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Interview | Schulen in der Pandemie: "Wir müssen weg von dieser Prüfungsfixierung"

Linksfraktionschefin und Bildungspolitikerin Kathrin Dannenberg über Schulen in der Pandemie, Jugendliche unter Druck und den Kenia-Kurs in der Krise.

Frau Dannenberg, Sie haben selbst als Lehrerin gearbeitet. Würden Sie derzeit mit einem guten Gefühl in die Schule gehen, wenn diese wieder geöffnet wäre?
Als Lehrerin würde ich die Kinder gerne wieder in der Schule haben – aber ich würde auch vernünftige, sichere Arbeitsbedingungen haben und mich nicht von der Landesregierung verheizen lassen wollen. Dafür würde ich vom Dienstherren als erstes erwarten, dass er Masken und regelmäßige Schnelltests zur Verfügung stellt. Kollegen, die dennoch in der Schule unterrichten, haben jetzt ein Schreiben vom Bildungsministerium erhalten: Wir liefern jetzt zwei FFP2-Masken pro Woche – aber eigentlich müssten wir das ja nicht. Was ist das denn? Anstatt Empathie für die Lehrkräfte an den Tag zu legen, aus dem zu lernen, was uns die Erzieherinnen sagen, die tagtäglich wieder in den Kitas stehen, kommt dann so eine Ansage.

Aber mit Masken allein wäre es nicht getan.
Nein, natürlich nicht. Es muss dafür gesorgt werden, dass Abstand zu den Schülern gewahrt werden kann. Auch Kinder können das Virus übertragen, sie tragen es in ihre Familien und die Familien in die Pflegeheime. Deswegen: Abstand, die Einhaltung der Hygieneregeln, das alles ist wichtig. Das geht nur, wenn die Gruppen kleiner sind.

Kathrin Dannenberg
Kathrin Dannenberg
© Soeren Stache/dpa

Also ein Wechselmodell?
Ja, ein geordneter Wechselbetrieb bis zu den Sommerferien in allen Schulformen – eine Woche Präsenz,- eine Woche Distanzlernen beispielsweise – das wäre aus meiner Sicht die sicherste Variante und für die LehrerInnen auch organisierbar, da sind wir mit der Gewerkschaft und dem Hauptpersonalrat d'accord. Darauf müssten wir hinarbeiten, aber da passiert viel zu wenig. Das Thema Lüftungsanlagen spielt zum Beispiel überhaupt keine Rolle. Stattdessen gab es Ansagen zum Stoßlüften – absurd. Bundesweit würde es vier Milliarden Euro kosten, wenn wir alle Schulen mit Lüftungsanlagen ausstatten würden. Viel Geld, aber warum, wenn uns Bildung so wichtig ist, wird dann nicht endlich darin investiert? Corona wird nicht das letzte Virus sein, das uns beschäftigt, die Anschaffung würde sich also auszahlen. Und auch der Schülertransport müsste entsprechend organisiert und entzerrt werden. Aber was passiert? Nichts.

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Am Dienstag, noch vor der Runde mit den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin wurde bekannt, dass Brandenburg das Distanzlernen bis zum 21. Februar verlängern will. Einzelne Schulen informierten darüber die Eltern – das Ministerium hatte es aber noch nicht öffentlich kommuniziert.
Die Kommunikation stimmt nicht. Das sagen uns auch Schulsozialarbeiter, LehrerInnen. Sie erfahren aus der Presse, was als Nächstes geschehen soll oder bekommen eine dicke Verordnung zugeschickt, ständig neue Schreiben. Das ist kein Umgang, das macht die Menschen kaputt.

Wie kann man das ändern? Die Pandemie ist ja nicht wirklich berechenbar.
Eben indem wir ein zuverlässiges Wechselmodell auf die Füße stellen – und es notfalls auch wieder unterbrechen, falls die Entwicklung der Fallzahlen es nötig macht. Dafür brauchen wir meines Erachtens in Brandenburg – nicht nur für Schulfragen, sondern für die Strategie insgesamt – einen Pandemiebeirat aus Wissenschaftlern und gesellschaftlichen Akteuren, der sowohl den Landtag als auch die Landesregierung berät. Ich habe den Stein der Weisen nicht erfunden und bin manchmal auch ratlos. Deswegen wünsche ich mir mehr Austausch. Das werfe ich Bildungsministern Britta Ernst vor: Sie redet mit Verbänden, Akteuren, der Politik – separat, es wird nicht gemeinsam überlegt, jeder stellt seine eigenen Forderungen. Überhaupt stünde es einer Ministerin in so einer Situation auch gut zu Gesicht, einmal einzugestehen: Das klappt gerade nicht alles so gut, da waren wir nicht vorbereitet. Das wäre eher ein Zeichen von Stärke als von Schwäche.

Sie werfen auch der Kenia-Koalition vor, dass sie vor allem im Bildungsbereich intern zu wenig kritisch hinterfragt. Nun konnte man vor allem zu Beginn der Pandemie den Eindruck gewinnen, dass Sie sich als Opposition mit Kritik auch zurückhielten. Weil es sich nicht gehört, in so einer schwierigen Lage richtig drauf zu hauen?
Wir haben immer gesagt, dass wir eine konstruktive Opposition sein wollen. Gerade in der Pandemie ist Zusammenhalt gefragt und nicht Parteienpolitik, da haut man nicht mit dem Knüppel drauf. Aber ich habe mir das eine Weile angeschaut, was an den Schulen und Kitas passiert oder eben nicht passiert – und irgendwann ist dann auch mal Schluss mit der Zurückhaltung.

Nun war die Linke zehn Jahre lang gemeinsam mit der SPD in Regierungsverantwortung, Sie waren schon damals für Bildungspolitik zuständig. Sehen Sie eigene Versäumnisse, die jetzt zutage treten?
Ja, logisch. Wir waren richtigerweise mit Themen wie der Flüchtlingskrise, Seiteneinsteigern und Inklusion beschäftigt – hatten aber die Digitalisierung an den Schulen nicht ausreichend im Blick. Es wäre notwendig gewesen, dafür mehr Landesgeld in die Hand zu nehmen. Was das Thema angeht, haben wir uns sicher nicht mit Ruhm bekleckert. Das werfe ich mir vor. Umso wichtiger ist es, jetzt aus der Krise auch zu lernen und wichtige Entscheidungen nicht zu verschlafen.

Welche?
Die Voraussetzungen für digitale Bildung schneller ermöglichen und wir brauchen mehr Fachpersonal an den Schulen, und zwar jetzt. Wir müssen mehr multiprofessionelle Teams bilden. Schulgesundheitskräfte, Sozialarbeiter, Schulpsychologen – sie alle werden dringend benötigt, um auch die Begleiterscheinungen der Pandemie aufzufangen. Die Kinder leiden unter der Situation, auf vielfältige Weise. Da sind Kinder, deren Eltern den Unterricht zu Hause eben nicht gut begleiten können, Kinder mit Förderbedarf oder Migrationshintergrund. Aber auch Kinder am Gymnasium, die mit dem Leistungsdruck nicht zurechtkommen.

Sie haben wiederholt gefordert, im Pandemiejahr auf Noten zu verzichten. Aber tut man Kindern damit wirklich einen Gefallen? Bei manchen könnte so der Eindruck entstehen: Was du dir zu Hause mühsam erarbeitet hast, wird nicht zensiert, ist nichts wert.
Anerkennung kann ich auf anderem Weg geben. Ich kann den Kindern sagen: Das, was ihr zu Hause leistet, ist hervorragend, dafür brauche ich nicht unbedingt Noten. Alle Schüler könnten zum Schuljahresende eine schriftliche Beurteilung bekommen, in der während der Pandemie erworbene Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Flexibilität, technisches Verständnis besonders hervorgehoben werden.

Schüler in Abschlussklassen dürften damit aber wenig anfangen können, wenn sie sich bewerben.
Für Abschlussklassen bräuchten wir vor allem eine Einigkeit auf Bundesebene. Darauf könnte Ministerin Ernst als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz hinwirken. Unter Pandemiebedingungen hat nun einmal nicht jeder Schüler dieselben Voraussetzungen, um sich auf Prüfungen vorzubereiten. Deswegen müssen wir weg von dieser Prüfungsfixierung. Da nutzt es auch wenig, wenn Brandenburg fürs Abitur mehr Aufgaben zur Auswahl zur Verfügung stellt. Wenn es gerecht sein soll, geht es nur über dezentrale Prüfungen. Oder warum können die Länder nicht übereinkommen, dass für diesen besonderen Jahrgang die komplette Jahresleistung mehr zählt und man daraus eine Abschlussnote bildet – und das dann auch den Universitäten und Betrieben entsprechend positiv kommunizieren? Jetzt wird den Jugendlichen vermittelt: Ihr seid nur etwas wert, wenn ihr eine Prüfung geschrieben habt, das setzt sie in dieser ohnehin schon schwierigen Zeit zusätzlich unter Druck. Das halte ich für fatal.

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