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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht auf dem Festakt in der Metropolis-Halle.
© Sören Stache/dpa
Update

Feier zu 30 Jahre Deutsche Einheit in Potsdam: "Das Erbe von 1989 war niemals wichtiger als heute"

Ist die Einheit gelungen? Wo sind sich Ost und West nah - und wo fremd? Der offizielle Festakt in der Metropolishalle in Babelsberg rückte die Ostdeutschen in den Mittelpunkt und suchte Antworten.

Potsdam - Es ist der Blick auf die Ostdeutschen, es sind das Selbstbewusstsein und die Worte von Ostdeutschen, die diesen in Potsdam begangenen 30. Jahrestag der Deutschen Einheit prägen. Und Gedanken darüber, wie künftig an die Friedliche Revolution erinnert werden kann - und wie das damals Geschaffte und Geschaffene helfen kann, mit der Coronakrise und den zunehmenden Angriffen auf die freiheitliche, demokratische Ordnung umzugehen. 

In der Babelsberger Metropolishalle kamen zum live in der ARD übertragenen Festakt die Spitzen des Staates zusammen, doch fast noch besser repräsentiert in der unter Corona-Bedingungen nur 230 Gäste fassenden Halle waren Bürger des Landes. Jeweils fünf Personen aus jedem der 16 Bundesländer wohnten dem Festakt live bei.

Zusammenhalt - gerade in der Corona-Krise

In einem kurzen Statement vor Beginn der Feier forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von den Bürgern in Ost und West Zusammenhalt - gerade auch in der Corona-Krise. „Wir wissen, wir müssen heute wieder mutig sein“, sagte Merkel. „Mutig, neue Wege zu gehen angesichts einer Pandemie, mutig, die noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West auch wirklich zu überwinden, aber auch mutig, den Zusammenhalt unserer ganzen Gesellschaft immer wieder einzufordern und dafür zu arbeiten.“ Sie bedanke sich bei allen Bürgerinnen und Bürgern, die dazu beigetragen hätten, dass die Deutsche Einheit „im Großen und Ganzen“ gelungen sei

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Dietmar Woidke (SPD), Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Brandenburg, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Kirche St. Peter und Paul (v.l.n.r.).
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Dietmar Woidke (SPD), Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Brandenburg, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Kirche St. Peter und Paul (v.l.n.r.).
© dpa

Daran, dass die Wiedervereinigung und ihre Folgen besonders im Osten für viele herausfordernd waren, erinnerte Brandenburgs Ministerpräsident und aktueller Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD), ein Ostdeutscher. Die Deutsche Einheit nannte er einen großen Erfolg, sie sei aber keine reine Erfolgsgeschichte. "Unser neues Glück war nicht immer ungetrübt", so Woidke. "Es riss uns nicht selten auseinander, zerriss häufig unseren eigenen Werdegang, und auch die Zerbrechlichkeit des Glücks wurde für uns zur prägenden Erfahrung."

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Einer Erfahrung, die sich auch 30 Jahre später noch auswirkt. So berichtete Ronja Büchner, das erste gesamtdeutsche Kind, geboren am 3. Oktober 1990 in Leipzig, im Gespräch mit dem Potsdamer Moderator Günther Jauch, dass auch sie vor allem in ihrer Jugend von anderen als Ostdeutsche gesehen worden sei. 

 Mark Foster und Mia begrüßen sich auf der Bühne per Ellenbogencheck. 
 Mark Foster und Mia begrüßen sich auf der Bühne per Ellenbogencheck. 
© Sören Stache / dpa

Über seine Erfahrungen in der DDR sprach der 60-jährige Norbert Leisegang, Sänger der Band "Keimzeit". Leisegang lebt und arbeitet in Potsdam und Berlin. Außerdem berichtete die heute 90-jährige Ursula Lehr, von 1988 bis 1991 CDU-Bundesfamilienministerin, über den Moment, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) vom Mauerfall erfuhr.   

Das Erbe von 1989 sei niemals wichtiger gewesen als heute, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Festrede. Heute sei Deutschland ein Land, "das aus dem Sieg der Ideen von 1989 die Zuversicht schöpft, dass Verantwortung über Gängelei, dass Freiheit über Unfreiheit triumphiert".

Woidke erinnert an Opfer der SED-Diktatur

Ähnliches betonte Ministerpräsident Woidke: Der Tag der Deutschen Einheit solle "uns auch daran erinnern, in welchem Land der Freiheit wir heute leben". Das werde "oft vergessen und von manchen bewusst ausgeblendet - das dürfen wir nicht zulassen", so Woidke, der auch an die Opfer von SED-Diktatur und Unterdrückung erinnerte.

Brandenburgs Ministerpräsident und Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD).
Brandenburgs Ministerpräsident und Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD).
© Sören Stache / dpa

Die Antwort auf die Frage, wo Deutschland im Prozess der Wiedervereinigung nach 30 Jahren steht, beantworteten die Redner in ähnlicher Weise. "Ich glaube, wir leben in einem Paradox. Wir sind noch längst nicht so weit wie wir sein sollten. Aber zugleich sind wir viel weiter, als wir denken", sagte der Bundespräsident. 

Bundesratspräsident Woidke forderte weitere gemeinsame Kraftanstrengungen von Ost und West. Der Prozess des Zusammenwachsens werde weiter Kraft und Zeit kosten. „Dabei ist entscheidend, dass wir alle ihn gemeinsam nach vorn bringen - mit guter Grundhaltung, ohne Scheuklappen und ohne Vorurteile.“

Steinmeier sagte, es sei "keine Frage: Der Umbruch traf die Menschen im Osten unseres Landes ungleich härter als die im Westen". Man habe unterschätzt, "wie langlebig manche Benachteiligungen sein können, die oft über Generationen weiter gegeben worden sind". Diese Benachteiligungen müssten beseitigt werden, Zukunftschancen dürften nicht mehr vom Leben in Ost oder West abhängen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht auf dem Festakt in der Metropolis-Halle. 
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht auf dem Festakt in der Metropolis-Halle. 
© Sören Stache / dpa

Der Bundespräsident forderte zudem, offen über "Fehler und Ungerechtigkeiten" zu sprechen und falschen Mythen entgegenwirken. Mit Blick auf die Treuhand werde mit dreißig Jahren Abstand neu geurteilt und gestritten. Die Abwicklung ganzer Betriebe habe traumatische Folgen gehabt, die noch heute den Blick vieler prägten. 

Dies müsse anerkannt werden, und dabei gehe es nicht um Stil oder Höflichkeit, sondern "um unsere Demokratie", warnte Steinmeier. Denn wenn Menschen sich dauerhaft zurückgesetzt fühlten, "wenn ihre Sichtweise nicht vorkommt in der politischen Debatte, wenn sie den Glauben an die eigene Gestaltungsmacht verlieren", dann bröckele der Zusammenhalt, steige das Misstrauen in die Politik, wachse der "Nährboden für Populismus und extremistische Parteien".

Drinnen der Bundespräsident, draußen Protest

Steinmeier sagte, für die Zukunft nach Corona brauche Deutschland "den Mut, diese Tatkraft", mit denen die 16 Millionen Ostdeutschen es geschafft hätten, sich nach der Wiedervereinigung neu zu erfinden. Das Land könne "auf die Erfahrungen der Friedlichen Revolution" bauen, als die "Mauer nicht einfach fiel, sondern zum Einsturz gebracht wurde von Hunderttausenden". Er forderte dazu auf, anlässlich des 30. Jahrestags darüber nachzudenken, ob Deutschland nicht einen "herausgehobenen Ort, mehr als ein Denkmal" brauche, der an die Friedlichen Revolutionäre erinnert - und daran, "dass die Ostdeutschen ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und sich selbst befreit haben". 

Beschäftigte von Schaeffler demonstrieren an der Metropolishalle.
Beschäftigte von Schaeffler demonstrieren an der Metropolishalle.
© Sabine Schicketanz

Während in der Babelsberger Metropolishalle die Festreden gehalten wurden und Musiker wie Roland Kaiser, Mia und Mark Foster - begleitet vom Deutschen Filmorchester Babelsberg auftraten - demonstrierten Beschäftigte des Schaeffler-Werks Luckenwalde vor der Halle. Der Auto- und Industriezulieferer will Stellen abbauen, für das Werk Luckenwalde ist auch ein Verkauf denkbar.  Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sprach kurz zu den Demonstranten. Er sagte, es gebe noch keine Neuigkeiten, er habe die ganze Woche versucht, die Unternehmensführung zu erreichen, das sei ihm aber nicht gelungen. Er habe nur eine SMS erhalten und fühle sich hingehalten. Er werde aber weiter dran bleiben. Die Protestierenden rief er auf, durchzuhalten.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schreibt sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Links steht Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schreibt sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Links steht Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 
© Sören Stache/dpa

Mit der deutschen Nationalhymne - das Mitsingen war wegen Corona nicht erlaubt - und dem Eintrag von Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Merkel, Bundesratspräsident Woidke sowie des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth ins Goldene Buch der Stadt Potsdam ging der Festakt zu Ende. Wegen Corona gab es weder einen Empfang, noch Essen oder Getränke - letzteres bekamen die Gäste jedoch in einer Pappbox mit auf den Weg.

"Tatsachen, die uns im Osten auf der Seele brennen"

Das galt auch für die Bürgerdelegationen der Bundesländer, die bereits am Freitagabend in Potsdam eingetroffen waren. Aus Brandenburg gehörte Karola Morys zur Delegation. Die 57-Jährige ist ehrenamtliche Vorsitzende der Cottbuser "Lesefuchs"-Initiative und war wegen ihres Engagements zum Festakt geladen. "Die Reden waren zutreffend", sagte sie. "Das waren nicht nur Lobhudeleien, sondern Tatsachen, die uns im Osten auf der Seele brennen."  Johanna Schmidt vom Bernauer BürgerInnen Asyl sah die Feier kritischer. "Die Rede von Steinmeier war bisschen lang, er sollte lieber mehr tun als reden", sagte sie.

Der 27-jährige Ayman aus Syrien, der seinen Nachnamen nicht öffentlich machen wollte, gehörte ebenfalls zur Brandenburg-Delegation. Er sei vor fünf Jahren aus Damaskus geflüchtet und nach Brandenburg gekommen, arbeite in zahlreichen Ehrenämtern in Eberswalde und nun auch offiziell als Coach für Migranten. Es sei eine Ehre für ihn, eingeladen zu sein, darauf sei er stolz. "Nach diesem Festakt fühle ich mich nicht mehr fremd in Deutschland", sagte er.

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