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Gegendemonstranten standen am Samstag neben der Protestaktion des AfD-Kreisverbandes Potsdam gegen die 2G-/3G-Regeln.
© Fabian Sommer/dpa

„Kleine, aber laute Minderheit“: Corona-Protest am Brandenburger Tor

Am Mittwochabend haben Potsdamer gegen die Impfplicht demonstriert. Oberbürgermeister Mike Schubert fand dafür scharfe Worte.

Potsdam - Einmal mehr drohen auch in Potsdam regelmäßige Proteste von Gegnern des Impfens oder der Corona-Beschränkungen. Das zeigen Aufrufe in einschlägigen Potsdam-Gruppen des Nachrichtendienstes Telegram – und auch eine Aktion vom Mittwochabend.

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) nannte es gegenüber den PNN verachtenswert, sich bei der Verharmlosung des Coronavirus mit Statements in Szene zu setzen, die jeder Plausibilität und Fachlichkeit entbehren. Es handele sich um eine kleine, aber laute Minderheit – die deutliche Mehrheit der Potsdamer lasse sich impfen, bedankte sich Schubert. Dazu appelliere er auch: also die Impfangebote der Stadt zu nutzen.

Am Mittwochabend hat die Potsdamer Polizei einen unangemeldeten Protest von Impfgegnern und Coronaleugnern in der Innenstadt unterbunden. Wie die Behörde mitteilte, war gegen 17.30 Uhr eine nicht angemeldete Versammlung von bis zu 100 Menschen im Bereich des Brandenburger Tors gemeldet worden, die dort mit Fackeln, Kerzen und Transparenten gegen die aktuelle Corona-Politik demonstrierten. Da die Versammlung nicht angemeldet war, wollte die Polizei diese auflösen. Doch die Gruppe habe das abgelehnt und sich schließlich aufgeteilt.

Von 21 Personen habe man aber die Identität feststellen können, so die Polizei. Gegen eine 62-jährige Frau, die dem erteilten Platzverweis nicht habe nachkommen wollen, werde wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. In den einschlägigen Telegram-Foren wurde ein Video der um Hilfe schreienden Frau gezeigt – und wie Demonstranten die Polizisten beschimpfen.

Sicherheitsbehörden warnen vor einer Radikalisierung der Proteste

Die Polizei teilte mit, man suche auch nach dem oder den für den Aufzug Verantwortlichen – hier geht es um den Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Im Zuge der Aktion hätten auch mehrere Personen versucht, vor das Rathaus zu kommen, hieß es. Mehr als 55 Polizisten waren im Einsatz. Es war nicht der erste Aufzug dieser Art: Im Zuge der Pandemie hatte es besonders in Lockdown-Phasen auch in Potsdam mehrere Demos gegen Corona-Maßnahmen gegeben. Bei der größten am 20. März nahmen 700 Menschen teil, viele aus Berlin.

Seit Tagen kommt es bundesweit zu Querdenker-Demos. Sicherheitsbehörden warnen vor einer Radikalisierung der Proteste – gerade nach einem Querdenker-Aufzug in Sachsen vor dem Privathaus der dortigen Gesundheitsministerin oder der Gewalttat in Königs Wusterhausen, bei der mutmaßlich ein Mann aus dem Milieu seine Familie umgebracht hat – angeblich aus der tatsächlich unbegründeten Sorge, wegen eines gefälschten Impfpasses würden ihm seine Kinder weggenommen.

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Der Potsdamer Verein Opferperspektive für Betroffene rechter Gewalt forderte jetzt eingehende Ermittlungen, inwiefern Verschwörungsideologien hier ein politisches Tatmotiv seien. Gesundheitsamtschefin Kristina Böhm hatte zuletzt im Interview mit der Märkischen Allgemeinen bestätigt, dass sie aus der Szene in Briefen und E-Mails bereits bedroht worden sei.

Künstler:innen, Heilpraktiker:innen, Stadtführer:innen sind unter den Querdenkern

Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller sagte den PNN, man registriere zuletzt eine „steigende Zahl von Teilnehmern“ bei Corona-Demos in diversen Städten der Mark – wie berichtet, etwa in Bernau, teils mit mehr als 1000 Teilnehmern. Dem müsse man in Potsdam nun nacheifern, forderten einigen Potsdamer Anhänger der Szene in ihren Chatgruppen diese Woche.

Es gibt mehrere Gruppen für die Region, einige mit rund 140 Mitgliedern oder brandenburgweit in einem Fall auch mit mehr als 2000 Teilnehmern. Viele treten anonym auf, manche aber auch mit Klarnamen: Auch Restaurator:innen, Künstler:innen, Heilpraktiker:innen und Stadtführer:innen sind nach PNN-Recherchen darunter. Doch ein genaues Personenpotenzial, wie viele Potsdamer tatsächlich als Querdenker auftreten, hat der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben noch nicht vorliegen.

[Lesen Sie auch: Corona-Proteste in Brandenburg - „Sie versuchen die normale Bevölkerung anzusprechen und zu radikalisieren“ (T+)]

Die Themen in den Chatforen drehen sich in Dauerschleife: die aus Sicht der Gegner drohende Impfpflicht, wie man gegen Corona-Regeln klagen könnte, oder angeblich manipulierte Daten zur Pandemie – aber aktuell auch ein Austausch darüber, welche E-Mail-Verteiler genutzt werden sollten, falls Telegram in Deutschland verboten würde und wie man Impfaktionen an Schulen stören könnte. Verfassungsschutzchef Müller bestätigte, dass „eine Radikalisierung der Sprache im Internet“ zu beobachten sei.

Impfgegner:innen werben auch für AfD-Demos

Beworben werden in den Telegram-Gruppen auch Anti-Corona-Proteste der AfD, der nächste ist für heute Abend vor dem Landtag geplant. Müller sprach von Hinweisen, dass Rechtsextremisten versuchten, „die normale Bevölkerung unter Ausnutzung des Themas Corona zu radikalisieren“. Daher müsse man sich davor hüten, „jeden als Extremisten abzustempeln, der sich an solchen Demonstrationen beteiligt“. Jeder habe das Recht seine Meinung zu vertreten. "Die Menschen sollten aber aufmerksam prüfen, wer zu Demonstrationen aufruft. Sonst geraten sie in die Fänge von Extremisten", so Müller.

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Gegen eine AfD-Kundgebung am vergangenen Freitag hatten linke Gruppen vor Ort protestiert – das städtische Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ hatte hingegen auf eigene Aktionen verzichtet, unter Verweis auf die schwierige Pandemielage. Schubert, der auch Chef des Bündnisses ist, sagte: "Es zeigt sich immer wieder, dass mit Rechtspopulisten keine sachliche Auseinandersetzung möglich ist."

Ein Beratungsangebot für Angehörige von Querdenkern

Die Radikalisierung der Szene sorgt auch beim Demos-Institut für Gemeinwesenberatung in Potsdam für mehr Arbeit – dieses hatte Mitte September das Beratungsangebot „Mitmensch“ gestartet, um Betroffenen zu helfen, wenn deren enge Bezugspersonen an Verschwörungstheorien glauben, etwa mit Corona- oder Vakzin-Bezug.

Gerade jetzt in der Adventszeit nehme der Bedarf deutlich zu, auch mit Blick auf bevorstehende Familientreffen, sagte „Mitmensch“-Berater Janek Buchheim den PNN. Momentan gehe es um ein bis zwei Fälle täglich, teils seien lange Gespräche nötig.Darum kümmerten sich zwei Mitarbeiter. Eine Beratung kann per E-Mail an mitmensch@big-demos.de vereinbart werden.

Bei der Eröffnung des Büros hatte Buchheim gesagt, in manchen Fällen könne man auch nur noch das Abschiednehmen moderieren. Aber in vielen Fällen gehe es eher um einen anderen Umgang miteinander. „Weil eine Ehefrau etwa sich nicht gleich von ihrem Mann trennen will, der plötzlich Verschwörungstheorien anhängt“, erläuterte er. Die Betroffenen könnten dann ermuntert werden, andere Dinge mit ihrem Partner zu unternehmen, als ständig über Corona-Theorien zu diskutieren. (mit dpa)

Henri Kramer

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