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Keine Zeit zum Fliegen. Engelbert Lütke Daldrup, 61, ist seit März 2017 Chef der Flughafengesellschaft. Er selbst fliege vielleicht zehn Mal im Jahr, sagt er. „Ich bin ja nicht als Reisekader hier, sondern um den BER endlich fertig zu machen.“
© Manfred Thomas

BER-Chef Lütke Daldrup im PNN-Interview: „Wir verlassen uns nicht auf die Lufthansa allein“

„Langstrecken brauchen Vorlauf von etwa zwei Jahren“ Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup spricht über neue Pläne für die Langstrecke und Ärger mit der Airline.

Herr Lütke Daldrup, Sie verlassen Ihren Arbeitsplatz am BER für ein paar Tage, fliegen mit einer Berliner Wirtschafts- und Senatsdelegation nach China. Was wollen Sie dort?

Es geht um neue Langstreckenverbindungen für Berlin. Gerade bei asiatischen Gesellschaften ist es sehr wichtig, persönlich präsent zu sein.

Seit dem Aus von Air Berlin gibt es hier kaum noch Interkontinentalflüge. Warum versuchen Sie Ihr Glück zuerst in Asien?

Wir haben ja Hainan Airlines schon in Berlin, mit fünf Verbindungen in der Woche nach Peking, die gern sieben Mal fliegen würde. Auch aus anderen chinesischen Metropolen wie Schanghai gibt es Interesse an Direktverbindungen.

Woran scheitert das bislang?

An den Flugrechten. Wir haben Begrenzungen, die die Hauptstadtregion gegenüber München und Frankfurt am Main benachteiligen. Es fehlen uns Flugrechte von und nach China, auch aus Korea und dem mittleren Osten. Darüber reden wir intensiv mit der Politik, also mit dem Bund und Brüssel, die dafür zuständig sind. Die Hauptstadtregion darf nicht länger benachteiligt werden.

Blockiert da eine Allianz aus Lufthansa und Bundesverkehrsministerium?

Es gibt traditionell sehr gute Beziehungen der ehemaligen Staatsairline Lufthansa zu ihrem Heimatministerium. Das ist auch okay. Trotzdem muss Berlin als Hauptstadt eines wichtigen europäischen Landes besser verbunden werden. Anderswo in Europa ist es kaum denkbar, dass eine Hauptstadt bei Flugrechten kaum unterstützt wird.

Warum starten Sie Ihre Offensive jetzt?

Gerade Langstrecken brauchen Vorlauf von etwa zwei Jahren. Und wir sind zweieinhalb Jahre vor der Eröffnung des neuen Airports. Wir wollen in Tegel erste Schritte gehen, das volle Programm dann ab Herbst 2020 am BER anbieten.

Bisher scheiterten solche Pläne.

Die Berliner Lage hat sich verändert. Wir sind mittlerweile bei Geschäftskunden deutlich stärker geworden. Man sieht dies schon an der Business-Aviation: Berlin ist da die Nummer eins in Deutschland. Hier landen mehr Businessjets von Dax-Konzernen oder anderen Menschen, die privat über Flugzeuge verfügen, als in Frankfurt, München oder Düsseldorf. Es gibt auch generell eine größere Nachfrage als früher im Geschäftsverkehr. Die Menschen wollen nach Berlin. Wenn sie nicht direkt herfliegen können, dann kommen sie über Frankfurt, München, Charles de Gaulle, Amsterdam, Prag oder Helsinki.

Die Lufthansa hat gerade die New-York- Verbindung eingestellt. Der Gegenbeweis?

Nein. Alle wussten vorher, auch die Lufthansa, dass der Start einer neuen Langstrecke im Winter besonders schwierig ist. Ich habe Verständnis, dass die Lufthansa nicht alle Wünsche sofort erfüllen kann. Und man muss auch anerkennen, dass sich Lufthansa und Eurowings stark in Tegel engagiert haben. Trotzdem: Ich wünsche mir bei der Langstrecke längeren Atem von der Lufthansa.

Was erwarten Sie von der Lufthansa?

Dass wir im gemeinsamen Interesse neue Verbindungen für Berlin entwickeln, auch in die USA. Aus den Marktanalysen wissen wir, dass sich eine Reihe von Zielen in Nordamerika dafür eignen. Auch die Air-Berlin-Strecken in die USA liefen ganz gut. Die Langstrecke war nicht die Schwachstelle von Air Berlin, sondern ein profitables Produkt. Jetzt muss ein neuer Anlauf unternommen werden. Eigentlich ist die Lufthansa unser geborener Partner. Aber wir werden uns nicht allein auf sie verlassen.

Wie viele Berliner fliegen über Frankfurt oder München, weil Direktflüge fehlen?

Wir wissen das ziemlich genau, die Daten sind aber nichts für die Zeitung. Wir haben eine Liste von Top-20-Strecken, bei denen wir Potenzial sehen, dass sie sich ökonomisch tragen können.

Wo sind die besten Chancen?

Die großen Korridore sind Nordamerika, Fernost und Mittelost.

Da bleibt ja fast nichts mehr übrig.

Na ja, es gibt auch noch Afrika oder Südamerika, da sind wir nicht so ambitioniert. Entscheidend ist für uns vor allem die Primärnachfrage, also Punkt-zu-Punkt-Verbindungen von und nach Berlin.

Setzen Sie gar nicht mehr auf Umsteiger?

Je mehr Umsteiger, desto mehr Langstrecken kann man generieren. Aber wir sind realistisch: Wir haben den Fokus auf der hiesigen Nachfrage. Gleichwohl stellen wir uns einem neuen Phänomen, nämlich Konnektivität über die Grenzen einer Airline hinaus zu organisieren.

Was verbirgt sich dahinter?

Die Menschen haben kein Problem mehr damit, sich im Internet einen Flug von irgendwo in Europa mit Easyjet nach Berlin zu buchen und von hier mit Scoot weiter nach Singapur zu fliegen. Die Tickets bucht man zu Hause am Laptop. Man nennt das Self Hubbing, der Trend geht in diese Richtung. Es bleibt also das Gepäck, das vom Ankunftsgate zum Abfluggate einer anderen Airline gebracht werden muss. Diese Dienstleistung ist ein Produkt, was wir gerade gemeinsam mit Easyjet entwickeln. Für Berlin ist das besonders wichtig. Mit unseren 33 Millionen Passagieren sind wir der aufkommensstärkste deutsche Standort. Hier steigen mehr Menschen aus oder ein als in Frankfurt oder München. Das ist eine Chance, um es mit Langstrecken zu verbinden.

Startet das System noch vor dem BER?

Auf jeden Fall. Ich denke, es wird noch in diesem Jahr in Tegel einsatzbereit sein. Man muss den Gepäcktransfer organisieren und Versicherungsfragen klären.

Fahren Sie das Gepäck dann auch von Tegel nach Schönefeld?

Nein. Es wird auf Tegel begrenzt, weil wir weder den Kunden noch das Gepäck zwischen Tegel und Schönefeld verlässlich und pünktlich transportieren können. Meine Auffassung ist bekannt: Wir können Langstrecken für Berlin nur gut entwickeln, wenn wir den Luftverkehr auf einem Standort abwickeln.

In anderen Metropolen gibt es auch zwei Flughäfen. Warum nicht in Berlin?

Weil das Aufkommen mit 4,5 Millionen Einwohnern im engeren Einzugsbereich dafür nicht stark genug ist. London oder Paris haben sehr viel größere Einzugsbereiche. Dort tragen sich zwei Flughäfen.

Müsste man mit neuen Fernverbindungen auf die BER-Eröffnung warten?

Nein, Air Berlin hatte von Tegel auch zehn Langstrecken, heute fliegen wir fünf. Da geht also etwas. Meine Philosophie ist ein schrittweiser Aufbau.

Wenn’s klappt, wird es um Tegel lauter?

Tegel hat eine Kapazität von rund 21 Millionen Passagieren. Daran würde sich nichts ändern, und auch nicht zu mehr Lärm führen. Da werden sicher keine Jumbos wie im Herbst kommen, als die Lufthansa nach der Insolvenz von Air Berlin so große Maschinen einsetzte. Es wäre neues, modernes und leiseres Fluggerät.

In einer neuen Entgeltordnung wollen Sie Airlines mit Rabatten ködern, um Langstrecken aufzulegen. Muss das sein?

Wir tun das, weil wir uns im Markt bewegen. München, Frankfurt oder Düsseldorf haben auch so ein Rabattierungssystem. Das ist gängig und begründet. Bei jeder neuen Destination gibt es eine Anlaufphase, Anfangsverluste, üblich sind drei Jahre, bis sie sich am Markt etabliert hat. Für diese drei Jahre bieten wir eine Rabattierung bei den Entgelten an.

Gilt das auch für Europaverbindungen?

Nein. Berlin hat eine so große Nachfrage im Europaverkehr, im innerdeutschen Verkehr, dass solche Anreize nicht mehr erforderlich sind. Wir haben deshalb ja auch die Volumenrabatte halbiert, was bei den Airlines nicht gerade auf Zustimmung gestoßen ist. Da bin ich ein konsequenter Rechner: Wir dürfen nur eine Förderung anbieten, wenn es einen zusätzlichen Nutzen gibt.

Die Grünen kritisieren die neuen Langstreckenrabatte als unökologisch.

Diese Kritik verstehe ich nicht. Wer von Berlin etwa nach Washington fliegen will, wird das auch tun. Dann ist es doch am ökologischsten, wenn er einen Direktflug nehmen kann, mit einem Start und einer Landung, mit einer Lärmbelastung. Jede Zwischenlandung, jeder Umweg verbraucht mehr Kerosin, produziert mehr Lärm und ist für den Kunden ein Nachteil, weil Zeit verloren geht.

Es gibt Klagen, dass es für manche Europaziele aus Berlin kaum Verbindungen gibt, man anderswohin ausweichen muss.

Keine Sorge, wir vernachlässigen die Kurzstrecken nicht. Sicher haben Airlines auch mal Probleme. Solche Fälle haben manchmal noch mit Umstellungen der Carrier nach der Insolvenz der Air Berlin zu tun.

Das ist nicht einmal ein halbes Jahr her ...

eigentlich ist es kaum zu glauben, dass wir schon jetzt wieder so viel Verkehr haben, und das vergleichsweise reibungslos nach diesem Einschnitt: Zehn Millionen Passagiere, ein Drittel unserer Kunden, haben plötzlich ihren Carrier verloren. Es ist eine enorme Leistung der Airlines, wie schnell sie das Loch zugeflogen haben. Ab Sommer werden wir mehr Flüge haben als je zuvor.

Korrigieren Sie die Prognosen hoch?

Nein, aber wir müssen unsere Wachstumsprognosen auch nicht nach unten korrigieren. Im letzten Jahr sind wir nicht so stark gewachsen wie ursprünglich gedacht, von 32,9 auf 33,3 Millionen Passagiere. Aber wir werden 2018 ziemlich exakt unseren früheren Wachstumspfad wieder erreichen, rechnen in diesem Jahr mit 34 bis 35 Millionen Passagieren. Wir sind ein Unternehmen, das wachsen wird, weil die Nachfrage wächst. Die werden wir mit Eröffnung des BER ab Oktober 2020 qualitativ hochwertig bedienen.

Na ja, es wird in Schönefeld ziemlich eng.

Wir werden am BER und in Schönefeld in den ersten Jahren mehr als 40 Millionen Passagiere abfertigen können. Damit kommen wir erst einmal zurecht. Allerdings müssen wir in der ersten Hälfte der 20er-Jahre das große neue Terminal T2 bauen. Es wird keine Kathedrale wie der BER, sondern ein funktionales Abfertigungsgebäude im Industriebaustandard.

Fliegen Sie eigentlich gern und oft?

Ich bin weder ein fanatischer Flieger noch einer, der Probleme mit dem Fliegen hat. Ich komme vielleicht auf zehn Flüge im Jahr. Die meiste Zeit verbringe ich im Büro, ich bin ja nicht als Reisekader hier, sondern damit der BER endlich fertig wird.

Das Gespräch führten Klaus Kurpjuweit und Thorsten Metzner. Eine lange Version des Interviews finden Sie unter www.pnn.de/flughafen

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