Künftige Landesregierung in Brandenburg: Klimaforscher Schellnhuber würde Ministeramt übernehmen
Hans Joachim Schellnhuber im Interview über Versäumnisse von Rot-Rot beim Kohleausstieg in der Mark, politische Ambitionen und seine Pläne für Brandenburg.
Herr Schellnhuber, Sie waren vor einer Woche Gastredner beim Parteitag der Grünen und haben angekündigt, dass Sie im Falle einer Regierungsbeteiligung der Grünen die neue Landesregierung auch unterstützen würden. Wie ist das zu verstehen – stünden Sie für ein Ministeramt bereit?
Daran habe ich in jenem Moment gar nicht gedacht. Ich wünsche mir vor allem, dass die neue Regierung in Brandenburg – egal, wie sie zusammengesetzt ist – ein konkretes und stimmiges Zukunftskonzept für das Land entwickelt. Nicht zuletzt aufgrund meiner Tätigkeit in der Kohlekommission habe ich mir dazu sehr viele Gedanken gemacht. Dieses Wissen würde ich gerne beratend einbringen. Andererseits: Dies sind außergewöhnliche Zeiten. Die Stadt Potsdam ruft den Klimanotstand aus; der Papst diskutiert mit Ölbossen über eine CO2-Steuer; Schülerinnen und Schüler streiken in der Schulzeit für den Klimaschutz. Da kommt man dann auch als emeritierter Professor ins Grübeln, ob man nicht selbst in die politische Bütt steigen sollte, um das endlich umzusetzen helfen, was die Wissenschaft immer dringlicher empfiehlt.
Das heißt, wenn Sie nach dem 1. September gefragt werden würden, ob Sie ein Ministeramt übernehmen, würden Sie zumindest darüber nachdenken?
Wenn ich von einer demokratisch gesinnten, weltoffenen Partei tatsächlich gefragt werden sollte, würde ich zumindest mit meiner Familie darüber reden – die vermutlich entsetzt wäre. Ich würde also so ein Amt – anders als vor zehn Jahren – heute nicht mehr kategorisch ausschließen.
Für die Grünen hegen Sie Sympathien, haben Sie gesagt. Denken Sie über einen Parteieintritt nach?
Wenn die Rettung der Welt allein von meinem Parteieintritt abhinge, dann würde ich das natürlich tun. Aber jetzt im Ernst: Ich habe lange Zeit Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU beraten, als gebürtiger Bayer an Klausurtagungen der CSU teilgenommen, auf etlichen Kongressen der SPD und der Linken gesprochen und eben auch bei den Grünen meine Überlegungen vorgestellt. Was ich als Wissenschaftler einbringen kann, ist mein Sachverstand, nicht irgendeine starre Weltanschauung. Wenn ich also als Parteiloser etwas für die Zukunft Brandenburgs tun könnte, dann würde ich das bevorzugen.
In welchem Ressort könnten Sie da am ehesten etwas bewirken? Umwelt? Forschung? Oder müssten die Ressorts möglicherweise neu zugeschnitten werden?
So konkret habe ich darüber überhaupt nicht nachgedacht. Das große Feld „Innovation“ würde mich allerdings am meisten reizen. Dabei geht es nicht nur um technische, sondern auch um institutionelle, soziale und sogar kulturelle Fortschritte und Neuerungen. Wir müssen, wenn wir die Klimakrise noch in den Griff bekommen wollen, Innovationen aller Art wagen und die erfolgversprechendsten beschleunigen. Da geht es unter anderem darum, bessere Regulierungen einzuführen, die Bevölkerung ernsthaft bei der Zukunftsgestaltung zu beteiligen, disruptive technologische Entwicklungen voranzutreiben. Die Digitalisierung spielt dabei eine bisher sträflich vernachlässigte Rolle, wie wir gerade in einem Gutachten für die Bundesregierung aufzeigen.
Das heißt, wie von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor der Wahl noch vorgeschlagen, das Forschungsministerium von Potsdam in die Lausitz zu verlegen, reicht nicht aus?
Natürlich nicht – aber das weiß er selber. Ebenso sehe ich noch nicht, dass die einzigartigen Chancen, die sich aus den Empfehlungen der Kohlekommission ergeben, richtig genutzt werden. Man kann nicht einfach nur eine große Landeswunschliste zusammentragen und versuchen, diese abzuarbeiten. Man muss schon überlegen, welche Ideen zusammenpassen. Als Systemwissenschaftler könnte ich eine Gesamtschau anbieten – ein entsprechendes Papier liegt sogar schon bereit. Man muss beim Klimaschutz allerdings auch über Regulierungen nachdenken.
Woran denken Sie da konkret?
Da sind zunächst die banalen Einsichten: Ein Tempolimit auf Autobahnen würde dem Klima ein wenig helfen, sondern vor allem Menschenleben retten. Dann müsste man sicherlich bei den Subventionen umsteuern, indem man der Schiene ganz klar den Vorrang vor der Straße einräumte. Schließlich sollte der Verbrennungsmotor nach 2035 nicht mehr auf deutschen Straßen zugelassen sein. Außerdem müsste man Startups und visionären Mittelstandsunternehmen helfen, ihre Ideen auszuprobieren.
Wie könnte das gehen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Möglicherweise sind Windturbinen an Flugdrachen, die man in 300 bis 350 Metern Höhe bewegt, eine viel bessere Option, als immer höhere Türme an Land und im Meer hochzuziehen. Diese Idee existiert schon länger und wird sich vielleicht als Illusion erweisen. Aber sie wurde noch nie ernsthaft erprobt. Brandenburg könnte doch das Land sein, wo man solche kühnen Ansätze auslotet. Dabei mitzuhelfen, als Berater oder in irgendeiner anderen Funktion, das würde mir richtig richtig Spaß machen.
Welche Fehler hat die rot-rote Landesregierung in der Klimapolitik gemacht?
Das Thema wurde irgendwann in den letzten Jahren von der politischen Agenda verdrängt, was sich jetzt bitter rächt. Als Matthias Platzeck noch Ministerpräsident war, hat das PIK jedes Jahr zusammen mit dem gesamten Kabinett eine Diskussionsrunde zum Klima durchgeführt. Das ist dann irgendwann eingeschlafen, aus welchen Gründen auch immer. Als dann voriges Jahr der Dürresommer über uns kam, fingen die landespolitischen Lämpchen wieder an, rot beziehungsweise grün zu blinken. Aber die Grundeinstellung, niemals jemandem etwas zumuten zu wollen, hat sich bisher nicht geändert. Doch wer heute niemandem weh tut, der tut später allen weh! Dass die rot-rote Landesregierung beim Klimathema so wenig Ehrgeiz entwickelte, ist besonders schwer zu begreifen, weil wir in Berlin-Brandenburg weltweit führende Institute auf diesem Gebiet haben. Man hätte also nur mal um die Ecke gehen müssen, um sich bestens zu informieren. Aber ich bin nicht nachtragend ...
Nun wurde ja in Brandenburg eine Volksinitiative zur Ausrufung des Klimanotstandes gestartet, die Stadt Potsdam hat den Klimanotstand vergangene Woche ausgerufen. Was halten Sie als Wissenschaftler davon? Bringt das etwas?
Ich habe als Wissenschaftler einige der wichtigsten Fachartikel mitgeschrieben, auf welche sich solche Initiativen im In- und Ausland berufen. Wenn man die Dinge nüchtern betrachtet, muss man leider feststellen: Ja, wir befinden uns in einer Art Notstand; ja, wir haben tatsächlich nicht mehr viel Zeit, um das Abgleiten der Erde in eine Heißzeit zu verhindern. Den Notstand durch einen Gemeindebeschluss auszurufen, ist natürlich Symbolpolitik. Aber Symbole sind wichtig und können sehr praktische Konsequenzen haben.
Welche sind das?
Wenn eine Kommune so einen Beschluss gefasst hat, kann man zum Beispiel bei öffentlichen Beschaffungen andere Maßstäbe anlegen. Bisher ist es doch so, dass die Ausgaben fast ausschließlich von Betriebswirten und Juristen geprüft werden. Wenn nun aber eine Stadt den Klimanotstand ausgerufen hat, kann sie möglicherweise etwas beschaffen, das zwar etwas teurer ist, aber dem Klimaschutz wirklich dient. So werden aus Symbolen Taten.
Auf dem Grünen-Parteitag haben Sie gesagt, es sei klar, wer in Brandenburg die „Partei der Lüge“ ist. Wen meinen Sie?
Ich habe nicht ausschließlich die AfD gemeint, sondern auch gewisse Gruppierungen in anderen Parteien, die sich ausdrücklich für die Interessen „der Wirtschaft“ starkmachen. Ich empfinde persönlich keinen Hass auf irgendeine Partei, aber ich habe erlebt, wie einige, die die AfD beraten und auf Bundesebene am Parteiprogramm mitgeschrieben haben, die Klimalüge aggressiv verbreiten. Es wird behauptet, dass das vom Menschen freigesetzte CO2, das beispielsweise aus der Schwerindustrie stammt, keinerlei Einfluss auf die Strahlungsbilanz und das Klima der Erde habe. Das ist natürlich Unsinn. Wenn also keinesfalls dumme Menschen, zum Beispiel in der AfD, wider besseren Wissens behaupten, wir könnten ruhig ungestraft weitermachen wie bisher, dann ist das schlicht eine Lüge. Diese ist zwar verführerisch, weil wir kurzfristig unser Verhalten nicht ändern müssten, aber sie ist eben auch brandgefährlich, weil sie unsere ganze Zivilisation gefährdet.
Findet die AfD auch deshalb bei Wählern so viel Anklang, weil sie es den Leuten bequem macht?
Ja, sicher. Der Historiker Leopold von Ranke hat einmal gesagt: Es ist nicht der Mangel an Wissen, der ganze Imperien zerstört, sondern es ist die Trägheit, die uns ins Verderben führt. Und dieses Phänomen zeigt sich leider vor allem bei älteren Männern: Sie glauben zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Die empfinden es dann als persönliche Kränkung, wenn man ihnen sagt, dass sich die Welt ändert und es nicht weiter gehen kann wie bisher. Gerade in solchen Parteien wie der AfD finden sich deshalb viele verbitterte ältere Herren, denen die Lufthoheit bei der Welterklärung abhandenkommt. In normalen Zeiten wäre das eher harmlos und man könnte darüber schmunzeln, aber in der heutigen Krise gefriert einem das Lachen.
Kommt aus dieser Alt-Herren-Haltung auch die Häme gegenüber Greta Thunberg?
Absolut. Ich bin ja selbst ein älterer Herr, aber hoffnungsvoll und begeistert, wenn ich mit jungen Leuten zusammenarbeiten kann. Das gilt leider nicht für alle. Wenn da ein junges Mädchen den Kampf gegen die zynische Trägheit der Senioren aufnimmt, empfinden diese das als persönliche Niederlage. Das macht Greta zur schieren Hassfigur.
Momentan liegt die AfD in Brandenburg vorne. Glauben Sie, dass der Wahlsieg der AfD in Brandenburg noch abwendbar ist – und wenn ja, wie?
Ich vermute, dass es tatsächlich zum Wahlsieg der AfD kommen wird. Aber dann sind immer noch rund 80 Prozent der Stimmen an demokratische Parteien gegangen. Was ich damit sagen will: Wir haben keine Situation wie 1933, man braucht nicht in Panik zu geraten. Wenn es nach der Wahl ein buntes Parteienspektrum jenseits der AfD gibt, kann und muss man immer noch eine vernünftige Regierung bilden. Die meisten, die jetzt die AfD wählen, sind anständige Menschen, deren Vertrauen in die Politik man eben wiedergewinnen muss.
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