NSU Untersuchungsausschuss: Geheimes aus dem Off
Die fast zehn Stunden dauernde Sitzung war eine der bisher spannendsten des Ausschusses: Verfassungsschützer wurden zu „Piatto“ vernommen – inkognito.
Potsdam - Eine Botschaft will der Brandenburger Ex-Verfassungsschützer mit dem Decknamen „Manfred Maslow“ unbedingt loswerden. „Es ist doch eine Schande, dass es so weit kommen konnte und so viele Menschen sterben mussten“, sagte der Geheimdienstler am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages. Vor allem müsse endlich dafür gesorgt werden, dass bundesweit das Zusammenspiel von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz klar geregelt werde. „Damit keine Informationen mehr unter den Tisch fallen“, wie beim NSU, oder jetzt im Fall Amri. Die Leute, „die draußen ihre Arbeit machen“, bräuchten eine klare Grundlage.
Die fast zehn Stunden dauernde Sitzung war eine der bisher spannendsten des Ausschusses, der vor allem den Skandal um den wegen versuchten Mordes verurteilten militanten Neonazi Carsten Szczepanski alias V-Mann „Piatto“ untersucht, der vom Verfassungsschutz 1994 in der Haft angeworben worden war. Von „Piatto“ hatte es 1998 Hinweise auf den Aufenthalt des untergetauchten späteren NSU-Trios gegeben, die versandeten. Erstmals wurden nun Nachrichtendienstler der operativen Ebene vernommen, die mit „Piatto“ zu tun hatten. Damit diese nicht identifizierbar sind, wurden sie separat verhört – und der Auftritt für die Öffentlichkeit lediglich im Ton in einen anderen Raum übertragen. Es waren Stimmen aus dem Off, die neue Einblicke und brisante Details um den Verfassungsschutz und „Piatto“ lieferten.
Verbindungen zum Ku-Klux-Klan und zur Russenmafia
„Manfred Maslow“, angeblich 70, jüngere Stimme, pensioniert, war der erste Brandenburger Verfassungsschützer, der 1994 Kontakt zu Szczepanski hatte. Der saß wegen versuchten Mordes im Jahr 1992 nun 1994 in U-Haft in der JVA Königs Wusterhausen. Er hatte selbst um ein Gespräch gebeten. Man sei zunächst zurückhaltend gewesen. Es sei aber entschieden worden, mit Szczepanski Kontakt aufzunehmen. Der habe beim zweiten Treffen umfangreiches Material übergeben, etwa eine Namensliste von Kunden seines Rechtsmusik-Blatts, von konkreten internationalen Verbindungen gesprochen, zum Ku-Klux-Clan, auch zur Russenmafia. Etwaige Vergünstigungen oder Hafterleichterungen habe er Szczepanski weder versprochen noch in Aussicht gestellt. Mit der Anwerbung als „Piatto“ habe er nichts zu tun gehabt. Mehr sagte er nicht. Später wird ein anderer Verfassungsschützer aussagen, dass sich „Maslow“ 1999 mit „Piatto“ getroffen habe, in Vertretung des regulären V-Mann-Führers in dieser Zeit ... und wieder ein Widerspruch.
Dann trat ein Mann mit dem Decknamen „Michael Ackrath“ auf, heute im Bundesamt für Verfassungsschutz, damals Auswerter in der Landesbehörde. Informationen von „Piatto“ gingen regelmäßig über seinen Tisch, auch jene vom August/September 1998, dass sich ein zur Fahndung ausgeschriebenes Jenaer Skinhead-Trio in Chemnitz aufhalte, sich bewaffnen und mit Banküberfällen finanzieren wolle. Er habe diese Hinweise als Rechtsterrorismus eingestuft. Er habe vorgeschlagen, „dass diese Informationen der Polizei übergeben werden.“ Das habe sein Referatsleiter Jörg Milbradt damals abgelehnt. Der wurde kurz darauf selbst Verfassungsschutzchef. Allerdings fand es der Ausschuss seltsam, dass der gleiche „Ackrath“ sich nicht mit Rechtsrock und Skinheadmusik befassen wollte, obwohl es viele Verknüpfungen zur militanten braunen Szene gab.
„Er hatte als Freigänger doch weitestgehende Möglichkeiten“
Am frühen Abend verteidigte in öffentlicher Sitzung Ex-Verfassungsschutz-Referatsleiter Andreas Lorsch, sein richtiger Name, inzwischen seit 17 Jahren Abteilungsleiter anderswo im Landesdienst, vehement die Zusammenarbeit mit dem verurteilten Rechtsextremen. „Piatto“, den er vertretungsweise zwei Monate 1999 selbst führte, habe bundesweit beachtete Informationen geliefert, Straftaten verhindert: „Piatto war alternativlos“, sagte Lorsch, der am Ende der Sitzung vom Ausschuss vereidigt wurde. Er erinnere sich an den Sommer 1999, als an einem Wochenende von „Piatto“ stundenlang SMS gekommen seien, aus einem Auto mit Rechtsextremisten, mit Hinweisen, wo man gerade fuhr. Es formierte sich ein Korso von 200 bis 300 Autos, worüber er die Thüringer Behörde informieren konnte: „Das Skinheadkonzert hat nicht stattgefunden. Als die ankamen, war die Polizei schon da.“ Lorsch bestritt, dass der Verfassungsschutz für eine vorzeitige Entlassung von Szczepanski aus der Haft gesorgt habe. „Er hatte als Freigänger doch weitestgehende Möglichkeiten“, so Lorsch. „Piatto hatte einen derart großen Aktionsradius, den man mit einer frühzeitigen Haftentlassung gar nicht hätte erweitern können.“ Und die V-Mann-Führer seien „zwei richtige Profis“ gewesen. Im Ausschuss gehen viele davon aus, dass es umgekehrt war, dass „Piatto“ seinen V-Mann-Führer führte, an den er schon mal Briefe mit Heil Hitler unterschrieb.
Und es gibt einen neuen Verdacht. Nämlich, dass es zwei weitere Brandenburger Neonazis aus dem Umfeld von „Piatto“ mit NSU-Verbindungen gegeben haben kann – bisher war nur Carsten W. bekannt. Nach umfangreichem Studium der einschlägigen Verfassungsschutzakten sehen die Linke-Obleute Volkmar Schöneburg und Isabell Vandré dafür eine Indizienkette, die zum Potsdamer Neonazi Uwe M. (Band „Proissenheads) und zu Henning K. aus Kirchmöser führt.
Auf der anderen Seite fordert die CDU eine Sondersitzung des NSU-Ausschusses, um Linke-Justizminister Stefan Ludwig zu vernehmen. Der soll 2000 angeblich gegenüber dem „Spiegel“ V-Mann „Piatto“ enttarnt haben, nachdem er als Bürgermeister von Königs Wusterhausen und PDS-Landtagsabgeordneter angeblich vom Verfassungsschutz dessen wahre Identität erfahren haben soll.
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