PNN-Serie: Wir im Staudenhof: „Das Haus ist gut gelungen“
Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Ludmila.
Eigentlich spricht Ludmila perfektes Deutsch. Nur ganz selten muss sie etwas länger nach einem Wort suchen, dann blickt sie hilfesuchend ihren Sohn Nikolas an, als könnte der 18-Jährige ihre Gedanken lesen. Ludmila ist 40 Jahre alt, ihr ungeschminktes, mädchenhaftes Gesicht lässt sie aber deutlich jünger wirken. Seit 2011 wohnt sie mit ihrer Familie im Staudenhof, sie haben eine der wenigen größeren Wohnungen bekommen. Zu fünft teilen sie sich die vier Zimmer.
2000 kam Ludmila aus der ostukrainischen Stadt Donezk nach Deutschland. Sie folgte ihren Eltern, die als Spätaussiedler in Potsdam Fuß gefasst hatten. Erst hier lernte sie ihren Mann Vladimir kennen, ein gebürtiger Kasache. Zunächst wohnten sie in einer kleinen Wohnung in der Friedrich-Ebert-Straße, alle drei Kinder wurden dort geboren. Doch spätestens als sie zu fünft waren, brauchten sie etwas Größeres. „Die Wohnung war für uns ein Glücksfall“, sagt Ludmila. Sie konnten in ihrem gewohnten Umfeld bleiben, in der Nähe ihrer Eltern und der Schulen beziehungsweise Kitas der Kinder. Und die Miete ist – angesichts der Größe von rund 100 Quadratmetern und der zentralen Lage – vertretbar. Viel Geld hat die Familie nicht zur Verfügung, Vater Vladimir ist der einzige, der als Gerüstbauer Lohn nach Hause bringt.
Ludmila studiert eigentlich Architektur. Eigentlich. Denn immer wieder kam ihr in den letzten Jahren etwas dazwischen, wie sie mit einem entschuldigenden Lächeln erklärt. Erst waren die Kinder noch zu klein, dann erkrankte Ludmilas Mutter an Krebs. Mehrmals die Woche besucht Ludmila sie und kümmert sich. Dann kam auch noch die Diagnose, dass der jüngste Sohn Thomas – er ist mittlerweile acht – Diabetes hat. Er muss regelmäßig Insulin spritzen und weil er noch so jung ist, möchte Ludmila ihrem Sohn das nicht alleine zutrauen. Deshalb fährt sie derzeit jeden Mittag zu Thomas’ Grundschule, um ihm die Spritze zu setzen. „Ich bin den ganzen Tag unterwegs.“
Die Debatte um den Abriss des Staudenhofs verfolgt Ludmila genau, sie ist bestens informiert und kennt die Argumente der Eigentümerin Pro Potsdam, die einen Abriss des in die Jahre gekommenen Wohnblocks bevorzugt. Sie findet, dass eine Sanierung besser wäre und angesichts der Wohnungsnot in Potsdam die günstigen Wohnungen erhalten bleiben sollten. Dass so schlecht über ihr Haus gesprochen wird, stört Ludmila, das merkt man ihr an. „Wenn man die Funktion betrachtet, ist dieses Haus sehr gut gelungen“, findet sie. „Damals musste es eben schnell gehen, und man hat es geschafft, sehr viele Haushalte unterzubringen.“
Dass die Fassade gemacht werden müsste, findet sie auch. Die Betonwände dämmen so gut wie gar nicht, im Sommer ist es sehr heiß und im Winter muss sogar nachts die Heizung laufen, sonst sinken die Temperaturen etwa im Kinderzimmer, das an der Gebäudeecke liegt, auch schnell mal unter 15 Grad. Aber eine Fassadensanierung könnte das Gebäude ja auch optisch aufwerten, meint Ludmila. „Das könnte Klarheit schaffen, die Bibliothek ist dafür doch ein gutes Beispiel.“
Auf den weißen Bibliotheksblock neben dem Staudenhof blickt Ludmila von ihrem Balkon im siebten Stock, 2010 bis 2013 wurde der ebenfalls aus der DDR-Zeit stammende Bau saniert. Daneben ist die riesige Brache zu sehen, auf der bis vor Kurzem die Fachhochschule stand. Laut waren die Abrissbagger und der Staub kam überall hin, erzählt sie wie alle im Staudenhof, die ihre Balkone zu dieser Seite des Wohnblocks haben. Sogar ein Riss in der Tapete haben die Erschütterungen in Ludmilas Wohnung hinterlassen.
Auf den Balkon gelangt man bei ihr durch das Wohnzimmer, das durch ein großes Sofa bestimmt wird. Gegenüber steht eine große, dunkle Schrankwand mit Fernseher, Büchern und Familienbildern, auf dem Boden liegt ein Perserteppich. Auch ein riesiger Doppeltür-Kühlschrank steht im Wohnzimmer, in der kleinen Küche war dafür kein Platz. Die ist zwar ohne Fenster, dafür aber mit einer für DDR-Plattenbauten typischen Durchreiche zum Wohnzimmer ausgestattet.
Die anderen Zimmer werden als Schlaf- und Kinderzimmer genutzt, der achtjährige Thomas und der zehnjährige Eric teilen sich den größten Raum. Ein riesiger Autoteppich liegt hier auf dem Boden, Spielzeug stapelt sich zwischen den Schreibtischen und den Betten, die Kopf an Kopf an einer Zimmerseite stehen. Der 18-jährige Nikolas hat hingegen ein Zimmer für sich, er blickt Richtung Platz der Einheit. Seit dem Herbst studiert er Chemie an der Universität Potsdam. Irgendwann will er vielleicht mit Freunden zusammenziehen, sagt er. Ob Thomas und Eric dann jeder ein eigenes Zimmer bekommen oder die Familie dann schon woanders wohnt, weil der Staudenhof Geschichte ist, weiß Ludmila nicht. Sie hofft, dass sie bleiben kann.
Die nächste Folge der Serie erscheint am Donnerstag. Dann stellen wir den Bewohner Martin vor.