Auswertung des Verfassungsschutzes: Zahl der Rechtsextremisten steigt um ein Drittel
Der Verfassungsschutz zählt aktuell 32.000 Rechtsextreme in Deutschland. In den Bundesländern gibt es Signale für eine härtere Gangart – auch in Brandenburg.
Die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland ist 2019 deutlich gestiegen. Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern hat nach Informationen des Tagesspiegels in dem Spektrum insgesamt mehr als 32.200 Personen festgestellt, das ist eine Zunahme um ein Drittel. Im vergangenen Jahr hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) von 24.100 Rechtextremen berichtet.
Ein wesentlicher Grund für die Zunahme sei, dass der Verfassungsschutz erstmals die Mitglieder der AfD-Vereinigungen "Der Flügel" und "Junge Alternative (JA)" dem rechtsextremen Spektrum zurechne, heißt es in Sicherheitskreisen. Beim "Flügel" komme der Nachrichtendienst auf 7000 Personen, bei der JA auf mehr als 1000.
Das BfV hatte im Januar die Vereinigungen zu "Verdachtsfällen" erklärt und die Beobachtung begonnen. Es lägen "hinreichend gewichtige Anhaltspunkte" vor, dass es sich bei „Flügel“ und JA um extremistische Bestrebungen handele, verkündete der Präsident des Bundesamtes, Thomas Haldenwang. Mit der Einstufung als Verdachtsfall wurde dem BfV die Speicherung personenbezogener Daten von Mitgliedern der Vereinigungen möglich, dazu auch der Einsatz von V-Leuten und anderer nachrichtendienstlicher Mittel.
Die AfD als Gesamtpartei wurde damals vom BfV als "Prüffall" bewertet. Haldenwang nannte "erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der AfD". Das Bundesamt darf aber nur die "öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten" auswerten. Die Partei insgesamt ist bislang nicht als Verdachtsfall eingestuft und wird nicht dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet. Ob das Bundesamt 2020 dabei bleibt, ist offen.
Brandenburg überlegt Einstufung des AfD-Landesverbands als Verdachtsfall
In den Bundesländern gibt es Signale für eine härtere Gangart. Brandenburg überlege, den kompletten Landesverband der AfD zum Verdachtsfall zu erklären, ist in Sicherheitskreisen zu hören. Verwiesen wird auf die Dominanz des "Flügels" in der Brandenburger AfD. Landeschef Andreas Kalbitz ist neben dem Thüringer Björn Höcke der Wortführer im "Flügel".
Sorgen bereitet den Sicherheitsbehörden auch der hohe Anteil gewaltorientierter Rechtsextremisten am gesamten rechten Spektrum. Es gebe eine Zunahme um 300 Personen auf aktuell 13.000, heißt es. Die Gefahr rechter Gewalt bis hin zum Terror bleibe hoch.
2019 erschütterten mehrere Anschläge die Republik. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde mutmaßlich vom Neonazi Stephan Ernst erschossen, in Halle versuchte der Judenhasser Stephan Balliet vergeblich, die verschlossene, vollbesetzte Synagoge zu stürmen und tötete dann in seiner Wut zwei Passanten. Im hessischen Wächtersbach feuerte ein Rassist auf einen Eritreer und verletzte ihn schwer.
Einen Anstieg beobachten die Verfassungsschutzbehörden auch bei dem so genannten "unstrukturierten Personenpotenzial". Gemeint sind Neonazis jenseits von Organisationen, rechte Hooligans, Skinheads, Kampfsportler sowie Figuren aus der Rechtsrockszene. Die Gesamtzahl wuchs von 13.240 Personen im vergangenen Jahr auf jetzt 13.500.
Bei den Parteien fällt die anhaltende Schwäche der NPD auf. Die mit 55 Jahren älteste rechtsextreme Partei in der Bundesrepublik verlor 400 Mitglieder und zählt nur noch 3600. Vor drei Jahren waren es 5000. Auch die Neonazi-Kleinpartei „Die Rechte“ bröckelt weiter. Sie hat jetzt 550 Mitglieder, das sind 150 weniger als 2016. Etwas Zulauf hat hingegen die ebenfalls neonazistische Partei "Der III. Weg". Der Verfassungsschutz stellte 580 Mitglieder fest, im vergangenen Jahr waren es 530.
Identitäre Bewegung stagniert
Bei den vom Verfassungsschutz als parteiunabhängig bewerteten Vereinigungen wie der Identitären Bewegung und Gruppierungen von Reichsbürgern änderte sich nicht viel. Die Gesamtzahl der Anhänger liegt bei 6600. Die Identitäre Bewegung stagniert bei 600 Mitgliedern. Es gebe weniger Aktivitäten, sagten Sicherheitskreise. Womöglich hätten die Identitären in Deutschland ihren Höhepunkt hinter sich. Der Bewegung mache zu schaffen, dass ihre Publikationen in den sozialen Medien blockiert werden.
Bei jenen Reichsbürgern, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistisch einstuft, gab es ebenfalls kaum Bewegung. 2018 hatte das Bundesamt von 950 Personen berichtet, die Zahl hat sich offenbar kaum verändert. Das scheint auch für das gesamte Spektrum der Reichsbürger und "Selbstververwalter" zu gelten. Letztere fallen damit auf, dass sie ihre Grundstücke als Staaten deklarieren. Der Verfassungsschutz taxierte die gesamte Szene 2018 auf "etwa 19 000 Personen". Die Gesamtzahl für dieses Jahr steht noch nicht fest. Womöglich gebe es einen leichten Rückgang, sagten Sicherheitskreise.
Auch beim rechtsextremen Spektrum wird der Verbund der Verfassungsschutzbehörden noch etwas nachjustieren. Dafür bleibt vermutlich noch viel Zeit. Das Bundesamt veröffentlicht seinen Bericht über das abgelaufene Jahr meist erst im nächsten Frühsommer.
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