NSU Untersuchungsausschuss: Wie der Terror nach Brandenburg kam
Seit eineinhalb Jahren untersucht der Landtag märkische Verbindungen zum NSU. Zur Aufklärung der Verbrechen trägt er nicht bei, liefert aber Erkenntnisse zur rechtsextremen Szene. Eine Bestandsaufnahme.
Potsdam - Er fühlte sich sicher in Brandenburg. In der Gemarkung Grabow gibt es eine Vielzahl von Schutzgebieten. Der Ort in Potsdam-Mittelmark ist wohl das, was man dörfliche Idylle nennt. Doch am 24. November 2011 rückt die GSG9 an in Grabow, verhaftet den aus Sachsen stammenden André E. auf dem Gehöft seines Zwillingsbruders.
Es gibt keine NSU-Opfer in Brandenburg, kein Mitglied des rechtsextremistischen Terrortrio stammt von hier. Und trotzdem führen die Spuren des Nationalsozialisten Untergrunds auch nach Brandenburg. André E., der in Grabow verhaftet wurde, ist am Mittwoch vom Oberlandesgericht München zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 38-Jährige bei der Tarnung des NSU-Trios im Untergrund geholfen hat.
André E., dessen Bruder 2010 als „Stützpunkt“-Vertreter Potsdam der NPD-Jugendorganisation JN im Brandenburger Verfassungsschutzbericht auftaucht, ist nicht die einzige Verbindung, die Brandenburg zum NSU-Komplex hat. Eigentlich steht ein anderer im Zentrum des Interesses. Einer, der als Zeuge im Münchner Mammutprozess aussagte und der Grund dafür ist, dass der Landtag in Potsdam vor eineinhalb Jahren einen eigenen Untersuchungsausschuss zum NSU eingerichtet hat: Carsten Sczcepanski, früherer V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes unter dem Namen „Piatto“.
„Piatto“ offenbarte das Versagen Brandenburger Justizbehörden
Der Mann, um den sich alles dreht, erscheint vor vier Wochen im Brandenburger Landtag. Von der Polizei streng bewacht und geschützt wie ein wichtiger Staatsgast. Zu sehen bekommen ihn nur die Abgeordneten im NSU-Untersuchungsausschuss. Für die Öffentlichkeit bleibt „Piatto“ eine Stimme, die in einen anderen Saal übertragen wird. Szczepanski, ein wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilter Rechtsextremer, gab dem Brandenburger Verfassungsschutz bereits 1998 einen Hinweis auf ein untergetauchtes Trio, das sich bewaffnen wolle. Der Name NSU war da noch gar nicht bekannt. Das Problem: Der Hinweis des Informanten wurde offenbar nicht mit Nachdruck verfolgt.
Im April 2016 beschloss der Landtag auf Antrag von 60 Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss zur „Organisierten rechtsextremen Gewalt und Behördenhandeln, vor allem zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ einzusetzen. Der Ausschuss, der aus neun Mitgliedern besteht und vom früheren Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) geleitet wird, soll aufklären, ob ein Handeln oder Unterlassen der Brandenburger Sicherheits- und Justizbehörden die Bildung und die Taten der Terrorgruppe begünstigt und/oder die Aufklärung und Verfolgung der von dieser Terrorgruppe begangenen Straftaten erschwert habe.
Ein hehres Ziel, das in teils tagfüllenden Sitzungen verfolgt wird. Immer wieder, wenn besonders brisante Zeugen aussagen, verlassen die Abgeordneten den Sitzungsraum, gehen mit dem zu Befragenden in den Keller des Landtags, hören ihn unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch was ist herausgekommen bei den endlosen Fragen, die immer im Wechsel von den Vertretern der Fraktionen gestellt werden? Nichts – wenn man Antworten darauf erwartet hat, wie der NSU funktionierte, wie er sich seine Opfer aussuchte. Diese Antworten konnte auch der fünf Jahre dauernde Gerichtsprozess in München nicht wirklich liefern.
Der NSU war keine isolierte kleine Bande von drei Neonazis
Aber eines sei klar geworden, meint der Obmann der Linken im Brandenburger NSU-Ausschuss, Volkmar Schöneburg: „Der NSU war keine isolierte Bande von drei Neonazis, wie die Bundesanwaltschaft meint“, erklärte er am Mittwoch angesichts der Urteilsverkündung in München. Die Gruppe habe zahlreiche Helfer, vor allem im rechtsextremen Netzwerk „Blood & Honour“ gehabt. „Letzteres konnten wir ebenso im brandenburgischen Untersuchungsausschuss herausarbeiten“, betont Schöneburg. „So reichte das rechtsextreme Milieu im Fritz-Heckert-Viertel in Chemnitz, in dem das Trio Anfang des Jahres 1998 aufgenommen wurde, personell bis nach Potsdam und Brandenburg an der Havel.“
Aufschlussreich in dieser Hinsicht sind zum Beispiel die Aussagen des Potsdamer Rechtsrockers Uwe Menzel, der am 15. Juni, wenige Tage nach „Piatto“ im Ausschuss gehört wird – ebenfalls unter strengen Sicherheitsauflagen. Menzel pflegte enge Kontakte zum „Blood & Honour“-Netzwerk Sachsen. Er war befreundet mit NSU-Unterstützern, übernachtete in Chemnitz in dem Haus, in dem sich das untergetauchte NSU-Trio zeitweise versteckte. Gekannt haben will er Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht.
Viel Schweigen, ausweichende Antworten, Erinnerungslücken – auch das ist der Ausschuss. Aber dennoch liefert er bislang eines: Ein gutes Bild der Brandenburger Neonazi-Szene und ihrer Verstrickungen. Und, das ganz besonders: Er zeigt die teils haarstreibenden Zustände auf, die in der Nachwendezeit in Brandenburgs Justiz und im Verfassungsschutz herrschten. Auch durch die Aussagen „Piattos“ kam ans Licht, wie stümperhaft mit dem verurteilten Neonazi umgegangen wurde, der in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel agieren konnte, wie er wollte.
Dieser Blick ist rückwärtsgewandt, aber er kann auch helfen. Etwa wenn es darum geht, wie der Brandenburger Verfassungsschutz in der Jetztzeit ausgestattet werden soll. Zusätzliche Stellen sind nicht vorgesehen, die Linke würde den Nachrichtendienst am liebsten abschaffen. Der jüngste Verfassungsschutzbericht offenbarte aber, dass die Zahl der Rechtsextremisten in Brandenburg wieder fast das Niveau der 1990er Jahre, der „Piatto“-Zeit erreicht hat. m 23. August ist der nächste Ausschusstermin angesetzt. Auch „Piatto“ soll Ende August noch einmal gehört werden. Die Urteile im NSU-Prozess sind gefallen. Die Aufklärung in Brandenburg geht weiter. Oder zumindest der Versuch.
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