Interview | Brandenburgs Bildungsministerin: "Ich rechne nicht mit schlechteren Ergebnissen"
Britta Ernst (SPD) spricht im Interview über die anstehenden Abiturprüfungen, Hygieniemaßnahmen in den Schulen und bessere Möglichkeiten, Familien mit digitalen Geräten auszustatten.
Potsdam - Frau Ernst, Sie waren früher Ministerin für Schule und berufliche Bildung in Schleswig-Holstein. Von dort kam der inzwischen wieder zurückgezogene Vorschlag, die Abiturprüfungen nicht stattfinden zu lassen und nur die bisherigen Noten für das Abiturzeugnis heranzuziehen. Haben Sie diese Variante auch erwogen?
Nein, wir haben nicht lange darüber nachgedacht. Die schriftliche Abiturprüfung macht ein Drittel der Prüfungsleistung aus. Wenn wir auf diese Prüfungen verzichten würden, hätten wir 2020 ein Abitur, das viel weniger wert wäre als das der letzten Jahre. Deswegen gab es das Bestreben, wenn es irgendwie geht, die schriftlichen Abiturprüfungen durchzuführen. Die Kultusministerkonferenz hat dann auch einstimmig beschlossen, die Prüfungen durchzuführen. Selbst wenn die Schulen geschlossen bleiben, sollten wir wollen, dass unsere jungen Leute keine Nachteile erleiden.
In Brandenburg hat anders als in Berlin auch der Schülerrat die Prüfungen befürwortet.
Genau, die Schüler haben gesehen, dass sie möglicherweise Nachteile hätten, wenn sie sich mit einem Abiturzeugnis ohne schriftliche Prüfungsleistungen an den Unis bewerben müssten.
Wie lief die Vorbereitung auf die Prüfungen in dieser Situation? Rechnen Sie in diesem Jahr mit einem Abfall des Notendurchschnitts?
Wir haben die Rückmeldung von den Schulen, dass die Vorbereitungen sehr gut laufen. Die Schülerinnen und Schüler in dem Alter sind auch geübt, sich eigenverantwortlich vorzubereiten. Deshalb rechne ich nicht mit schlechteren Ergebnissen als in den Vorjahren.
Dennoch, auch wenn die Vorbereitung gut war, ist eine Prüfungssituation an sich schon stressig. Die Coronakrise bedeutet für viele zusätzlichen psychischen Stress. Kann man mit dieser Doppelbelastung überhaupt gut eine Prüfung absolvieren?
Es ist auf jeden Fall eine Belastung für die Familien. Das wird an den Schülerinnen und Schülern möglicherweise nicht spurlos vorbeigehen. Wir haben den Schulen deswegen ja angeboten, auf die Nachschreibetermine auszuweichen, aber die Mehrzahl möchte das nicht. Wenn sich ein Abiturient oder eine Abiturientin individuell aber gar nicht in der Lage fühlt, an den Prüfungen teilzunehmen, gibt es die Möglichkeit, sich zu entschuldigen und auf die Nachschreibetermine auszuweichen.
Wie viele Schüler werden den Haupttermin direkt nach den Osterferien wahrnehmen?
Insgesamt befinden sich in diesem Schuljahr knapp 10.000 Schülerinnen und Schüler im Abitur. Am 20. April werden rund 5000 Schüler die Abiturprüfungen in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern schreiben und am 22. April etwa 3500 Schülerinnen und Schüler in den naturwissenschaftlichen Fächern. Die Zahl der Schüler am eigentlichen Prüfungstag hängt immer davon ab, welches Fach als Prüfungsfach gewählt wurde.
Wann soll entschieden werden, ob die Schulen nach den Osterferien wieder geöffnet werden?
Das ist komplett offen und darüber entscheide nicht ich als Bildungsministerin. Die Landesregierungen sind darüber im kontinuierlichen Austausch, mit dem Bund und dem Robert-Koch-Institut. Wir im Bildungsministerium bereiten uns auf beide Szenarien vor, so dass die Abiturprüfungen auch geschrieben werden können, falls die Schulen weiter geschlossen bleiben. Wenn die Schulen nach den Osterferien weiter zu sind, gelten bei den Prüfungen besondere Hygienebedingungen.
Sind landesweit an allen Schulen ausreichend große Räume vorhanden, um die Prüfungen unter diesen Bedingungen stattfinden zu lassen?
Das Wichtigste ist Abstand zu halten. Wenn die Schulen für den normalen Unterricht weiter geschlossen sind, sind natürlich ausreichend Räume für die Prüfungen da. Wir haben die Schulträger angeschrieben, auf die Hygienebedingungen hingewiesen und gefragt, ob es noch Unterstützungsbedarf bei der Umsetzung gibt. Die Schüler werden auch aufgefordert, nicht in Gruppen zu kommen, sich nicht zu umarmen und die Schule nach der Prüfung einzeln zügig wieder zu verlassen. Es liegt auch in der Verantwortung der Schülerinnen und Schüler selbst, dafür zu sorgen, dass es nicht zu Ansteckungen kommt.
Schutzmaterial ist überall knapp. Die Gewerkschaft GEW weist darauf hin, dass die Schulen nicht in der Lage seien, diese notwendigen Schutzmittel selbst zu beschaffen, es sei auch nicht ihre Aufgabe. Gibt es denn ausreichend Desinfektionsmittel in den Schulen und Handschuhe für die Lehrer beim Austeilen der Aufgaben?
Wir haben bei den Schulen und Schulträger abgefragt, ob es Unterstützungsbedarf gibt. Wir sehen momentan aber kein Problem.
Die unterschiedliche Ausstattung mit digitalen Endgeräten bei den Schülern bereitet uns wirklich Sorge.
Britta Ernst
Wird es auch Änderungen oder besondere Vorschriften bei den mündlichen Abiturprüfungen geben?
Die mündlichen Abiturprüfungen sollen stattfinden, auch hier entwickeln wir aktuell gerade entsprechende Szenarien, insbesondere für den Fall, wenn die Schulen weiter geschlossen bleiben sollten.
Sachsen erwägt offenbar bessere Noten für Schüler wegen Covid-19. Die Notengebung soll für den Rest des Schuljahres angepasst werden, Lehrer sollen etwa zugunsten der Schüler entscheiden, wenn es um Versetzungen geht. Planen Sie das auch?
Nein. Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Noten dramatisch verschlechtern werden. Zudem müsste so etwas in der Kultusministerkonferenz abgestimmt werden.
Es zeigt sich aber, dass die technischen Voraussetzungen für den Unterricht zu Hause sehr unterschiedlich sind. Nicht nur die Schulen verfügen über unterschiedliche Technik, auch in den Elternhäusern sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich, nicht jede Familie hat einen Laptop, den die Kinder nutzen können. Wie kann man verhindern, dass gerade Kinder aus bildungsfernen oder sozial schwachen Elternhäusern nun völlig abgehängt werden, falls die Schulen tatsächlich länger geschlossen bleiben müssen?
Die unterschiedliche Ausstattung mit digitalen Endgeräten bei den Schülern bereitet uns wirklich Sorge, das ist in der Tat sehr von den Elternhäusern abhängig. Es gibt eine Diskussion mit dem Bund, ob die Geräte aus den Mitteln des Bildungs- und Teilhabepakets finanziert werden können oder ob das Gesetz eventuell entsprechend angepasst werden müsste. Wir würden das sehr begrüßen, wenn es diese Möglichkeit gäbe, denn es zeigt sich, dass das Vorhandensein dieser technischen Endgeräte elementar ist für die Bildung der Schülerinnen und Schüler.
Die Technik ist das eine, auf der anderen Seite kann man nicht sehen, was sich nun zu Hause in den Familien abspielt. Wie kann der Kontakt zu den Schülern aus problematischen Verhältnissen während der Coronakrise gehalten werden?
Wir haben bislang nicht viele Rückmeldungen, dass es durch die Coronakrise kritische Situationen in Familien gibt, aber natürlich sind wir sehr sensibilisiert und im Austausch mit den Jugendämtern, die ihre Arbeit ja nicht eingestellt haben. Und auch die Lehrkräfte sollen verstärkt auf Schüler achten und den Kontakt mit ihnen halten, falls es zu Konflikten kommt. Vor diesem Hintergrund wurde auch für die Notfallbetreuung nochmal der Hinweis geben, dass das Kindeswohl ein wichtiger Grund für die Aufnahme in der Betreuung ist.
In Ihrem Haus gab es zwei Corona-Verdachtsfälle. Haben sich diese bestätigt? Wie arbeitet das Ministerium zurzeit?
Die Verdachtsfälle haben sich zum Glück nicht bestätigt. Wir haben auch keine neuen Verdachtsfälle. Ungefähr die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet im Homeoffice, sonst achten wir auf Abstand und erledigen viel über Telefonkonferenzen. Ich selbst bin die eine Hälfte der Woche im Ministerium und die andere im Homeoffice.
Marion Kaufmann