Brandenburg: „Nicht die hellste Kerze auf der V-Mann-Torte“
Ex-Verfassungsschutzchef bescheinigt Quelle „Piatto“ im NSU-Ausschuss mangelnde Intelligenz – und setzte sich doch für ihn ein
Potsdam - Bitte um Nachsicht für einen schwerkriminellen Neonazi: Der frühere Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, Heiner Wegesin, hat versucht, den damaligen Berliner Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge für seinen V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“ einzunehmen. Das erklärte Wegesin, der von 2000 bis 2004 Leiter des Nachrichtendienstes war, am Freitag bei seiner bereits zweiten Vernehmung im NSU-Ausschuss des Landtags unumwunden. Denn Wegesin, der 2004 von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) angeblich nicht wegen der V-Mann-Affäre abgelöst wurde, findet nichts dabei am Small Talk mit dem Chefermittler, den er von gesellschaftlichen Anlässen in Potsdam gekannt habe.
Bei der wichtigen Rechte-Szene- Quelle „Piatto“ – die seinerzeit nicht beachtete Hinweise zum NSU-Trio gab – war kurz vor ihrer Enttarnung durch einen Spiegel-Bericht im Juli 2000 eine Waffe gefunden worden. Eine Strafverfolgung wäre der Abschöpfung des Informanten in die Quere gekommen. „Unsere Quelle hängt da drin, seid nett zu ihm, gebt ihm eine faire Chance.“ In diesem Tenor habe er mit Karge gesprochen, einem Mann, der „die Nöte des Verfassungsschutzes“ gekannt habe. Das halte er für „nicht illegitim“, so Wegesin. Der Obmann der Linksfraktion im Ausschuss, Volkmar Schöneburg, hält es für etwas anderes: „Beeinflussung der Justiz im Interesse des V-Mannes.“
Ein gewisses Dilemma, räumt Wegesin ein, habe es schon gegeben bei Szczepanski, einem 1995 wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilten Straftäters. Denn einen Gesinnungswandel, sagt der einst oberste Verfassungsschützer Brandenburgs, habe es bei „Piatto“ wohl auch durch seine Haft nicht gegeben. „Er war ein in der Wolle gefärbter Rechtsextremist“, der nicht „in tiefer Reue zum Westminsterdemokraten“ geworden sei. Dass der Verfassungsschutz „Piatto“ half, nach seiner Haftentlassung in Königs Wusterhausen einen Laden für rechte Devotionalien aufzubauen, habe nicht nur daran gelegen, dass man einen Umschlagplatz für Informationen aus der Szene etablieren wollte, sondern auch an mangelnden anderen beruflichen Fähigkeiten Szczepanskis. „Hätte er auf dem Markt Gemüsekisten stapeln sollen?“
Insgesamt sei Szczepanski schwer zu führen gewesen, durch seine vielen Aktivitäten in der Szene habe immer das Risiko bestanden, dass die Quelle irgendwann hochgehe – oder sich selbst verquatsche. „Er war nicht die hellste Kerze auf der V-Mann-Torte“, sagt Wegesin. Als Figur in den Spionageromanen von John le Carré hätte jemand wie er „vielleicht mal den toten Briefkasten leeren dürfen“. Aber zu der Zeit hätte der Brandenburger Nachrichtendienst eben nicht so viele „Pferdchen“ gehabt. Anders als sein Amtsvorgänger Hasso Lieber, der „Piatto“ zuvor im Ausschuss überraschenderweise als „dürftige Quelle“ beschrieben hatte, hält Wegesin ihn für durchaus ertragreich – wenn auch nicht einfach.
Erschwerend sei hinzugekommen, dass Szczepanski in Königs Wusterhausen, „einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt“ nie unbehelligt war. Er hätte ihn gerne woanders installiert, in einer anonymeren Großstadt. „Aber wo gibt es das in Brandenburg?“, so Wegesin. In Potsdam habe zudem keine solche rechte Szene bestanden, in der er sich hätte tummeln können.
Wie „Piatto“ schließlich aufflog, wer dem „Spiegel“, der eines Tages vor Szczepanskis Tür stand, den Tipp gab – er wisse es nicht, so Wegesin. Dass ein Fax des Verfassungsschutzes an das Landeskriminalamt zur Szene in Königs Wusterhausen einen Hinweis auf den Spitzel geliefert habe, schließe er aus. SPD-Obfrau Inka Gossmann-Retz hält Wegesin das Fax vor, in dem die Ermittler aufgefordert werden, Maßnahmen abzustimmen – um dem Verfassungsschutz nicht in die Quere zu kommen: Der Name Carsten Szczepanski wird darin explizit genannt. Daraus werde aber nicht klar, dass dieser eine Quelle war, so Wegesin. Als „Piatto“ schließlich enttarnt wurde, die Kerze auf der V-Mann-Torte erlosch, sei für ihn, der sich zuvor noch bei Karge für ihn stark machte, der Fall erledigt gewesen. Szczepanski kam in ein Zeugenschutzprogramm. „Für uns war der Käse gegessen“, sagt Wegesin.
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