30 Jahre Mauerfall: Danke, Stasi
Zweimal griff die Staatssicherheit in sein Leben ein. Jetzt ist Zeit für eine satirische Danksagung, findet der Potsdamer DDR-Bürgerrechtler.
Potsdam - Fast 30 Jahre nach der Auflösung des DDR-Geheimdienstes wird es Zeit, Danke zu sagen. Zweimal haben die Genossen hilfreich in mein Leben eingegriffen. Zunächst bekam ich 1969 einen Einberufungsbefehl zu den Grenztruppen der DDR nach Salzwedel. Ich nutzte die Tage vor dem Einrücken zu einem kleinen Urlaub. Als ich heimkam, sagte mir meine Mutter, ich solle den Einberufungsbefehl zum Wehrkreiskommando zurückbringen. Weitere Auskünfte gab es dort keine. Etwas irritiert nahm ich meine Arbeit als Schlosser wieder auf.
Erst meine Stasiakte löste nach der friedlichen Revolution das Rätsel. Im Schlussbericht eines Operativen Vorlaufs der Kreisdienststelle Pankow vom 6.8.70 heißt es: „Durch den VP-Helfer Gen. Gläser wurde bekannt, daß der Wehrpflichtige Otto als Soldat am 3.11.69 zu den Grenztruppen einberufen werden soll. Diese Gelegenheit will er nutzen um RF zu werden.“ Mein Outfit, lange Haare, Parka, Levis und meine Vorliebe für die Stones mögen ihn zu dieser Annahme verleitet haben. Ich schwöre, ich hatte damals weder über RF (Republikflucht) nachgedacht, noch kannte ich überhaupt diesen Begriff. Ich danke aber im Nachhinein der Stasi und ihrem IM, meinem Wohnungsnachbar, für diesen Verdacht, bewahrte er mich doch davor, an der Grenze in Gewissensnöte zu geraten. Ein halbes Jahr später „durfte“ ich dann für 18 Monate fernab der Grenze in der Sandwüste von Torgelow in der NVA dienen. Dieser Dienst half mir, letzte Illusionen über den Sozialismus zu beerdigen.
1975 nahm ich ein Lehrerstudium an der Humboldt-Universität auf und wurde dort Assistent in der Pädagogischen Psychologie mit dem Ziel zu promovieren. Im Aufnahmeverfahren sollte ich mich unter anderem verpflichten, Reserveoffiziersanwärter zu werden. Das konnte ich nach meiner Armee-Erfahrung nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, woraufhin mir der zuständige Professor Rosenfeld riet, zunächst an eine Schule zu gehen. Wenn er mich dann von dort anfordere, würde keiner mehr nach dem Reserveoffiziersanwärter fragen.
So ging ich nach Königs Wusterhausen an eine Polytechnische Oberschule und wurde auch von dort, wie versprochen, wieder angefordert, war plötzlich eine Kaderreserve der Volksbildung. Leider hatte nahezu zeitgleich die Kreisdienststelle Königs Wusterhausen eine Operative Personenkontrolle (OPK) eingeleitet, in der es unter anderen hieß: „Von op. Relevanz erscheint insbesondere der Umstand, daß von O. mit hoher Wahrscheinlichkeit Impulse zur Erziehung im Sinne pazifistischer Denkart sowie negativen Bewertens einiger Erscheinungen der gesellschaftlichen Realität in der DDR ausgehen.“ Am Ende konnten sie feststellen: „Das Bearbeitungsziel der OPK wurde erreicht. Der O. wurde als Lehrer aus dem Bereich Volksbildung fristlos entlassen.“
Die Entlassung erfolgte im Januar 1982. Auch dafür muss ich im Nachhinein den Genossen danken, brachte mich dies doch als Dozent in hochschulähnliche kirchliche Einrichtungen Potsdams, in denen ich mich frei von Heuchelei bewegen konnte und wo ich auf viele engagierte Kollegen und Studierende traf, die sich ebenfalls in großen Teilen mit der Bevormundung und Gängelei in der DDR nicht zufrieden geben wollten. Sie konnten die Kirche als Freiraum, Raum freien Geistes erleben.
Ich danke der Stasi nachträglich für meine schönsten Berufsjahre. Nur gut, dass ich von all der Böswilligkeit der Stasi erst aus meiner Akte erfuhr. Nichts ahnte ich von den weiteren Operativen Vorgängen, den vielen Spitzeleien und der Wohnungsdurchsuchung. Dass die Genossen bei den verschärften Grenzkontrollen zu den sozialistischen Bruderländern die Hände im Spiel hatten, nahm ich zähneknirschend hin. Dass ein Operativer Vorgang zum Ziel hatte, jederzeit verhaftet werden zu können, dass die Genossen in mir eine PUT (Person der Untergrundtätigkeit) sahen, die im Krisenfall vorsorglich zu verhaften war, nehme ich heute als nachgetragene Auszeichnung an.
Der Autor Frank Otto (68) arbeitete 1989 als Dozent für Psychologie an der kirchlichen Ausbildungsstätte für Gemeindediakonie und Sozialarbeit und engagierte sich im Neuen Forum. Er ist Mitglied der Partei Bündnis 90/Grüne.
Frank Otto
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