Serie zur Landtagswahl 2019: "Die Elternbeiträge sollten abgeschafft werden"
Was die Brandenburger bewegt und was die Parteienzu bieten haben: In der neuen Serie "Brandenburger Stimmen" beleuchten die PNN in den kommenden Wochen die Themen zur Landtagswahl am 1. September. Folge 1: Bildung. Ein Interview mit der Erzieherin Stephanie Löbe aus Cottbus.
Frau Löbe, über die Situation in den Brandenburger Kitas wird ja oft gesagt: Der Betreuungsschlüssel, also die Anzahl der Erzieher pro Kind, ist zwar deutschlandweit einer der schlechtesten, dafür ist die Betreuungsquote hoch. In Potsdam und dem Umland sind manche Eltern aber der Verzweiflung nahe, weil sie keinen Kitaplatz finden. Wie sieht es in Cottbus aus?
Nicht besser, auch in Cottbus fehlen Kitaplätze. Wenn wir unsere Einrichtung nehmen: Zum neuen Kitajahr, das diese Woche begonnen hat, konnten wir 24 Kinder aufnehmen. Für diese Plätze gab es aber gut 80 Anmeldungen.
Sie leiten eine Integrationskita. Was bedeutet das genau?
Das heißt, dass von unseren insgesamt 102 Plätzen zehn Kindern vorbehalten sind, die einen besonderen Förderbedarf haben. Wir sind ein barrierefreies Haus, können also Kinder im Rollstuhl aufnehmen oder Kinder, die schwere körperliche Beeinträchtigungen haben. Aber nicht nur das. Auch Kindern mit geistiger oder emotionaler Beeinträchtigung kommen zu uns.
Damit sind wir beim Thema Inklusion, dem Miteinander von Kindern mit und ohne Förderbedarf, das in Brandenburgs Bildungspolitik noch vor einigen Jahren ein großes Thema war. Nun wird darüber kaum noch gesprochen. Oder täuscht das?
Nein, der Eindruck täuscht nicht. Meine Vermutung ist: Das Thema Inklusion ist in der politischen Debatte wieder heruntergefahren worden, weil man festgestellt hat, welche Bedarfe wirklich dahinter stecken, wenn man den Inklusionsgedanken sowohl in der Kita als auch in der Schule umsetzen will. Man hat bemerkt, dass dafür nicht nur mehr Personal nötig ist, sondern auch speziell ausgebildetes Personal. Und dass sich Inklusion nicht mal so nebenbei umsetzen lässt, sondern zusätzliche Ressourcen benötigt werden und man dafür auch viel Geld in die Hand nehmen müsste.
Bekommen Sie denn mehr Personal für die Betreuung der Kinder mit Förderbedarf?
Jein. Wir haben zwei Heilpädagogen und zwei Integrationserzieher im Team – aber die zählen genau wie ich zu den insgesamt 17 Erziehern im Haus. Wir haben kein zusätzliches Personal, das etwa eine 1:1-Betreuung von Kindern ermöglichen würde, obwohl es nötig wäre. Wenn wir feststellen, dass ein Kind wegen eines bestimmten Krankheitsbildes einen besonderen Betreuungsbedarf hat, stemmen wir das aus unserem Personalbestand heraus. Und wir reden hier mitunter von Kindern, die vom Hals abwärts gelähmt sind oder eine Sauerstoffversorgung brauchen. Wir reden von Kindern mit schweren geistigen Beeinträchtigungen und schweren Verhaltensauffälligkeiten.
Wie viele Erzieher bräuchten Sie denn, um jedem Kind gut gerecht werden zu können?
Das kann ich gar nicht genau beziffern. Das Problem ist ein anderes: Bei der Personalbemessung werden Krankheit, Urlaub oder Fortbildungen nicht eingerechnet. Zudem gibt es in Brandenburg keine volle Leitungsfreistellung, das heißt, dass ich als Leitung mich fast zur Hälfte als Erzieherin für die Betreuung der Kinder mit einplanen muss, während gleichzeitig viele andere Aufgaben auf meinem Tisch landen. Mehr Erzieher allein sind es aber nicht. Etwas anderes würde uns mehr helfen.
Was denn?
Eine einfachere Gesetzgebung, mehr Flexibilität der Sozial- und Jugendämter, die aber an die verschiedenen Gesetzbücher gebunden sind. Ich erkläre das mal: Ein Kind wird über das Sozialamt eingestuft. Sagen wir zum Beispiel: Bei einem Kind wird eine schwere geistige Behinderung festgestellt. Es kann aber auch sein, dass dazu auch eine Form von Autismus kommt, die wieder einer anderen Förderung bedürfte. Aber das wird dann nicht berücksichtigt, es zählt nur das eine Krankheitsbild. Es wird nicht geschaut, was das einzelne Kind individuell an Unterstützung benötigt.
Und dann sind schließlich noch 92 Kinder ohne Handicap in Ihrer Einrichtung, die ja auch gut gefördert werden wollen.
So ist es. Insgesamt 102 Kinder mit unterschiedlichsten Voraussetzungen, die zu allen Zeiten optimal gefördert werden wollen. Schließlich legen wir hier die Grundlagen für die Entwicklung, bereiten auf die Schule vor, leisten Bildungsarbeit. Es geht ja nicht darum, die Kinder einfach nur zu betreuen, damit die Eltern arbeiten gehen können.
Der Träger Fröbel, zu dem Ihre Einrichtung gehört, hat im vergangenen Jahr mit seiner Selbstanzeige für Furore gesorgt: Weil das Land längere, durch die Berufstätigkeit der Eltern bedingte Betreuungszeiten nicht ausreichend gegenfinanziert, könne der Betreuungsschlüssel nicht mehr eingehalten werden. Trifft das auch für ihre Einrichtung zu, haben sie sich an der Kampagne beteiligt?
Ja, das haben wir. Gemeinsam mit „unseren“ Eltern sind wir nach Potsdam gefahren und haben vor dem Landtag demonstriert und unseren Unmut gezeigt. Bei uns sind mehr als 95 Prozent der Eltern berufstätig, etwa 30 Prozent müssen ihre Kindern mehr als acht Stunden pro Tag zu uns bringen – bei Öffnungszeiten von 6 bis 17.30 Uhr. Und im neuen Kitajahr wird der Anteil noch steigen.
Ihr Protest hat ja Wirkung gezeigt. Künftig sollen längere Betreuungszeiten auch mit Mitteln aus dem Gute-Kita-Gesetz des Bundes finanziert werden. Aber nicht flächendeckend, sondern nur in den Einrichtungen, bei denen es tatsächlich den Bedarf gibt. Sind Sie damit zufrieden?
Wir freuen uns, dass nun etwas passiert und in der Tat sieht der Bedarf außerhalb der größeren Städte oft anders aus. Da gibt es Oma, Tante, Freundin, die bei der Kinderbetreuung unterstützen. Was nun geplant ist, hilft uns schon, aber das darf nicht das letzte Wort gewesen sein. Es muss weiter darüber gesprochen werden, wie das langfristig geregelt werden soll. Denn für Einrichtungen, die tatsächlich eine hohe Nachfrage nach langen Öffnungszeiten haben, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Außerdem: Es ist ein Förderprogramm, nicht auf Dauer angelegt. Die Finanzierung der längeren Betreuungszeiten muss im Kitagesetz verankert werden, etwa in dem man doch wieder eine dritte Betreuungsstufe einführt, das Land also den tatsächlichen Betreuungsbedarf komplett ausfinanziert.
Potsdam ist ja als Kommune in Vorleistung gegangen und hat Geld für längere Betreuungszeiten gegeben. Wie sieht das in Cottbus aus?
Cottbus ist im Haushaltssicherungskonzept. Da ist manches von kommunaler Seite aus nicht so einfach möglich.
Ein Problem, das sowohl Potsdam als auch Cottbus und andere Städte betrifft: Der Streit um die Kitagebühren, die ja von Kommune zu Kommune höchst unterschiedlich sind.
Ja, das betrifft uns auch. Auch bei uns beschreiten Eltern den Klageweg, weil sie mit der Berechnung und der Höhe der Beiträge nicht einverstanden sind. Wir als Träger reichen die Beiträge ja quasi nur an die Kommune weiter, zur Refinanzierung der Kitaplätze. Die Finanzierung ist insgesamt komplex, für Eltern oft nicht nachvollziehbar. Deswegen ist es gut, wenn die Elternbeiträge wie von einigen Parteien in Aussicht gestellt irgendwann komplett abgeschafft werden.
Wenn das Land dann noch Geld übrig haben sollte, um den Betreuungsschlüssel weiter zu verbessern, bleibt ja ein Problem: der Erziehermangel. Wie schwer ist es für Sie, qualifizierte Fachkräfte zu finden?
Es wird immer schwieriger, es gibt einen richtigen Wettbewerb um Erzieher, das ist auch in unserer Region zu spüren. Seiteneinsteiger sind deshalb wichtig und es ist gut, dass Erzieher künftig zwei Stunden statt einer pro Woche zur Verfügung haben, um Quereinsteiger anzulernen. Wenn es um Einsteiger geht, die aus ganz anderen Berufen kommen und keine Vorerfahrung im sozialen Bereich haben, ist aber auch das deutlich zu wenig.
Was müsste sich noch ändern, damit der Erzieherberuf attraktiver wird?
Es geht nicht nur um die Bezahlung, sondern darum, dass der Beruf in der Gesellschaft mehr Wertschätzung erfährt. Wir sind nicht nur die Basteltanten! Wer in der Schule nicht gut war, wird eben nur Erzieher – solche Sprüche hören wir immer noch. Die Arbeit mit Kindern ist aber genauso viel wert wie ein Job im Management oder an der Börse – auch wenn er deutlich geringer bezahlt ist. Wir legen schließlich bei den Kindern die Grundlagen für ihr späteres Leben. Die Wertschätzung, die einem die Gesellschaft nicht gibt, bekommt man von den Kindern. Ich schaue jeden Tag in leuchtende Kinderaugen erlebe mit, wie Kinder ihre erste Schritte machen, etwas Neues lernen. Das ist großartig!
Haben Sie auch Männer im Team?
Einen. Ich hätte gerne mehr männliche Erzieher. Für Kinder ist es wichtig, Bezugspersonen beiderlei Geschlechts zu haben.
Woran liegt es, dass sich immer noch so wenig Männer für den Erzieherberuf entscheiden? An der geringen Bezahlung?
Nicht nur. Es ist schon so, dass sich da etwas entwickelt und mehr Männer eine Erzieherausbildung machen, aber sie gehen dann eher in den Jugendbereich, arbeiten in Wohngruppen oder Jugendclubs, weil sie denken, das liege ihnen mehr. Männer sollten den Mut haben auszuprobieren, ob ihnen die Arbeit in einer Kita nicht doch liegen könnten, keine Scheu vor der Betreuung kleiner Kinder haben.
Cottbus hat brandenburgweit einen der höchsten Anteile an Menschen mit Migrationshintergrund. Merken Sie das auch in Ihrer Kita?
Wir haben derzeit vier Kinder mit Migrationshintergrund, im neuen Kitajahr werden es mehr.
Gibt es da Probleme bei der Integration? Sprachprobleme, kulturelle Unterschiede?
Nein, wir haben keine Schwierigkeiten. Das Problem ist eher ein anderes: Weil sie keinen Kitaplatz bekommen, können manche Eltern keinen Deutschkurs besuchen. Das wäre aber wichtig, weil das, was wir an Deutschkenntnissen vermitteln können, zum Teil eben nicht ausreicht. Auch in den Familien müssten die Kinder Deutsch sprechen können.
Auseinandersetzungen zwischen jungen Flüchtlingen und Einheimischen, Demos des asylfeindlichen Vereins „Zukunft Heimat“, eine starke rechtsextreme Szene – Cottbus hat kein besonders gutes Image. Stört Sie das?
Klar stört mich das. Cottbus ist nicht nur „Zukunft Heimat“. Es gibt auch das offene, tolerante Cottbus. Und das leben wir hier in unserer Integrationskita. Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, Kinder mit und ohne Förderbedarf. Eltern, die in den unterschiedlichsten Familienformen leben. Sicher gibt es auch mal Konflikte, Berührungsängste. Die Kinder fragen dann: Darf ich den Rollstuhl des Mädchens anfassen? Oder: Warum kann der Junge das nicht? Wir erklären dann: Er ist noch nicht so weit. Er lernt noch. Die Kinder verstehen das. Und tragen dieses Verständnis in ihre Familien weiter.