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Beim Integrationsgipfel am Mittwoch in Potsdam saßen Ministerin Diana Golze (Linke) und Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) nicht auf einer Seite des Tisches.
© Marion Kaufmann

Pharmaskandal in Brandenburg: Kaum noch integrierbar

Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) sieht weiterhin keinen Grund für einen Rücktritt im Pharmaskandal. Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) geht sichtbar auf Distanz. Beobachtungen beim Integrationsgipfel in Potsdam.

Das ist der Gipfel der Distanziertheit. Diana Golze, wegen des Pharmaskandals um illegale Krebsmedikamente schwer angeschlagene Sozialministerin der Linken, und Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) kommen nicht gemeinsam in die Potsdamer Schinkelhalle. Golze ist vor Woidke da, sie kommt alleine, zu Fuß, läuft fast unbemerkt in die Halle, setzt sich an die Stirnseite des eigentlich als Podium aufgebauten Tisches neben der Bühne. Abgewandt, nicht frontal zu Publikum, rund 250 Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Initiativen, die sich an über den Saal verteilten Tischen platziert haben. Das ist in etwa so, als würde man sich bei der eigenen Geburtstagsfeier freiwillig an den Katzentisch setzen.

Das Ministerium hat zum Integrationsgipfel geladen

Dabei ist es Golzes Veranstaltung. Ihr Ministerium hat zum Brandenburger Integrationsgipfel geladen. Eine wichtige Veranstaltung, eigentlich. Es geht um die Integration von Geflüchteten. Um Miteinander, Zusammenhalt, ausgerechnet. Aber am ersten Tag nach dem sich die durch den Pharmaskandal ausgelöste Kabinettskrise mit dem überraschenden, persönlich motivierten Rücktritt von Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) verschärft hat, bekommt die Veranstaltung leicht groteske Züge. Woidke kommt kurz nach zehn Uhr. Golze sitzt da schon fast zehn Minuten alleine an ihrem Tisch. Der Regierungschef plaudert auf dem Weg zum Podium scheinbar gelöst mit Gästen. Dann erst begrüßt er seine Ministerin, kurz. Die beiden schauen sich kaum an. Woidke geht auf die Bühne, spricht das Grußwort. „Liebe Diana Golze“, beginnt er. Weit kommt er nicht, dann stürmen Aktivisten neben die Bühne, entrollen ein Plakat und übertönen mit einem Megaphon die Rede des Regierungschefs. Sie protestieren lautstark gegen die Abschiebung dreier Geflüchteter nach Afghanistan. Woidke ist nicht mehr zu verstehen. Golze hat die Hände in den Schoß gelegt, sitzt mit unbewegter Mine abseits. Die 43-jährige Sozialpädagogin, ohnehin sehr schlank, wirkt regelrecht dünn. Die vergangenen Wochen haben sichtbar an ihr gezehrt.

Golze: Was hilft den Patienten mein Rücktritt?

Dass sie nicht selbst die Gäste begrüßt, sei von Anfang an so abgesprochen gewesen, erklärt ihre Sprecherin. Die Veranstaltung angesichts der angespannten Lage abzusagen, sich ganz auf die versprochene Aufklärung der Pharmaaffäre zu konzentrieren, sei ihr nicht in den Sinn gekommen, sagt Golze am Rande der Veranstaltung den PNN. Der Integrationsgipfel sei ihr wichtig. „Die 250 Menschen, die hierher gekommen sind, haben verdient, dass das läuft“, so Golze. Ihren Rücktritt hält sie nach wie vor nicht für unausweichlich. „Wenn wir uns einig sind, dass die Patienten im Mittelpunkt stehen, dann stelle ich mir die Frage: Was hilft diesen mein Rücktritt?“, erklärt sie gegenüber den PNN. Sie sehe nach wie vor ihre politische Verantwortung darin, den Skandal aufzuklären. „Ich glaube nicht, dass ein Wechsel auf der politischen Führungsebene die Aufklärung erleichtern würde“, meint Golze, die auch Co-Landesvorsitzende ihrer Partei ist.

CDU beantragt Einsicht in Ermittlungsakten

Nicht nur die Opposition, auch einige Vertreter von Rot-Rot meinen etwas anderes. Das Krisenmanagement sei nicht gut, nicht offensiv genug. Die von Golze eingesetzte Task Force sei nicht mit Experten aus allen relevanten Bereichen besetzt, die Aufarbeitung schmore im eigenen Saft. Die CDU-Fraktion hat nun auch Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten im Fall Lunapharm beantragt. Weil von der Sitzung des Gesundheitsausschusses am Dienstag nach zwei vorherigen Terminen kaum jemand substanzielle Antworten aus dem Ministerium erwartet. Am Dienstag sollen Ergebnisse der Untersuchungsgruppe vorgestellt werden. Manche vermuten: Es wird der finale Tag für Golze.

Mitarbeiter beklagen Kommunikationsdefizite

Diese hört unterdessen einem Fachvortrag zur Integration zu. Zuvor durften die Aktivisten kurz das Wort ergreifen. Woidke sitzt wieder an seinem Platz, über Eck mit seiner Ministerin, die sich Notizen zu den Expertenausführungen macht, gerade so als wäre sie nicht die Chefin, sondern eine eifrige Referentin. Nach einer Stunde geht Woidke. Zum Abschied tätschelt er Golze die Schulter. Es wirkt nicht wie ein „Nur Mut, wir packen das zusammen“, eher wie ein „Mach’s gut, so ist das Leben“.

Probleme durch Umstruktrurierungen im Gesundheitsbereich

Nun geht die Arbeit in den Arbeitsgruppen los. Golze setzt sich an einen der Tische, hört zu, sagt aber nichts. Als wäre sie eine Schülerin, die neu in eine Klasse kommt, noch nicht integriert ist. Aber in solchen Momenten kommt wohl die Sozialpädagogin in Golze durch. Sie geht von Gruppe zu Gruppe, unbemerkt. Ihre Art, nicht einfach ein Grußwort zu halten, schnell zu verschwinden und dann die Mitarbeiter die Kärrnerarbeit machen zu lassen, kann man auch positiv sehen, ihr als an sich gute Eigenschaft anrechnen: Die Pädagogin will zuhören, verstehen, selbst Bescheid wissen. Umso schwerer wiegt der Fakt, dass genau das beim Pharmaskandal nicht funktionierte. Über ein Jahr lang gingen die dubiösen Vorgänge um den Medikamentenhändler Lunapharm völlig an der Ministerin vorbei. Die Schwierigkeiten, das Haus zu führen, mögen auch aus dem Hin- und Her beim Ressortzuschnitt resultieren, der offenbar misslungenen Reintegration des Gesundheitsbereichs in das Sozialministerium, das zwischenzeitlich bei Umwelt- und Verbraucherschutz angesiedelt war. Nach der Landtagswahl 2014, als die Linke erstmals das Sozialministerium von der SPD übernahm, wurde der Bereich Gesundheit wieder dem Sozialministerium zugeordnet. 2009 war er dem Umwelt- und Verbraucherschutzministerium zugeschlagen worden.

2016 wurde im Zuge des Neuzuschnitts der Ministerin das neue, dem Gesundheitsministerium unterstellte Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) geschaffen, das für die Medikamentenkontrolle zuständig ist und beim konsequenten Vorgehen gegen den Pharmahändler Lunapharm offenbar auf ganzer Linie versagt hat. Golze ist in einem Großressort für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie zuständig.

Mitarbeiter beklagen Informationsdefizite

Die Integration der verschiedenen Abteilungen unter einem Dach, vielfach mit Mitarbeitern aus SPD-Zeiten, sei nicht gelungen, heißt es aus Ministeriumskreisen. Mitarbeiter werfen Golze wie berichtet vor, erst spät direkt über die Medikamentenskandal informiert worden zu sein. Im Zuge einer möglichen Kabinettsumbildung soll auch erwogen werden, die Zuschnitte der Ministerin wieder zu ändern.

Golze übernimmt beim Gipfel nicht die Begrüßung der Gäste, sondern die Verabschiedung. Am Nachmittag spricht die Ministerin in der Schinkelhalle ihr Schlusswort.

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