zum Hauptinhalt
Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (l., CDU) im Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier.
© dpa

Steinmeier besucht Cottbus: Eine Stadt kämpft um ihren Ruf

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte am Samstag Cottbus. Die Stadt war nach Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Deutschen in die Schlagzeilen geraten. Ein Besuch.

Cottbus -Reinhard Drogla wartet. Er hat gerade Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßt, später spricht er mit ihm. Am Handgelenk ein Perlenarmband, das Gesicht faltig, aber jugendlich, wohlgebräunt, drahtig, Typ Triathlon. Drogla, 68, ist Chef des Piccolo Kinder- und Jugend-Theaters, SPD-Mitglied und Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung in Cottbus, der mit 100000 Einwohnern zweitgrößten Stadt in Brandenburg.

In dem alten Cottbuser Stadthaus, ein Backsteinbau gegenüber, dort wo Drogla sonst die Sitzungen der Stadtverordneten leitet, ist jetzt der Bundespräsident. Er wolle jene ermutigen, die sich dafür einsetzen, dass „man in dieser Stadt gut zusammenleben kann“, sagte Steinmeier kurz, als er aus seiner Limousine stieg. Er spricht hinter verschlossenen Türen mit Bürgern der Stadt, Vertretern von Vereinen, Kirchen, Kultur. So wie im Februar im Schloss Bellevue. Steinmeier sagte damals und wiederholt es nun, man müsse die Sorgen und Ängste ernst nehmen. Zuhören und miteinander reden. Denn in Cottbus war die Stimmung gekippt. Nach Attacken von Flüchtlingen auf Deutsche. Dann gab es Demonstrationen des rechten Vereins „Zukunft Heimat“, der Zulauf war groß. Durch die Straßen halte es „Widerstand“ und „Merkel muss weg“. 

Viele Teilnehmer der "Zukunft Heimat"-Demos kamen von außerhalb

„80 Prozent der Teilnehmer waren nicht von hier“, sagt Drogla über die Demonstranten. Er hat es an den Bussen gesehen und den Nummernschildern. Für die Sicherheitsbehörden ist klar: Cottbus soll als neues Dresden etabliert werden, als Zwischenstation, um den Volkszorn nach Berlin zu tragen. Pegida machte mit, rechte Netzwerke waren da, die örtlichen Neonazis sowieso. 

Der Verfassungsschutz prüft Verbindungen von „Zukunft Heimat“ zu Rechtsextremisten. Mit der Lage in Cottbus befasste sich auch das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern. Weil das völkische Netzwerk „Ein Prozent“ bundesweit zur Teilnahme an den Demos aufgerufen hat, weil es politisch motivierte Straftaten dabei gab und wegen der Rechtsextremisten. So steht es einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Die Aktionen von "Zukunft Heimat" und "Ein Prozent" könnten der "Verbreitung fremdenfeindlichen Gedankenguts Vorschub zu leisten" und eine "Scharnierfunktion" zwischen rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Gruppen erfüllen. Weil das völkische Netzwerk „Ein Prozent“ bundesweit zur Teilnahme an den Demos aufgerufen hat, weil es politisch motivierte Straftaten dabei gab und wegen der Rechtsextremisten. So steht es in einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen, die von einer neuen „Volksfront von rechts“ sprechen. 

Cottbus eine "Hochburg des patriotischen Widerstands"?

Die zeigt sich in der Innenstadt. Vor einer Woche sind dort zwei Läden eröffnet worden, gleich nebeneinander. Ein Bürgerbüro von der AfD und daneben ein Infoladen, ein „Bürgertreffpunkt“, finanziert und unterstützt von „Zukunft Heimat“, dem völkischen Netzwerk „Ein Prozent“ und Privatleuten. Cottbus solle ein „Kontrapunkt“ zur etablierten Politik werden, nach Dresden eine „Hochburg patriotischen Widerstands“.

Schon vor einem Jahr wurde Steinmeier gefragt, ob er an diesem Tag nach Cottbus kommt. Weil das Regierungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ 20 Jahre alt wird. Er wolle jenen danken, die den Mut gehabt haben, für die Demokratie einzustehen, sagt Steinmeier. Das Konzept stammt aus einer Zeit, als der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) Ende der 1990er Jahre erkannt hat, dass rechte Schläger nicht nur einfach verirrte Jugendliche sind, die den Umbruch der Wende, die Arbeitslosigkeit der Eltern nicht verkraftet haben. Sondern, dass es Neonazis waren, hasserfüllt, gewaltbereit, auch mörderisch. 18 Menschen kamen nach offiziellen Zahlen durch rechte Gewalt in Brandenburg seit 1990 ums Leben.

Die Idee des Konzepts: Eine Polizei, die repressiv gegen Rechtsextreme vorgeht, ihre Konzerte unterbindet, sie im Blick behält. Und ein Beraternetzwerk, das Bürgermeister, Schulen, Vereine, Feuerwehren in den Weiten des Landes informiert und unterstützt – auch dabei, wie Demokratie geht, wie man Gefahren von rechts als solche benennt.

Verhältnisse fast wie in den 1990ern

Doch dieser Konsens ist brüchig geworden. Im Regierungsbericht zu 20 Jahre „Tolerantes Brandenburg“ wird diagnostiziert, die „sich heute wieder offenbarende gesellschaftliche Akzeptanz fremdenfeindlicher und rassistischer Vorurteile“ lasse „bedenkliche Parallelen zur gesellschaftlichen Atmosphäre im Land Brandenburg der 1990er Jahre erkennen“. Teile der Bevölkerung würden „in hohem Maße die Lösungsfähigkeit von Politik und Staat“ in Frage stellen. 

Was also tun? Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) will Steinmeier zeigen, wie Cottbus wirklich sei: „Ehrlich, offen, gastfreundlich“. Cottbus sei nur wie andere Städte auch, die ohne die Unterstützung des Bundes „nicht das bewältigen können, was uns gebracht worden ist, nämlich die Integration von Flüchtlingen“. Zuletzt hat sich die Lage in Cottbus auch dank massiver Polizeipräsenz beruhigt. Das Innenministerium lässt vorerst keine neuen Flüchtlinge nach Cottbus. 

Vor zwei Wochen gab es wieder Gewalt, zwei Gruppen von Tschetschenen und Afghanen gingen aufeinander los. Und bei den Feiern von Fußballfans zum Aufstieg des FC Energie Energie Cottbus in die Dritte Liga zeigten Rechtsextremisten ihre Symbole. 

Die AfD ist in Cottbus laut Umfragen stärkste Kraft

Cottbus eine Stadt wie andere? Reinhard Drogla, der Chef des Stadtparlaments sagt, bei den Wahlen im nächsten Jahr, wenn die Brandenburger im Frühjahr über die Kommunalparlamente, das EU-Parlament bestimmen, im Herbst den neuen Landtag wählen, könnte es ernst werden. Schon bei der Bundestagswahl war die AfD hier in Cottbus, in der Lausitz zweitstärkste Kraft. In den aktuellen Umfragen ist sie dort die Nummer 1. 

Drogla sagt, die Menschen hätten Angst, abgehängt zu werden. Dabei gehe es Cottbus „relativ gut“. Kaum leere Wohnungen, es wird neu gebaut. Leicht wird das nicht mit den Flüchtlingen. Das weiß Drogla. Merkel hätte nicht sagen sollen, „wir schaffen das“. „Der Bund hätte sagen müssen, wie man was wann schafft.“ Auch mit Geld. Und natürlich gebe es eine Obergrenze. Die sei erreicht, „wenn das System versagt“, wenn es nicht genügend Platz in Kitas und Schulen gebe, wenn Wohnungen fehlten. In Cottbus habe das System nicht versagt, sagt Drogla, aber es sei kurz davor gewesen. Ende Mai verkündete das Innenministerium in Cottbus, es stelle der Stadt 72 Containermodule bereit, um „dringend benötigten Raum für Schulen und Kitas zu schaffen“. Ein neues Grundschulzentrum ist in Planung. 

Die Einwohner wünschen sich mehr Aufmerksamkeit

Und die Rechten? Seit April gibt es kaum noch Demos. Es sei etwas ruhiger geworden, sagt Drogla. Vielleicht auch, weil mehr geredet wird. Oberbürgermeister Kelch und Drogla machen seit Mitte Mai Stadtteilgespräche. Bei den Dialogen sei die Stimmung weniger angespannt. Vielleicht, weil niemand anonym bleibt. Wer diskutieren will, muss sich stellen. „Das wertvollste daran ist, dass wir mit Gerüchten aufräumen können“, sagt Drogla. Es könne vermittelt werden, dass Cottbus es gut gemeistert hat, als 2015 die Flüchtlinge kamen. Oft gehe es auch nur um banale Themen, um fehlende Mülleimer, Schäden nach dem Stadtfest, die verdorrten Grünflächen. Die Menschen hätten oft das Gefühl, sagt Drogla, in ihrem Alltag nicht so viel Aufmerksamkeit zu bekommen wie die Flüchtlinge. Auch sie wollen gehört werden, ihre Sorgen äußern dürfen. 

Zur Startseite