Brandenburg startet Kinderschutzkampagne: Ein Hashtag für Kinder und Jugendliche in Not
Brandenburg hat eine Social-Media-Kampagne zum Kinderschutz gestartet. Unter dem Hashtag #wirhörendirzu können Betroffene bei Sorgen Ansprechpartner in ihrer Region finden.
Potsdam - Niemand weiß, wie viele es sind: Brandenburger Kinder und Jugendliche, die zu Hause vernachlässigt oder misshandelt werden, weil bei den Eltern wegen der Coronakrise die Nerven zusätzlich blank liegen. Wie viele Fälle blieben unentdeckt, weil Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen geschlossen waren, der Kontakt zu Lehrern, Erziehern und Freunden fehlte? Zahlen für die Zeit des Lockdowns hat die Landesregierung noch nicht. Aber Sorge, dass es vielen Kindern nicht gut ging während der Hochzeit der Krise.
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Mit einer landesweiten Kinderschutzkampagne, die vor allem über das Internet und soziale Medien verbreitet wird, sollen nicht nur Nachbarn sensibilisiert werden, genauer hinzuschauen, sondern in erster Linie Kinder und Jugendliche ermutigt werden, selbst Hilfe zu suchen.
Unter dem Hashtag #wirhoerendirzu!, der auf Kanälen wie Instagram, Youtube oder Facebook gestreut werden soll, finden sich Videoclips von örtlichen Vertretern der Jugendhilfe. Auf einem Spot ist beispielsweise der durch die Andreas-Dresen-Dokumentarfilme bekannt gewordene, frühere CDU-Landtagsabgeordnete Henryk Wichmann („Herr Wichmann aus der dritten Reihe“) zu sehen, der mittlerweile Sozialbeigeordneter im Landkreis Uckermark ist. Aber auch Potsdams Jugendbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) ist dabei und spricht den Schlüsselsatz der Kampagne „Ich höre dir zu!“ Klickt man auf das Kurzvideo, erscheint daneben eine Übersicht mit konkreten Ansprechpartnern, etwa die Telefonnummer des Jugendamtes. Zudem sollen Flyer und Postkarten verteilt werden, die auf die Angebote hinweisen.
Konzipiert haben die 18.500 Euro teure Kampagne, die vom Jugendministerium und dem Landespräventionsrat mitgetragen wird, Hans Leitner und sein Team. Der Diplom-Pädagoge leitet die Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg und hat viele Fälle von Kindstötungen untersucht. „Wir haben kein totes Kind “, betonte Leitner am Dienstag bei der Vorstellung der Kampagne in der Potsdamer Staatskanzlei. Die Aktion habe präventiven Charakter, um das Schlimmste verhindern zu können. Nicht erst der Ausbruch der Corona-Pandemie sei eine Herausforderung für die Jugendhilfe, Kinder und Jugendliche zeitnah zu erreichen und zu schützen, so Leitner. Die Öffentlichkeit müsse für das Thema sensibilisiert werden.
Die Dunkelziffer ist hoch
Auch während des Corona-Lockdows seien die Jugendämter besetzt gewesen, hätten Mitarbeiter Familien aufgesucht, sagte Jugendministerin Britta Ernst (SPD). Bislang zeichne sich keine Zunahme an gemeldeten Fällen durch Corona ab. „Aber wir wollen uns davon nicht täuschen lassen, weil die Meldeketten nicht so funktionieren konnten.“ Die Kampagne solle helfen, bei Kindern die Hemmschwelle abzubauen, sich Erwachsenen anzuvertrauen, so Innenminister Michael Stübgen (CDU), der auch Vorsitzender des Landespräventionsrates ist. Das Dunkelfeld bei Kindesvernachlässigung und -misshandlung sei groß.
„Es ist erschütternd, dass noch immer zu viele Kinder und Jugendliche in Brandenburg Gewalt dort erfahren, wo sie eigentlich am sichersten sein sollten: in ihrem eigenen Zuhause“, sagt die Sprecherin für Familien und Jugend der CDU-Landtagsfraktion, Kristy Augustin. Die Landesregierung gehe mit der Kampagne einen guten Weg, „aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass die existierenden Hilfsangebote auch bekannt sind und wahrgenommen werden“. Sie begrüße die Kampagne, sagt auch die Fraktionsvorsitzende und kinderpolitische Sprecherin der Grünen, Petra Budke. „Die Corona-Pandemie war und ist vor allem eine Herausforderung für Kinder, Jugendliche und Familien. Die lange Schließung von Kitas und Schulen, häusliche Enge und familiäre Belastungen durch berufliche oder finanzielle Probleme führten vermutlich auch zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt“, so Budke.
Manchmal ist ein Heimplatz das Beste
Auch ohne Corona hat die Zahl der Verfahren zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung in Brandenburg zugenommen. Ob es daran liegt, dass es tatsächlich mehr Fälle gibt oder nur mehr angezeigt wird, lässt sich laut Hans Leitner nicht beantworten. 2018 wurden rund 6000 solcher Verfahren durchgeführt 2019 waren es 6860 – 14 Prozent mehr. Im Ergebnis stellten die Jugendämter im Vorjahr in fast 2500 Fällen fest, dass tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vorlag. Bei etwa einem Drittel der geprüften Fälle bestand zwar keine unmittelbare Gefahr für die Kinder, jedoch ein Hilfebedarf bei der Familie.
In bestimmten Fällen ist das Kind am besten geschützt, wenn es vorübergehend nicht bei den Eltern im eigenen Zuhause bleibt. Für die Aufnahme solcher Kinder gebe es auch durch Corona nach ihrer Einschätzung keinen Engpass, so Ministerin Ernst. Brandenburg verfüge über genügend Heimplätze, auch Pflegefamilien stünden bereit.
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