Krankenhäuser in Brandenburg: Eintrittsgeld für die Notaufnahme?
In viele Kliniken in der Mark kommen Menschen mit harmlosen Beschwerden. Statt einer Gebühr fordern die meisten Verantwortlichen bessere Aufklärung.
Potsdam - Wenn am Nachmittag die Praxen der Allgemeinärzte schließen, beginnen für Jörn Adam regelmäßig die Probleme. „Da sitzen dann auf einmal die Bagatellfälle bei uns in der Notaufnahme“, sagt er und zählt auf: Husten, Schnupfen, Rückenschmerzen. Adam ist seit eineinhalb Jahren ärztlicher Leiter der Rettungsstelle im evangelischen Krankenhaus Ludwigsfelde-Teltow. Dass Menschen mit Beschwerden in seine Klinik kommen, die eigentlich kein Notfall sind, erlebt er jeden Tag: „Am Wochenende ist hier Sprechstunde. Die Hälfte aller Fälle wären da eigentlich ambulant zu behandeln.“
Um solche scheinbar überflüssigen Besuche in den Notaufnahmen zu verhindern, hat der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, unlängst vorgeschlagen, notfalls eine Gebühr von Patienten zu verlangen. „Eine finanzielle Steuerung wäre genau der Hebel, der helfen würde. In vielen anderen Ländern Europas ist so etwas längst üblich“, sagte Gassen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Für seine Forderung erntete Gassen großteils Kritik. „Der Vorschlag packt das Problem an der falschen Stelle“, teilte Brandenburgs Gesundheitsministerin Diane Golze (Linke) auf PNN-Anfrage mit. Sie halte nichts davon, Patienten zu bevormunden: „Oberstes Ziel unserer Gesundheitspolitik muss es sein, dass Patientinnen und Patienten flächendeckend Zugang zur haus- und fachärztlichen Versorgung haben.“
„Sechs Stunden Wartezeit sind bei uns realistisch“
Ähnlich sieht das auch Jörn Adam. „Jeder, der in die Rettungsstelle kommt, ist krank – die Frage ist nur, wie sehr die Person krank ist“, sagt er den PNN. Geholfen werde jedem, versichert der Mediziner. Was die Patienten jedoch oft nicht wüssten: Anders als in einer Praxis werden sie in der Notaufnahme nicht der Reihe, sondern der Schwere ihrer Erkrankungen nach behandelt. „Sechs Stunden Wartezeit sind bei uns realistisch“, sagt Adam. Aus dem Klinikum Neukölln wisse er, dass Patienten sich teils acht bis zehn Stunden gedulden müssen. Dabei könnten sich viele Menschen den Weg sparen, so Adam. Erst in der Nacht zuvor habe sich eine Patientin einliefern lassen, die vor 14 Tagen von einer Zecke gebissen wurde. In der Nacht sei dann plötzlich ihr Knie angeschwollen. Aus Angst vor Borreliose sei sie ins Krankenhaus gekommen. Vollkommen übertrieben, findet Adam: „Es ist auch ein Aufklärungsproblem.“
Tatsächlich kennen längst nicht alle Brandenburger die kostenfreie Rufnummer 116117, unter der ein ärztlicher Bereitschaftsdienst außerhalb der Sprechstundenzeiten eine erste Diagnose am Telefon stellt. 66 Prozent der Menschen in der Mark würden die Nummer kennen, schätzt die Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB). Noch nicht genug, weshalb man mit Apotheken, Ärzten und Psychotherapeuten eine Informationskampagne begonnen habe. „Wichtig ist, dass kranke Patienten schnellstmöglich die richtige medizinische Versorgung erhalten“, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzender Andreas Schwark. Die Forderung seines Bundesvorsitzenden teilt er nur bedingt: „Patienten, die trotz Beratung oder während der Sprechzeiten von Arztpraxen mit nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen in die Rettungsstelle gehen, sollten mit einer Gebühr belegt werden.“
„In unserer Gesellschaft mangelt es an Gesundheitskompetenz“
„Das wird der Sache nicht gerecht“, sagt dagegen der ärztliche Leiter der unabhängigen Patientenberatung, Johannes Schenkel. Es sei aus nicht Bequemlichkeit, dass Menschen in die Notaufnahmen gingen. „In unserer Gesellschaft mangelt es an Gesundheitskompetenz“, sagt Schenkel, der nur rund die Hälfte der Bevölkerung für ausreichend geschult hält. Er fordert, dass in möglichst jedem Krankenhaus auch eine Bereitschaftspraxis installiert wird. In Brandenburg betreibt die KVBB bereits acht solcher Praxen. Auch Gesundheitsministerin Golze plädiert für diese Lösung.
Modellprojekt dafür war bereits 2012 das Sankt Josefs Krankenhaus in Potsdam. Dort befindet sich die Praxis unmittelbar neben der Notaufnahme. „Seit wir diese Praxis im Haus haben, hat sich die Situation für die Patienten entspannt und die Notaufnahme wurde deutlich entlastet“, berichtet Kliniksprecher Benjamin Stengl. Angesichts von teils langen Wartezeiten arbeite man jedoch weiter an einer Optimierung. 70 Fälle zähle die Notaufnahme jeden Tag, viele Patienten bräuchten aber gar keine Notfallversorgung. Verständnis für die Forderung von KBV-Präsidenten Gassen hat Stengl nur bedingt. „Bundesweit ist es eine angespannte Situation, aber deswegen Eintrittsgeld für die Notaufnahme zu verlangen, finde ich schwierig.“
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