Brandenburg: „Die Kreisreform ist ein Irrweg“
Die kommunalen Spitzenverbände fordern bei einer Mammutanhörung bis spät in die Nacht im Landtag einen Stopp der rot-roten Kreisreform – aber dennoch eine Verwaltungsmodernisierung. Zudem müsse Brandenburg die Wohnungsnot in Berlin als Chance nutzen
Potsdam - In Brandenburg wächst der Druck auf Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) weiter, die geplante rot-rote Kreisreform abzusagen. Auf einer Mammutanhörung bis in die Nacht im Innenausschuss des Landtags, der die Reform im November beschließen soll, forderten die beiden kommunalen Spitzenverbände am Donnerstag vehement, die bestehenden Gebietsgrenzen mit 14 Kreisen und vier kreisfreien Städten in Brandenburg nicht anzutasten.
„Das ist ein Irrweg“, sagte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der Präsident des Städte- und Gemeindebundes ist. Der Präsident des Landkreistages, Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig (SPD), sprach von einer „Neugliederung ohne Not“, die teuer sei und negative Folgen haben werde. Eine Regierungsmehrheit im Parlamentarismus sei immer auch aufgefordert, trotz Mehrheiten einen Konsens zu suchen. „Das habe ich bei diesen Gesetzen nicht unbedingt kennenlernen dürfen“, sagte Blasig. Beide Kommunalvertreter sprachen sich aber klar für eine Reform und Modernisierung der Verwaltungsstrukturen aus, die die rot-rote Koalition ebenfalls plant.
Jakobs forderte statt der Kreisreform eine Strategie des Landes, um vom Berliner Bevölkerungswachstum und dem unzureichenden Wohnungsbau in der Metropole zu profitieren. Dort müssten jährlich 26 000 Wohnungen gebaut werden, es seien aber höchstens 8000, sagte Jakobs. „In Berlin gibt es eine Mentalität, sich genug zu sein“, erklärte er. Brandenburg sollte versuchen, den Zuzug von Berlinern nach Brandenburg – durch eine bessere Infrastruktur – zu erleichtern. „Wir müssen als Land Brandenburg von den Berliner Problemen profitieren.“
Auch Blasig sagte: „Überall dort, wo man Berlin innerhalb einer Stunde mit dem Zug erreichen kann, gibt es verstärkten Zuzug.“ Es seien meist Berliner, oft junge Familien. „Möglicherweise hat das auch Einfluss auf die Demografie." Und Blasig machte den Kompromissvorschlag eines „milderen Eingriffs“: die rot-rote Gebietsreform abzusagen, aber die kreisübergreifende Zusammenarbeit besser zu organisieren – durch eine gesetzliche Kooperationspflicht. Besser wäre es, eine Zusammenarbeit der bestehenden Kommunen „mit liebevollem Druck“ zu organisieren, statt durch riesige Landkreise neue Probleme zu schaffen. „Man kann nach einer Freiwilligkeitsphase auch Zusammenarbeit verordnen“, sagte Blasig. „Das gibt es schon, nämlich bei den Leitstellen.“ Da funktioniere es exzellent.
Nach Vorgaben des Landes betreiben Landkreise und kreisfreie Städte gemeinsam Leitstellen, die die Rettungseinsätze koordinieren. Nach dem Modell könnte es zum Beispiel gemeinsame Bauämter von Cottbus und Spree-Neiße geben. „Wir können das in jetzigen Stadt- und Kreisgrenzen umsetzen“, sagte Blasig.
Jakobs verwies darauf, dass die zentralen Begründungen für die Reform, nämlich negative Bevölkerungsprognosen und hohe Verschuldung der Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder), nicht tragfähig seien. Die Bevölkerungsprognosen seien von der realen Entwicklung überholt worden, sagte Jakobs. „Vielmehr wächst die Bevölkerungszahl durch Geburtenüberschuss und Zuzug im ganzen Land“, sagte Jakobs.
Und zu den Abgeordneten: „Schalten Sie einfach mal Ihren gesunden Menschenverstand wieder ein. Man muss doch einfach mal erkennen, dass bestimmte aktuelle Entwicklungen, das was man langfristig prognostiziert, einfach mal überholen.“ Die Verschuldung dieser drei Städte sei genauso hoch wie die Potsdams, das kreisfrei bleiben soll, so Jakobs. Der Grund seien die hohen Sozialausgaben. „Daran ändert auch eine Einkreisung nichts.“ Auch Blasig warnte vor einem „Defizittransfer“ der Sozialausgaben dieser Städte zu den Landkreisen.
Zwischen der rot-roten Koalition und der Opposition entspann sich im Ausschuss ein Streit über die Bevölkerungsprognose als Grundlage für die Reform. Trotz gesteigerten Zuzugs nach Brandenburg etwa aus Berlin werde die Bevölkerungszahl sinken, weil lange nur sehr wenig Kinder geboren wurden, bekräftigte die SPD-Landtagsabgeordnete Klara Geywitz. Daher sei die Reform weiterhin notwendig. Dagegen erklärte der CDU-Abgeordnete Sven Petke, die aktuellen Prognosen ergäben ein völlig neues Bild. Bis zum Jahr 2035 werde Brandenburg danach nur noch 110 000 Einwohner verlieren. „Und für diese 110 000 wollen Sie die Reform durchziehen?“, fragte Petke. Die oppositionelle CDU plädiert anstelle der Reform für eine stärkere Zusammenarbeit der Kommunen.
Frankfurts Oberbürgermeister Martin Wilke (parteilos) zweifelte massiv an, dass seine Stadt nach der Aufgabe der Eigenständigkeit besser dastehen würde. „Das Finanzministerium erklärt, wir würden 17 Millionen Euro im Jahr sparen – nach unseren Berechnungen zahlen wir drei Millionen Euro mehr“, erklärte Wilke. Mit der polnischen Nachbarstadt Slubice habe die Stadt eine intensive Zusammenarbeit aufgebaut. „Das wird torpediert, indem man uns Aufgaben entzieht!“
Der Oberbürgermeister von Cottbus, Holger Kelch (CDU), zeigte sich überzeugt, dass seine Stadt aus eigener Kraft aus den Schulden kommen könne: „Wir können ab 2022 zweistellige Millionenbeträge erwirtschaften, wenn man uns nicht neue Lasten aufbürdet“, meinte er. Die im Reformgesetz geforderte Mindesteinwohnerzahl von 150 000 für kreisfreie Städte sei völlig aus der Luft gegriffen, meinte Kelch. „Wir haben mehr als 100 000 Einwohner und alle anderen Städte in Ostdeutschland mit dieser Größe sind kreisfrei.“
„Es gibt eine nie dagewesene Entfremdung zwischen Landesregierung und Kommunen, weil Rot-Rot gegen alle Widerstände stur an ihrem Koalitionsvertrag festhält“, stellte der kommissarische Oberbürgermeister von Brandenburg/Havel, Stefan Scheller, fest. „Das wird zu noch mehr Politikverdrossenheit führen!“ Er zweifelte an, ob die Reform überhaupt verfassungskonform sei.
Uckermark-Landrat Dietmar Schulze (SPD) sagte, dass die Funktionalreform mit nur noch 400 Stellen statt geplanter tausend, die vom Land an die Kreise gehen, nicht geeignet sei, um die Kreisgebietsreform zu begründen. Zudem betonte er, dass sogar die Uckermark von der Zuwanderung profitiere – aus Polen. Es handele sich immerhin um 700 bis 900 Personen pro Jahr.
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