rabbinerseminaren sind Frauen. Der Weg dahin war lang und schwierig. Möglich wurde dieser Fortschritt vor allem durch die feministischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts und dank Wegbereiterinnen wie Regina Jonas.

Am Potsdamer Abraham Geiger Kolleg hat man sich dem Thema angenommen, unlängst fand dazu eine Tagung statt. Das An-Institut der Universität Potsdam ist das erste liberale Rabbinerseminar, das in Kontinentaleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Neben der Ausbildung von Rabbinern und Kantoren widmet sich das Kolleg aktuellen Forschungsthemen, darunter auch die Rolle von Frauen im Judentum. 2010 wurde hier Alina Treiger zur Rabbinerin ordiniert – die erste in Deutschland nach Regina Jonas.

Die Diskussionen, ob Frauen für das Rabbinatsamt geeignet sind, lassen sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Doch erst die Suffragettenbewegung und die Frauenrechtlerinnen Anfang des letzten Jahrhunderts brachten entscheidende Impulse. Sie verhalfen Frauen zum Wahlrecht, zur Durchsetzung der ersten Gleichstellungsgesetze und ermöglichten im Zusammenspiel mit dem Arbeitskräftemangel während des Ersten Weltkrieges neue Berufsoptionen. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen gingen auch an den jüdischen Gemeinden nicht spurlos vorbei. In jener Zeit besuchten Frauen erstmals Rabbinerschulen, ohne jedoch ordiniert zu werden.

Eine dieser Frauen, die Amerikanerin Martha Neumark (1904–1981), schrieb 1925 einen vielbeachteten und kontroversen Artikel in der „Jewish Tribune“. Darin konstatierte sie, dass Frauen nicht nur in der Lage seien das hohe Amt auszufüllen, sondern es mit ihren Fähigkeiten noch bereichern könnten. Trotz der dadurch angestoßenen Debatten sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis Frauen das Rabbinat übernehmen durften. Die einzige Ausnahme bildete Regina Jonas, die bereits 1935 ordiniert wurde.

Hartmut Bomhoff vom Abraham Geiger Kolleg sieht die Ursachen für die zögerlichen Fortschritte auch in den jüdischen Gemeinden selbst begründet. Nach der Shoa bestand ein starkes Bedürfnis, an alte Traditionen anzuknüpfen und diese frei ausleben zu können. Die neueren Entwicklungen zur Gleichstellung von Frauen blieben daher vorerst unbeachtet. Neuen Schwung brachte erst die sogenannte Zweite Feminismuswelle in den 1960er- bis 80er-Jahren, insbesondere in den USA. Viele der führenden Persönlichkeiten in der Bewegung waren jüdischen Glaubens, wie Betty Friedan, die in ihrem Bestseller „The Feminine Mystique“ (1963, deutsch: „Der Weiblichkeitswahn“, 1966) die traditionellen Rollen von Frauen infrage stellte. In den jüdischen Gemeinden wurde nun verstärkt die Gleichstellung thematisiert, wie etwa die vollwertige Mitgliedschaft und aktive Partizipation von Frauen in den religiösen Gemeinschaften oder die Besetzung von Führungspositionen. In dieser Zeit durften Frauen endlich das Rabbinat übernehmen. 1972 wurde die dem progressiven Judentum angehörige Sally Priesand ordiniert, als weltweit zweite Frau nach Regina Jonas. Zahlreiche Rabbinerinnen in allen Strömungen des Judentums sollten folgen.

Selbst die orthodoxen Gemeinden konnten sich den Veränderungen nicht komplett verschließen – 2009 wurde die erste orthodoxe Rabbinerin Sara Hurwitz ordiniert. Natürlich haben die Frauen auch heute noch mit Problemen und Vorurteilen zu kämpfen. Insgesamt überwiegen jedoch die positiven Aspekte. Durch die Ordination von Frauen hat sich das Rabbinatsamt maßgeblich verändert. Die Aufgaben haben sich erweitert und sind näher an die aktuellen Ansprüche der Gemeindemitglieder herangerückt. Soziale Tätigkeiten wie Kinder- und Jugendarbeit, Seelsorge und Familienbelange stehen stärker im Fokus. Für Frauen und ihren Lebensalltag wurden neue Rituale und Gebete entwickelt. Auch die Gleichberechtigung von Minderheiten ist für die Frauen, die selber jahrzehntelang um ihre Stellung kämpfen mussten, ein großes Thema. Auch dank ihres Einsatzes sind mittlerweile schwarze und homosexuelle Rabbiner und Rabbinerinnen ordiniert worden und bekleiden hohe Positionen in den Verbänden und Organisationen. Diese Fortschritte lassen heute die Beteiligten auf eine völlige Gleichstellung und Akzeptanz in der Zukunft hoffen.

Sarah Stoffers

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