Energie Cottbus: Größte Fangruppe hört auf: Von Nazis zum Aufgeben gezwungen
Die größte Fangruppe des FC Energie Cottbus wird von rechtsextremen Hooligans des eigenen Vereins bedroht - und sieht sich zum Aufgeben gezwungen. Die Neonazi-Gruppe „Inferno“ bleibt aktiv.
Potsdam/Cottbus - Bei den Fußballfans in Cottbus herrscht Angst vor Neonazis: Weil sie von rechtsextremen Hooligans des eigenen Vereins bedroht wird, sieht sich die größte Fangruppe des Fußballregionalligisten FC Energie Cottbus zum Aufgeben gezwungen. Der Zusammenschluss „Ultima Raka“ teilte am vergangenen Sonntag etwas kryptisch auf der Internetseite mit: „Wir sehen nach Gesprächen mit anderen Akteuren über die zukünftige Ausrichtung der Cottbuser Fanszene leider keine Möglichkeit, unser Fandasein weiterhin frei nach unseren Vorstellungen auszuleben.“ Daher würden die „Aktivitäten für unbestimmte Zeit“ eingestellt.
Hintergrund für diesen Schritt sind nach PNN-Recherchen anhaltende Bedrohungen aus der eigenen Fanszene, konkret soll die rechtsextreme Hool-Truppe „Inferno Cottbus“ verantwortlich sein. Diese hatte sich im vergangenen Mai nach gemeinsamen Recherchen von PNN und rbb vorgeblich – per Mitteilung via Facebook – aufgelöst und wollte so offenbar einem Vereinsverbot zuvorkommen. Doch jetzt zeigt sich: Die Neonazi-Hools agieren weiter im Hintergrund und versuchen, sich die restliche Cottbuser Fanszene untertan zu machen.
Rechtsextremisten wollen in der Fanallianz des FC Energie Cottbus den Ton angeben
So hat es nach PNN-Informationen Ende August ein Treffen von Vertretern der verschiedenen Fangruppen gegeben. Dort sollen Vertreter von „Inferno Cottbus“ gefordert haben, dass alle Gruppen künftig in einem neuen, großen Zusammenschluss aufgehen – und Inferno in diesem die Regeln vorgibt. Ein Vorteil für die mit einem Erscheinungsverbot im Energie-Stadion belegte Hool-Truppe: Sie hätte wieder ein Gruppenemblem, mit dem sie sich öffentlich präsentieren könnte. Gleichzeitig würden die anderen in der Allianz aufgegangen Fangruppen für Inferno eine Schutzfunktion haben – ein neues Erscheinungsverbot wäre so nur schwer durchzusetzen.
Hinter vorgehaltener Hand wird in der Cottbuser Fanszene außerdem die Besorgnis geäußert: Die geplante Allianz hätte Inferno als größere Bühne für rechtsextreme Propaganda nutzen können. An solch einer Gruppe – bei dem noch dazu Inferno die Regeln vorgibt – wollte sich die unpolitische Gruppe „Ultima Raka“ nicht beteiligen und versagte die Zusammenarbeit. Es folgten: Erneut, wie schon im Frühjahr, Bedrohungen.
Trotz erklärter Auflösung: "Inferno Cottbus" macht weiter
Diesem Druck will „Ultima Raka“ mit dem Einstellen seiner Aktivitäten künftig entgehen. Es ist vor allem eine Lossagung von der Cottbuser Ultra-Szene. Mit dem Kampf um die Macht in der Szene will die Gruppe nicht länger zu tun haben. Künftig wollen die laut Innenministerium 65 Mitglieder nur noch „als Freunde beisammenbleiben“ und weiter ehrenamtlich den FC Energie unterstützen. Offenbar vergeblich hatte bis zuletzt das Cottbuser Fanprojekt den Fußballregionalligisten aufgefordert, die nicht gewalttätigen Anhänger in der Fanszene zu stärken – und damit explizit auch „Ultima Raka“ gemeint.
Gleichwohl versucht der Verein inzwischen, den Neonazi-Hools von Inferno entgegenzuwirken. So hat der Energie-Vorstand Kontakt mit dem Toleranz-Bündnis „Cottbuser Aufbruch“ aufgenommen. Außerdem will der Verein ab spätestens 2018 eine hauptberufliche Stelle „für Vielfalt und Toleranz“ schaffen.
Die neuen PNN-Recherchen belegen die Vermutung der Sicherheitsbehörden, dass Inferno trotz der auf Facebook erklärten Auflösung weitermacht wie zuvor. PNN und rbb hatten im Mai offengelegt, dass Inferno und seine Nachwuchstruppe „Unbequeme Jugend“ durch gezielte Einschüchterungen und Gewalt in der Cottbuser Fanszene ein Klima der Angst verbreiten, ein kriminelles Netzwerk aufgebaut haben. Unmittelbar nach den Berichten löste sich „Inferno Cottbus“ dann nach mehr als 18-jährigem Bestehen auf.
Innenminister Schröter: Probleme mit Neonazi-Hooligans werden mit der Auflösung einer Facebook-Gruppe nicht erledigt sein
Schon damals hatte Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) aber gewarnt: Das Problem werde sich „wegen der Auflösung einer Facebook-Gruppe“ nicht erledigt haben, Polizei und Verfassungsschutz würden ihre Ermittlungen deshalb nicht einstellen. „Die Personen sind immer noch dort“, sagte Schröter. Nötig sei aber mehr als die Arbeit der Sicherheitsbehörden, sagte der Innenminister. „Hier braucht es eine Ächtung der ganzen Region, der ganzen Stadt, hier muss es ein Abstoßen geben.“
Für die Öffentlichkeit sichtbar hat sich Cottbus spätestens seit Jahresbeginn zum Hotspot der rechtsextremen Szene in Brandenburg entwickelt. Die örtlichen Neonazis machten am 13. Januar mit einer Machtdemonstration – auch gegenüber der Fanszene – auf sich aufmerksam: In der Nacht versammelten sich 120 vermummte Neonazis in der Cottbuser Innenstadt, sie marschierten unangemeldet mit Fackeln durch die Bummelmeile „Sprem“. Die Polizei kam zu spät. Nur drei Neonazis konnten dingfest gemacht werden.
Rechtsextremistische Szene in Cottbus „hochgradig gewaltorientiert"
In der Folge hatte die Polizei eigens eine Ermittlungsgruppe gegründet. Dabei gerieten auch die Hooligans von Inferno und „Unbequemer Jugend“ in den Fokus. Im kürzlich vorgestellten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 werden die beiden Hooligan-Gruppen erstmals als Neonazi-Strukturen aufgeführt, neben Kameradschaften, Bruderschaften und sogenannten Freien Kräften. Laut Innenministerium haben die beiden Hool-Truppen zusammen etwa 75 Mitglieder.
Wie groß das Problem mit der rechtsextremen Szene in Cottbus ist, zeigt aber auch ein Blick auf die Statistik des letzten Jahres. Fast jede fünfte der 2016 in Brandenburg verübten 167 rechten Gewalttaten registrierte der Verfassungsschutz in der Stadt. 145 Rechtsextremisten zählte die Behörde allein in Cottbus, die umliegenden Regionen nicht eingerechnet – die Neonazi-Hooligans von Energie machen also mehr als die Hälfte der Szene aus. „Die dortige rechtsextremistische Szene ist hochgradig gewaltorientiert“, sagte Schröter. „Sie bündelt Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass- Musiker sowie Hooligans.“
René Garzke
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