Brandenburg: Neue Hoffnungsträger
Brandenburg hat: Viel Landschaft, tolle Ausflugsziele – und ein paar gute kulinarische Adressen. Ein Michelin-Stern und ambitionierte Landgasthöfe bringen Schwung in die Gastroszene
Zählen wir mal durch, vielleicht lernen wir dabei ja was über die neuen Bundesländer und ihre kulinarische Bedeutung. Sachsen-Anhalt: null Michelin-Sterne. Thüringen: zwei, Sachsen: sechs, Meckpomm: zehn. Ach ja, Brandenburg hat jetzt drei, immerhin. Was lernen wir daraus? Genusstradition spielt eine Rolle, aber ohne anspruchsvolle Touristen und teure Hotelzimmer über dem Restaurant geht praktisch nichts. Deshalb ist an der Ostseeküste nun mal mehr los als beispielsweise ... in Brandenburg, das ausweislich dieser Michelin-Statistik so lala dasteht. Auch mit anderen Restaurantführern ändert sich das Bild praktisch nicht.
Hochkulinarik funktioniert eigentlich nur dort, wo die Leute in Mengen hinreisen. Den ältesten Stern hat das „Bayrische Haus“ in Potsdam, auch schon sehr lange ist das „17fuffzig“ der „Bleiche“ in Burg/Spreewald dabei. Doch seit November 2015, nach einer Vergabepause von zwölf Jahren, gehört auch das Beelitzer „Kochzimmer“ in diese illustre Gesellschaft – ein Außenseiter, weil es weder Wellness noch Hotelzimmer anbietet, und weil Beelitz nur eine ganz kurze Touristensaison hat, die sich auf den Spargelhöfen mit ihrer Hauruck-Küche abspielt. Jörg Frankenhäuser und Patrick Schwatke, der Patron und der Küchenchef des Kochzimmer, sind aber noch in anderer Hinsicht Außenseiter: Sie pfeifen gezielt auf die Regional-Mode, die gegenwärtig eine Art Mantra des gehobenen Landgasthauses geworden ist und oft nur mit viel Wortgeklingel verdecken soll, dass es mit dem Handwerk nicht weit her ist. Bei ihnen stimmt das Handwerk ohne jeden Zweifel, und der frische Stern hat möglicherweise diesen Weg noch bestärkt, denn man wirbt auf der Website mit den Worten „Klarer, frischer, mutiger“.
An Selbstbewusstsein mangelt es nicht, denn auch einen „Signature Dish“ gibt es schon, also ein Gericht quasi als Markenzeichen, wie es die ganz Großen haben: gerösteter Schweinebauch mit Algen, Litschi und eingelegtem Rettich, eine ausgefeilte, köstliche Komposition. Die marinierte Makrele mit Kürbis, Limette und Muscheln lässt ebenfalls einen frischen Meereshauch durch die Ortsmitte ziehen, zum gebackenen Hummer gibt es Blutorange, Spinat und Gänseklein, alles wirkt hochmodern, ohne in die überladenen Schauteller der aktuellen Spitzenküche abzudriften, aus gut kalkuliertem Stilwillen oder auch, weil die kleine Küchenmannschaft einfach keine Zeit für Marotten hat. Auch die individuelle, trendbewusst sortierte Weinkarte ist ein Markenzeichen des Hauses.
Das Beste am frischen Stern ist allerdings, dass er die sonst allenthalben spürbare Stagnation ein wenig verbirgt. Denn das größte Problem der brandenburgischen Gastronomie ist der Personalmangel, der auch die Küchenchefs betrifft: Wenn einer geht und der nächste kommt, wird die Küche selten besser – meist ist mit dem Wechsel eine Reduzierung des kulinarischen Anspruchs verbunden. Oliver Heilmeyer (Bleiche) und Alexander Dressel (Bayrisches Haus) sind deutlich länger als ein Jahrzehnt im Job, das gilt auch für Frank Schreiber im „Goldenen Hahn“ in Finsterwalde, der schon kurz nach der Wende begann, gut zu kochen. Er hat längst das Niveau der drei ausgezeichneten Kollegen.
Wo bewegt sich sonst noch etwas? Da sind wir schnell bei Tobias Vogel, der im entlegenen „Seehotel Großräschen“ herzerfrischend draufloskocht, ohne allzu viel Rücksicht auf die regionale Stilpolizei zu nehmen. Selbst in seinem „Regionalmenü“ bietet er unbekümmert eine Süßkartoffelcremesuppe mit Ingwer und Hirschsalami und arrangiert die Leber vom Proschimer Kalb mit schwarzer Linsencreme, Sellerie und Chorizopolenta. Die Weinkarte vom üblichen Potsdamer Großhändler hält noch respektvollen Abstand zur besser sortierten Konkurrenz, aber immerhin hat man hier, was sonst keiner hat: Solaris und Pinotin vom Weinbau Dr. Wobar in Großräschen.
Der nächste Hoffnungsträger, Holger Mootz, arbeitet in der Motzener „Residenz“ an dem offenbar langwierigen Projekt, die Küche der „Märkischen Stuben“ wieder auf Kurs zu bringen – das scheint langsam Früchte zu tragen. Aus Hecht macht er eine Sanddornpraline, aus der Kerbelwurzel ein Cremesüppchen, und der lackierte Hirschrücken kommt mit Feigen, Pistazien und Sanddornlinsen.
Dann sind da die sympathischen Landgasthäuser, in denen mit Rücksicht auf Geld und Geschmack von Zufallsgästen handfest gekocht wird. Wer die winzige Küche des Chefs Frank Buthmann im „Kleinen Haus“ in Linum sieht, der weiß, dass hier keine Wunder zu erwarten sind. Doch die Zeiten der kulinarischen Grobschlächtigkeit sind vorbei, Hauptgänge wie der Kabeljau auf „Hirsotto“ mit Sellerie sind zwar immer noch mächtige Berge, aber bei den Vorspeisen geht es etwas feiner zu, zum Beispiel mit den zweierlei Roten Beten mit Zanderfilet oder der Wildbratwurst auf schön scharfen Kimchi-Graupen und Kürbis-Ketchup.
Ähnlich munter ist auch Ulrike Launs Küche in der Körziner „Landlust“, die als Mitbesitzerin für jene Kontinuität steht, die den Restaurants mit den ewig wechselnden Küchenchefs abgeht. In Brandenburg an der Havel ist die Gründeroffensive im Zuge der Gartenschau 2015 so rasch abgeklungen, wie sie gekommen war. Aber die Betriebe, die sie hervorgebracht hat, das „Turbinenhaus“ und die „Werft“, sind alle noch da, ebenso wie das etablierte „Am Humboldthain“.
In Potsdam ist die Hierarchie unverändert: Hinter dem „Friedrich Wilhelm“ im Bayrischen Haus und dem immer strebenden „Juliette“ kommt Speckers ehrgeizig-rustikales Gasthaus, gefolgt von einer ganzen Reihe von Bistros und Restaurants, die mal so, mal so kochen. Möglicherweise schafft es das neue, im März eröffnete „Zanotto“ in der Dortustraße, die selbstzufriedene Szene aufzumischen.
In den letzten Jahren hat sich in der Brandenburger Gastronomie die Versorgungslage zum Positiven verändert. Viele Erzeuger begreifen, dass ihre Chance nicht im Preiskampf mit den Großmärkten liegt, sondern in schmeckbarer Qualität. Käse, Butter, Fische, das eine oder andere Rind – da wächst was heran. Und auch die Spargelbauern werden, bevor sie das ganze Berliner Umland in Plastik verpackt haben, eventuell begreifen, dass Masse und Dicke nicht alles sind. Dann nämlich wird es für ambitionierte Köche, die nicht nur eine Saison bleiben, auch leichter, aus Produkten und Traditionen eine neue Küchensprache zu entwickeln.
Den Beitrag finden Sie auch im neuen Tagesspiegel-Magazin Brandenburg, einem Heft mit Tipps und Touren für Genießer.
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