Nazi-Aufmarsch in Cottbus: Brauner Schrecken
Mehr als hundert Neonazis marschierten am Freitagabend durch Cottbus. Von Polizei und Verfassungsschutz keine Spur. Stattdessen werden Teilnehmerzahlen nach unten korrgiert. Der Fall hat ein Nachspiel im Landtag.
Cottbus - Es sind Bilder wie in den früheren 90er-Jahren, als die Brandenburger Behörden völlig überfordert waren mit Neonazis und rechten Aufzügen. Am Freitagabend trafen sich deutlich mehr als hundert vermummte Neonazis auf dem Altmarkt in Cottbus und konnten unbehelligt von der Polizei durch die zentrale Bummelmeile „Sprem“ mit Pyro-Fackeln in der Hand marschieren – nur wenige Minuten von der Cottbuser Polizeistation und vorbei an der Synagoge. Der polizeiliche Staatsschutz hatte im Vorfeld keine Hinweise auf die Aktion – im Gegensatz zu früheren Jahren, als illegale Zusammenkünfte von Neonazis durch massives Polizeiaufgebot verhindert worden waren.
Propaganda-Videos in Cottbus ähneln dem Material der "Spreelichter"
Die oppositionelle CDU-Fraktion im Landtag beantragte wegen der Vorfälle eine Sondersitzung des Innenausschusses. Konkret geht es um die Frage, warum die Polizei im Vorfeld des Aufmarsches nicht über Pläne der Neonazis informiert war. Brandenburgs Sicherheitsbehörden prüfen nach PNN-Informationen, ob es bei dem Cottbuser Aufmarsch einen Zusammenhang zum Neonazi-Netzwerk „Widerstand Südbrandenburg“ gibt, das unter dem Namen „Spreelichter“ bekannt ist. Es war 2012 verboten worden – wegen „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ und „aktiv-kämpferischen Vorgehens gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Bei den jetzt von den Neonazis im Internet verbreiteten Propagandavideos vom Aufmarsch in Cottbus gebe es auffällige Ähnlichkeiten und Parallelen zu dem damals von den „Spreelichtern“ verbreiteten Material, hieß es aus Sicherheitskreisen. Die Lausitz gilt als Hochburg der Neonazis in Brandenburg.
Polizei spricht von 60 bis 80, linke Szene von 120 Teilnehmern
Der Aufmarsch sei „eindeutig rechtsextrem“ gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Die von Anwohnern alarmierte Polizei schickte mehrere Streifenwagen los. Die erst nach dem Aufmarsch eingetroffenen Beamten konnten nur noch drei Männer im Alter von 39 bis 41 Jahren festsetzen. Sie sind als Rechtsextreme bereits polizeibekannt. Der Staatsschutz ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Eine fünfköpfige Ermittlungsgruppe versucht den Vorfall aufzuklären. Auch das Polizeipräsidium in Potsdam schaltete sich ein, um weitere unangemeldete Aufmärsche in der Lausitz zu verhindern.
Strittig bleibt allerdings die konkrete Teilnehmerzahl. Die Polizei hatte zunächst von hundert Teilnehmern gesprochen, korrigierte die Zahlen aber am Sonntag unter Berufung auf Zeugenaussagen auf 60 bis 80. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) selbst sprach am Sonntag von nur 60 Neonazis. Doch das ist erstaunlich: Denn ein Blick auf die im Internet kursierenden Videos von der Aktion zeigt eindrücklich, dass es deutlich mehr gewesen sind. Auch in Cottbus kommen linke Gruppen nach Auswertung des vorhandenen Videomaterials auf andere Zahlen als der Innenminister und die Polizei. Demnach konnten exakt 121 Teilnehmer bei dem Neonazi-Aufmarsch gezählt werden.
CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher erklärte: „Mit ihrem gespenstischen Aufmarsch haben Rechtsextreme und Neonazis den Rechtsstaat vorgeführt.“ Der Rechtsstaat sei in Brandenburg von der Landesregierung durch Personalabbau bei Staatsschutz und Verfassungsschutz geschwächt worden. Lakenmacher erinnerte an die Aussagen von Verfassungsschutzchef Carlo Weber. Der hatte erklärte, der Verfassungsschutz sei nur bedingt einsatzbereit und kaum noch handlungsfähig. Einzelne Bereiche des Verfassungsschutzes würden inzwischen „ganz blank ziehen“. Lakenmacher sagte nun, angesichts dieser Situation sei es nicht verwunderlich, „dass im Vorfeld keinerlei Informationen zu diesem Aufmarsch der Verfassungsfeinde erhoben und geliefert werden konnten“.
Innenminister Schröter warnte, „ Aktionismus und billige Schuldzuweisungen“ seien völlig fehl am Platz. Es werde alles getan, um den Aufmarsch aufzuklären. Die in der SPD-Landtagsfraktion für die Bekämpfung des Rechtsextremismus zuständige Abgeordnete Inka Gossmann-Reetz sagte, die Bürger erwarteten zurecht, dass derlei illegale Aufmärsche von der Polizei effektiv unterbunden werden. „Für die Zukunft hoffe ich, dass es den Sicherheitskräften gelingt, Informationen über geplante Aktionen bereits im Vorfeld zu gewinnen, und diese so zu verhindern.“ (mit dpa)
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